Arzneimittel und Therapie

Wenn Viagra und Co. ins Auge gehen

PDE-5-Hemmer müssen bei akuter Sehverschlechterung umgehend abgesetzt werden

Dass Sildenafil und andere Hemmer der Phosphodiesterase 5 (PDE 5) zu Sehstörungen führen können, ist keine Neuigkeit. Schuld daran sollen unter anderem Durchblutungsstörungen des Sehnervs sein. Nach Auswertung von US-Versichertendaten wurden die möglichen Risiken nun um Netzhautablösung und Gefäßverschlüssen in der Netzhaut erweitert. Bei akuter Sehverschlechterung muss der PDE-5-Hemmer sofort abgesetzt und ärztliche Hilfe gesucht werden.

In den Fachinformationen der PDE-5-Hemmer Sildenafil, Tadalafil, Vardenafil und Avanafil wird auf das Risiko von Sehstörungen im Allgemeinen und nicht arteriitischer anteriorer ischämischer Optikusneuropathie (NAION) im Speziellen hingewiesen. Letztere äußert sich als akute einseitige Sehverschlechterung ohne Augenbewegungsschmerz. Die obligate Papillenschwellung bildet sich nach wenigen Monaten zurück, das Sehver­mögen aber bessert sich kaum.

Foto: Sergey Nivens/AdobeStock

NAION zum Glück selten

Im Rahmen einer Kohortenstudie wurden die Versichertendaten von mehr als 213.000 Männern ausgewertet, denen zwischen 2006 und 2020 regelmäßig ein PDE-5-Hemmer verordnet worden war. Jedem Patienten wurden vier Kontrollpersonen gleichen Alters gegenübergestellt. Ein wichtiges Ergebnis: Bei den PDE-5-Anwendern wurde doppelt so häufig eine NAION diagnostiziert. Störfaktoren wie Bluthochdruck, koronare Herzkrankheit, Rauchen, Diabetes und Schlafapnoe wurden berücksichtigt. Insgesamt trat NAION aber mit einer Inzidenz von 3,2 Fällen pro 10.000 Personenjahre nur sehr selten auf.

Zudem wurden erstmals zwei weitere Augenkomplikationen mit der Einnahme von PDE-5-Hemmern in Verbindung gebracht: der retinale Ge­fäßverschluss (8,5 Fälle pro 10.000 Personenjahre), der dauerhaft zu ­Seh­störungen führt, und die seröse Netzhautablösung (3,8 Fälle pro 10.000 Personenjahre), bei der das Sehen infolge einer Flüssigkeitsansammlung hinter der Netzhaut verzerrt wird.

Kausalität noch ungewiss

Bei all diesen Komplikationen handelt es sich zunächst nur um beobachtete Assoziationen. Eine Kausalität ist bisher nicht bewiesen, aber es werden mehrere Hypothesen diskutiert. So könnte die glatte Muskulatur der Blutgefäße in der Aderhaut durch die PDE-5-Hemmung eine Entspannung er­fahren, was zur Blutstauung führen kann. Ein möglicher hyperkoaguabler Zustand könnte durch die physiologische Hypotonie während der Nacht begünstigt werden. PDE-5-Hemmer werden häufig abends eingenommen.

Sildenafil bleibt rezeptpflichtig

Was bleibt, sind viele Fragezeichen. Die Risiken sind sicher auch ein Grund, warum Sildenafil in Deutschland weiterhin verschreibungspflichtig bleibt. Die Entscheidung des Sachverständigen-Ausschusses auf seiner Sitzung Ende Januar 2022 war einstimmig. Eine erektile Dysfunktion kann auch durch andere Erkrankungen wie Diabetes mellitus oder Hypertonie hervorgerufen werden, die einer ärztlichen Abklärung bedürfen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sah bei der Debatte zudem kritisch, dass durch den OTC-Status die Anwendungsschwelle bei (jungen) Männern ohne erektile Dysfunktion sinken würde. In einigen Ländern Europas, darunter Polen, Großbritannien, Schweiz und Norwegen, ist Sildenafil inzwischen rezeptfrei erhältlich. |

Literatur

Etminan M et al. Risk of Ocular Adverse Events Associated With Use of Phosphodiesterase 5 Inhibitors in Men in the US. JAMA Ophthalmol. Published online April 7, 2022; doi:10.1001/jamaophthalmol.2022.0663

Gerste RD. Sehnervenerkrankung: Risikofaktoren für nichtarteriitische Optikusneuropa­thie identifiziert. Dtsch Arztebl 2017; 114(40): A-1811 / B-1540 / C-1508

Moll D. Warum Sildenafil in Deutschland nicht rezeptfrei wird. Meldung auf DAZ.online vom 08.03.2022, verfügbar unter https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2022/03/08/warum-sildenafil-in-deutschland-nicht-rezeptfrei-wird (letzter Aufruf am 29.04.2022)

Apothekerin Rika Rausch

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