Pandemie Spezial

Antivirales Hypericin

Erste Ergebnisse zu einem COVID-19-Wirkstoffkandidaten aus Johanniskraut

Die Corona-Pandemie hält uns weiter in Atem, die Forschung zu angepassten Impfstoffen, weiteren Prophylaxemöglichkeiten und Therapeutika läuft auf Hochtouren. Eine Gruppe um den Virologen Prof. Dr. Stefan Ludwig, den pharmazeutischen Biologen Prof. Dr. Andreas Hensel – beide aus Münster – und Apotheker Wolfgang Scholz, Lüdenscheid, hat sich auf den Weg gemacht, pflanzliche Inhaltsstoffe von Johanniskraut als COVID-19-Therapeutikum zu entwickeln. Was steckt dahinter, wie ist der Stand?

Seit mehr als zwei Jahren hält die Corona-Pandemie nun schon die Welt in Atem. Aufgrund der fehlenden Immunität der Weltbevölkerung gegen den neuartigen Erreger SARS-CoV-2 forderte die Infektionskrankheit insbesondere im ersten Jahr eine erhebliche Zahl an Opfern, vorwiegend unter älteren und/oder vorerkrankten Personen. Zwar konnten erfreulicherweise in Rekordzeit mehrere Impfstoffe entwickelt werden und auch Behandlungsoptionen für Erkrankte sind inzwischen vorhanden, allerdings besteht auf diesem Gebiet durchaus noch Bedarf an einfach zu handhabenden, verträglichen und kostengünstigen Therapiemöglichkeiten.

Foto: Sonja Birkelbach/AdobeStock

Ein Team aus Pharmazeuten und Virologen untersucht die antivirale Wirkung ­eines Johanniskraut-Extrakts.

Seit dem Beginn der Pandemie ist weltweit viel Energie in die Entwicklung von Therapieoptionen gegen das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2, bei dem es sich um ein behülltes, einzelsträngiges RNA-Virus handelt, gesteckt worden. Aktuell stehen verschiedene antivirale Therapieansätze zur Verfügung, so z. B. Remdesivir – das ursprünglich gegen Ebola-Erkrankungen entwickelt wurde – sowie die Kombination aus den Proteinase-Inhibitoren Nirmatrelvir/Ritonavir und das Nucleosid-Analogon Molnupiravir, das zu einer fehlerhaften Replikation der Virus-RNA führt. Die beiden Letzteren sind oral anwendbar, für Molnupiravir existiert allerdings noch keine Zulassung in der EU, ein individueller Therapieversuch ist jedoch möglich. Im klinischen Bereich können zusätzlich die entzündungshemmenden Wirkstoffe Baricitinib, ein Hemmstoff verschiedener ­Januskinasen, und Tocilizumab, ein ­monoklonaler Antikörper gegen den Interleukin-6-Rezeptor, angewendet werden, außerdem stehen verschiedene monoklonale Antikörper gegen das Spike-Protein zur Verfügung [1].

Johanniskraut im Visier

In der Zwischenzeit wird weiter nach effektiven und möglichst oral anwendbaren Wirkstoffen gesucht, als potenzielle Kandidaten werden dabei auch bekannte pflanzliche Sekundärstoffe ins Visier genommen. In diesem Zusammenhang befasste sich jüngst eine Gruppe von Autoren um den Münsteraner Virologen Stephan Ludwig mit einer möglichen Wirksamkeit von Inhaltsstoffen des Johanniskrauts gegen SARS-CoV-2 [2]. Das Johanniskraut (Hypericum perforatum), dessen Extrakt seit Jahren zur Behandlung leichter bis mittelschwerer Depressionen eingesetzt wird, ist eine in vieler Hinsicht gut untersuchte Arzneipflanze. So berichteten bereits mehrere Arbeitsgruppen von einer antiviralen Wirksamkeit gegenüber unterschied­lichen behüllten Viren, so z. B. gegenüber Influenza-A-Viren, Hepatitis-B-Viren, dem Herpes-simplex-Virus Typ 1 und dem Humanen Immundefizienz-Virus-1.

Antiviral in Vero-Zellen

Um eine mögliche Aktivität gegen SARS-CoV-2 zu analysieren, verwendeten die Autoren des aktuellen Beitrags zunächst als Modell ein pseudotypisiertes Vesicular-Stomatitis-Virus (VSV), dem das Spike-Protein von SARS-CoV-2 in die Hülle eingefügt wurde und mit dem anschließend Vero-Zellen infiziert wurden. In einer ersten Versuchsreihe wurde die allgemeine Toxizität eines quantifizierten Hypericum-Extraktes, der nach den Vorgaben des Europäischen Arzneibuchs hergestellt worden war, gegenüber den Vero-Zellen bestimmt. Es zeigte sich, dass der Extrakt in Konzentrationen bis 50 µg/ml keinerlei Toxizität aufwies, ein CC50-Wert (zytotoxische Konzentration, bei der 50% der Zellen absterben) von > 100 µg/ml wurde ermittelt. Anschließend wurden sowohl die VSV als auch die Vero-Zellen mit verschiedenen untoxischen Extrakt-Konzentrationen inkubiert und dann die Zellen mit den Viren ­infiziert. Nach 16 bis 18 Stunden ­wurde die Zahl der infizierten Zellen bestimmt, eine Konzentration von 36,88 µg/ml Hypericum-Extrakt führte zu einer 50%-igen Reduktion der Anzahl an infizierten Zellen (IC50) im Vergleich zu einer wirkstofffreien Kontrolle.

Naphtodianthrone identifiziert

Im Folgenden wurde näher untersucht, welche Inhaltsstoffe des Johanniskraut-Extrakts für die Aktivität verantwortlich waren. Die Autoren wählten hierfür fünf bekannte Inhaltsstoffe des Extraktes aus, nämlich die ­Naphtodianthrone Hypericin und Pseudohypericin, das Phloroglucinolderivat Hyperforin, Procyanidin C1 und das Flavonolglykosid Quercetin-3-O-glucuronid. Von diesen fünf Verbindungen besaßen nur Hypericin und Pseudohypericin einen Einfluss auf die Infektionsfähigkeit des Pseudovirus, sodass die Autoren davon ausgingen, dass es sich hierbei um die aktiven Verbindungen des Extrakts handelte. Für Hypericin konnte ein bemerkenswert niedriger IC50-Wert von 48,5 ng/ml ermittelt werden, Pseudohypericin war hingegen deutlich schwächer aktiv (IC50-Wert: 298,4 ng/ml). Auch für diese Verbindungen wurde die Toxizität gegenüber Vero-Zellen ermittelt, diese war deutlich geringer als die antivirale Aktivität, so ergab sich für Hypericin ein Selektivitätsindex von > 20. Der Selektivitätsindex (SI) errechnet sich aus dem Quotienten der zytotoxischen Konzentration 50 (CC50) und der inhibitorischen Konzentration 50 (IC50), je höher der Wert, desto stärker überwiegt die inhibitorische Aktivität gegenüber den unspezifisch zytotoxischen Eigenschaften.

Vermehrung von Wildtyp und Varianten in vitro gehemmt

Nachdem somit die prinzipielle antivirale Aktivität der beiden Naphtodianthrone aus dem Johanniskraut bewiesen war, ermittelten die Autoren anschließend die Aktivität gegenüber verschiedenen Varianten von SARS-CoV-2. Tatsächlich konnte gezeigt ­werden, dass der Extrakt und das enthaltene Hypericin in niedrigen Konzentrationen in der Lage waren, die Vermehrung sowohl von Wildtyp SARS-CoV-2 als auch von Alpha-, Beta- und Delta-Varianten in Vero-Zellen zu hemmen. Die bisherigen Mutationen des Virus scheinen also ohne Einfluss auf die antivirale Aktivität der untersuchten Substanzen zu sein.

Mehrere Angriffspunkte?

Zur genaueren Charakterisierung möglicher Angriffspunkte wurden noch Versuche durchgeführt, bei denen der Zeitpunkt der Hypericin-Zugabe variiert wurde (Präinkubation des Virus, Präinkubation der Zellen, Zu­gabe nach Infektion der Zellen). Während die Präinkubation der Zellen nicht zu einer verminderten Infektiosität des Virus führte, bewirkte eine frühe Zugabe direkt zum Virus einen starken antiviralen Effekt, allerdings war auch noch nach Zugabe des Hypericins zu bereits infizierten Zellen eine antivirale Aktivität zu beobachten. Die Autoren schlussfolgern hieraus, dass das Hypericin insbesondere frühe Schritte der Virusvermehrung hemmt, möglicherweise aber mehr als ein Angriffspunkt vorhanden ist. Eine Hemmung der Bindung des viralen Spike-Proteins an den ACE-2-Rezeptor durch Hypericin konnte mittels Bindungsstudien als Mechanismus ausgeschlossen werden.

Der nächste Schritt

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Untersuchungen von Ludwig und Mitarbeitern interessante In-vitro-Befunde zu einer möglichen Aktivität von Hypericin gegen SARS-CoV-2 liefern. Jüngst publizierte Daten anderer Arbeitsgruppen deuten zudem in eine ähnliche Richtung, Hypericin konnte dort als Hemmstoff verschiedener Proteasen bzw. einer RNA-abhängigen RNA-Polymerase von SARS-CoV-2 identifiziert werden [3, 4]. Allerdings ist zu bedenken, dass Naphtodianthrone wie das Hypericin auch in der Lage sind, lichtinduziert Sauerstoffradikale zu bilden, die möglicherweise an den beobachteten Effekten zumindest mitbeteiligt seien können [5]. Insofern müssen die Ergebnisse in einem folgenden Schritt nun durch In-vivo-Untersuchungen bestätigt werden. |

Literatur

[1] Fachgruppe COVRIIN beim Robert Koch-Institut. Medikamentöse Therapie bei COVID-19 mit Bewertung durch die Fachgruppe COVRIIN beim Robert Koch-Institut. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/COVRIIN_Dok/Therapieuebersicht.pdf?__blob=publicationFile (eingesehen am 27.4.2022)

[2] Mohamed FF, Anhlan D, Schöfbänker M et al. Hypericum perforatum and its ingredients Hypericin and Pseudohypericin demonstrate an Antiviral Activity against SARS-CoV-2. Pharmaceuticals 2022;15:530-555

[3] Matos AR, Caetano BC, de Almeida Filho JL et al. Identification of Hypericin as a Candidate Repurposed Therapeutic Agent for COVID-19 and Its Potential Anti-SARS-CoV-2 Activity. Frontiers in Microbiology 2022;13:828984. doi:10.3389/fmicb.2022.828984

[4] Liang JJ, Pitsillou E, Ververis K et al. Investigation of small molecule inhibitors of the SARS-CoV-2 papain-like protease by all-atom microsecond modelling, PELE Monte Carlo simulations, and in vitro activity inhibition [published online ahead of print, 2021 Dec 18]. Chemical Physics Letters 2021; 139294. doi:10.1016/j.cplett.2021.139294

[5] Mariewskaya KA, Tyurin AP, Chistov AA et al. Photosensitizing Antivirals. Molecules 2021; 26: 3971. https://doi.org/ 10.3390/molecules26133971

PD Dr. Kristina Jenett-Siems, Berlin

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