Medizin

Wenn Ehering und Schuhe nicht mehr passen

Noch deutliche Defizite bei Diagnostik und Therapie der Akromegalie

Von Christine Vetter | Die Akromegalie ist eine seltene Erkrankung, was die Versorgungsdefizite der Patienten erklären kann. Ursache der Erkrankung ist in der Regel ein Wachstumshormon-produzierendes Hypophysen­adenom. Es bewirkt, dass Knochen und innere Organe dicker werden. Das zeigt sich oft zuerst daran, dass die Schuhe zu eng werden und der Ehering nicht mehr passt. Davon abgesehen führt der Wachstumshormonexzess zu erheblichen Folgeerkrankungen und dadurch bedingt auch zu einer erhöhten Mortalität. Durch eine frühzeitige Diagnostik und effiziente Therapie sind die Krankheitsfolgen zu lindern und die Lebenserwartung lässt sich normalisieren. Allerdings gibt es hierzulande noch deutlichen Handlungsbedarf: Denn es vergehen oft Jahre, bis die Diagnose gestellt wird [1]. Zudem ist aktuellen Erhebungen zufolge derzeit jeder fünfte Erkrankte nicht kontrolliert [2].

Es dauert im Mittel acht Jahre vom Auftreten erster Symptome bis zur Diagnose einer Akromegalie [3]. Dabei weisen sich langsam entwickelnde äußere Merkmale der endokrinologischen Störung schon früh auf die Erkrankung hin: Sich vergröbernde Gesichtszüge mit einer ausgeprägten Stirnfalte, tiefe Falten um den Mund und ein häufig zu beobachtendes Hervortreten der Lidwülste sind charakteristische Zeichen der Akromegalie, die häufig allerdings als normaler Alterungsprozess fehlgedeutet werden [3]. Die Betroffenen sind meist von kräftiger Statur und es fallen oftmals sich vergrößernde und verdickende Finger und insgesamt vergrößerte Hände und Füße auf, ein Auseinandertreten der Zähne im Unterkiefer, eine Vergrößerung der Zunge und eine tiefe Stimme. Im Verlauf der Erkrankung, die auf einer Überproduktion des Wachstumshormons Somatotropin (STH) im Hypophysenvorderlappen (HVL) beruht, klagen Menschen mit Akromegalie oft über eine rasche Ermüdbarkeit, eine sich verringernde körperliche Belastbarkeit, Konzentrationsschwäche, Kopfschmerzen und gelegentlich auch über diffuse Gelenkbeschwerden [3]. Entsprechend den Informationen der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) ist auch eine Verdickung der Haut charakteristisch für die Akromegalie. Es kommt zu einer vermehrten Talg-Sekretion und zu vermehrtem Schwitzen.

Foto: Magorzata/AdobeStock

Schleichende Vergrößerungen der Hände und Füße können auf Akromegalie hindeuten. Neben diesen äußerlich sichtbaren Veränderungen wachsen aber auch innere Organe, sodass es zu Störungen verschiedener Organ- und Stoffwechselfunktionen kommen kann.

Diverse Begleit- und Folgeerkrankungen

Die Vergrößerung der inneren Organe bedingt charakteris­tische Folgeerkrankungen der Akromegalie wie ein Karpaltunnel-Syndrom, ein Schlafapnoe-Syndrom sowie einen Diabetes mellitus und eine Hypertonie. Die Raumforderung in der Hypophyse kann ferner zu Einschränkungen der Funktion des gesunden Teiles der Drüse führen und dadurch Menstruationsstörungen, eine Unterfunktion der Nebennieren und der Schilddrüse nach sich ziehen. Bei einer Ausdehnung des Tumors kann es ferner zu einer Beeinträchtigung der Sehnerven mit Tunnelsehen und gegebenenfalls sogar zu einem Verlust des Sehvermögens kommen [3]. Die Erkrankung kann somit erhebliche Einbußen an Lebensqualität und unbehandelt auch eine deutlich eingeschränkte Lebenserwartung zur Folge haben.

Diagnose meist im mittleren Lebensalter

Eine frühzeitige Diagnose der Akromegalie ist laut DGE wichtig, da bei rechtzeitigem Erkennen des Adenoms eine erfolgreiche Operation und damit in 90% der Fälle eine Heilung möglich ist. Ist der Tumor jedoch schon größer, sinkt die Erfolgsrate einer Operation auf 30 bis 50%. Die frühe Diagnose kann davon abgesehen bleibende Folgen der Erkrankung minimieren und die Lebensqualität der Erkrankten nachhaltig bessern [1].

Infolge der vermehrten Ausschüttung des Wachstumshormons durch die Hypophyse kommt es zu einer vermehrten Bildung des Wachstumshormons Somatotropin. Dieses induziert Wachstumsprozesse nicht direkt, sondern stimuliert die Bildung von Insulin-like growth factor 1 (IGF-1) in der Leber. IGF-1 löst dann seinerseits Wachstumseffekte im Gewebe aus. Das lässt sich bei der Diagnostik beispielsweise in Form eines IGF-1-Suchtests nutzen. Allerdings schließt eine alters- und geschlechtsspezifisch normale IGF-1-Konzentration laut DGE eine Akromegalie nicht mit Sicherheit aus [3].

Als Goldstandard bei der Diagnostik nennt die Fachgesellschaft den Glucose-Belastungstest. Denn die Zufuhr von Glucose bewirkt beim Gesunden eine Hemmung der Ausschüttung des Wachstumshormons. Werden jedoch keine Wachstumshormon-Werte unter 1 µg/l erreicht, gilt die Diagnose Akromegalie als gesichert. Dann sollte laut DGE auch die Funktion der übrigen Hypophyse geprüft werden.

Nachzuweisen ist der gutartige Tumor mittels Kernspintomografie, wobei auch die Größe und die Lokalisation in Beziehung zu den umgebenden Strukturen erfasst werden. Ist der Tumor bereits über den Türkensattel (Sella turcica, eine knöcherne Struktur an der Schädelbasis) hinausgewachsen, muss auch eine augenärztliche Untersuchung veranlasst werden [1].

Foto: Science Photo Library/NYPL

Auch der „niederländische Riese“ Jan van Albert (eigentlich Albert Johan Kramer) hatte Akromegalie. Er lebte von 1897 bis 1976 und gehörte mit einer Körpergröße von ca. 2,50 m in den 1920er- und 1930er-Jahren zu den größten Menschen. Damals oft als eine Varieté-Attraktion mussten die Betroffen auch mit belastenden körperlichen Einschränkungen kämpfen.

Operation, Strahlentherapie, Medikamente

Primär wird bei der Therapie versucht, den Tumor möglichst vollständig operativ zu entfernen, dabei jedoch die normale Hypophysen-Funktion zu erhalten oder wiederherzustellen [3]. Üblicherweise wird diese selektive Adenomektomie über einen transsphenoidalen Zugangsweg, also über einen direkten Zugang durch die Nase, durchgeführt. Die Erfolgsrate ist laut DGE abhängig von der Erfahrung des Operateurs wie auch von der Tumorgröße, was die Relevanz der Früh­diagnose unterstreicht. Sie liegt beim Mikroadenom, also bei einem Tumordurchmesser unter 1 cm, bei circa 80% und höher. Liegt jedoch ein Makroadenom vor, also ein Tumordurchmesser von mehr als 1 cm, reduziert sich die Erfolgsrate auf unter 50 und bei seitlicher Tumorausdehnung sogar auf nur noch 35 bis 45% [3]. Das Komplikationsrisiko des Eingriffs gilt insgesamt als gering. Mit einer Hirnhautentzündung ist bei 1 bis 2% der Fälle zu rechnen, die Sterblichkeit liegt unter 0,5%.

Lässt sich das Hypophysenadenom operativ nicht komplett entfernen oder es kommt zum erneuten Tumorwachstum, erfolgt die Behandlung mittels einer Strahlentherapie oder medikamentös. Die Strahlentherapie senkt die Wachstumshormon-Konzentration um etwa 10% pro Jahr. Bei hoher Ausgangskonzentration können die Hormonwerte dann jedoch bis zu zehn Jahre und sogar länger erhöht sein. Dieser Zeitraum ist mit einer zusätzlichen medikamentösen Therapie zu überbrücken. Als wichtigste Nebenwirkung gibt die DGE das Auftreten einer Unterfunktion der Hirnanhangsdrüse noch Jahre nach der Bestrahlung an. Bestrahlungsbedingte Zweittumore sind mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 bis 2% innerhalb von zehn Jahren nach Bestrahlung zu erwarten. Es können außerdem Gefäßkomplikationen im Gehirn auftreten.

Bei der medikamentösen Therapie kommen vor allem Somatostatin-Analoga, Wachstumsfaktor-Rezeptorantagonisten sowie Dopamin-Agonisten zum Einsatz [1]. Somatostatin-Analoga wie Octreotid (Sandostatin®), Lanreotid (z. B. Somatulina®) Pasireotid (z. B. Signifor®) reduzieren die Konzen­tration des Wachstumshormons bei 75% der Patienten um etwa die Hälfte. Sie werden üblicherweise als langwirksame Präparate gegeben und alle vier Wochen injiziert. Rund 50% der Patienten erreichen mit dieser Therapie das Behandlungsziel, allerdings ist der Therapieeffekt laut DGE individuell nicht vorhersagbar. Die Gesellschaft empfiehlt deshalb zunächst einen Therapieversuch über drei Monate. Als potenzielle Nebenwirkungen der Therapie werden Bauchschmerzen, Blähungen und Durchfall angegeben. Solche Begleiteffekte klingen allerdings meist nach wenigen Tagen ab. Während der Therapie ist laut DGE eine Kontrolle der Blutzuckerwerte und bei langjähriger Behandlung auch des Vitamin-B12-Spiegels erforderlich. Wegen des erhöhten Risikos einer Gallensteinbildung sollte alle drei Monate eine sonografische Kontrolle erfolgen [3].

Mit Pegvisomant (z. B. Somavert®) wurde ein Analogon des menschlichen Wachstumshormons gentechnologisch zu einem Wachstumshormon-Rezeptorantagonisten verändert. Pegvisomant soll eingesetzt werden, wenn Operation, Strahlentherapie und herkömmliche medikamentöse Methoden nicht zum Erfolg geführt haben oder die Patienten nicht für eine entsprechende Therapie geeignet sind.

Dopamin-Agonisten wie Bromocriptin (z. B. Pravidel®), Cabergolin (z. B. Cabaseril®) und Quinagolid (z. B. Norprolac®) hemmen die Ausschüttung des Wachstumshormons bei rund 20 bis 50% der Patienten mit Akromegalie. Eine Normalisierung der Wachstumsfaktor-Konzentration wird jedoch selten erreicht. Die Wirkstoffe müssen einschleichend appliziert werden und infolge der einschleichenden Dosierung ist frühestens nach sechs Wochen eine Erfolgskontrolle ratsam. Potenzielle Nebenwirkungen der Therapie sind Übelkeit, orthostatische Probleme, Müdigkeit und Konzentrationsschwäche.

Nach dem Ergebnis einer aktuellen Studie des Deutschen Akromegalie-Registers kann die Mehrzahl der Patienten mit den aufgeführten Medikamenten gut eingestellt werden [4]. In der Studie wurden Daten von 2732 Patienten, die in Kliniken und Schwerpunktpraxen betreut wurden, ausgewertet. 749 Patienten erhielten eine medikamentöse Therapie, wobei am häufigsten Somatostatin-Analoga (55% der Patienten), gefolgt von Wachstumsfaktor-Rezeptorantagonisten (12%) und Dopaminagonisten (9%) verordnet wurden. Die übrigen Patienten erhielten eine Kombination verschiedener Wirkstoffe. Unter der Therapie entwickelten 73% der medikamentös behandelten Patienten normale oder sogar niedrige IGF-1-­Werte. Bei 15,4% der Patienten waren die IGF-1-Werte lediglich leicht erhöht. Patienten mit Akromegalie brauchen allerdings auch nach der erfolgreichen Therapie unbedingt ein Nachsorgeprogramm, um eventuell auftretende Rezidive frühzeitig zu erfassen.

Deutsches Akromegalie-Register

Das Deutsche Akromegalie-Register wird von der Arbeits­gemeinschaft Hypophyse und Hypophysentumore, einer wissenschaftlichen Arbeitsgruppe der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) geführt. Es wurde im Jahr 2002 eingerichtet, um die medizinische Versorgung von Menschen mit Akromegalie zu verbessern. Die Erfassung der ersten Patienten erfolgte 2003.

Ziel des Registers ist es, eine objektive Datenbasis bereitzustellen, um Aussagen zu Diagnostik und Therapie, zu Spontanverlauf, Komorbiditäten und Mortalität der Akromegalie in Deutschland zu treffen. Basierend auf diesen Daten werden Ansatzpunkte für eine Optimierung der Versorgungsqualität von Patienten mit Akromegalie definiert und Maßnahmen für Klinik und Praxis erarbeitet. Derzeit sind 1920 Patienten prospektiv in 56 Zentren erfasst. Weiterführende Informationen finden sich auf der Webseite des Deutschen Akromegalie-­Registers, www.akromegalie-register.de.

Noch erhebliche Versorgungsmängel

Auf noch erhebliche Versorgungsmängel bei der Diagnostik und Therapie von Menschen mit Akromegalie hat kürzlich das Deutsche Akromegalie-Register aufmerksam gemacht [5]. Trotz des hohen Risikos hinsichtlich der Folgeerkrankungen erhalten demnach in Deutschland viele Patienten keine ausreichende Behandlung. Das zeigt eine Auswertung der Daten der ersten im Register erfassten Patienten, bei denen die Diagnose im Mittel 8,6 Jahre zurücklag. Insgesamt wurden 1344 Fälle analysiert, wobei 89% der Patienten an der Hirnanhangsdrüse operiert wurden. Bei 22% war eine Strahlentherapie durchgeführt worden und 43% erhielten eine medikamentöse Therapie [6].

Bei rund 39% der operierten Patienten wurde eine Heilung erwirkt. In spezialisierten Zentren mit mehr als 30 ent­sprechenden Operationen pro Jahr resultierte sogar eine Heilungsrate von 49,8%. Dank der verschiedenen Therapieoptionen werden entsprechend der Datenanalyse bei der Mehrzahl der im Akromegalie-Register erfassten Patienten normale Hormonwerte erreicht. Bei etwa 20% der Betroffenen wird jedoch keine Krankheitskontrolle erwirkt, obwohl nach den aktuellen Konsensusempfehlungen [7] eine Normalisierung der biochemischen Parameter angeraten wird, um die Morbidität und insbesondere das Mortalitätsrisiko zu reduzieren. Die therapeutischen Möglichkeiten werden aus Sicht der Experten somit bislang offenbar nicht aus­geschöpft. Denn die weiterhin bestehenden erhöhten IGF-1- und Wachstumshormon-Spiegel signalisieren, dass der entsprechende Patient nicht ausreichend therapiert und eine Therapie­eskalation in Erwägung zu ziehen ist. |

Literatur

[1] Riesenwuchs nicht mit normalem Alterungsprozess verwechseln. Informationen der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie, Hormone und Stoffwechsel, ww.endokrinologie.net/pressemitteilung/akromegalie.php

[2] Akromegalie – jeder fünfte Patient ist nicht kontrolliert. Deutsche Akromegalie-Register, www.akromegalie-register.de/akromegalie/wp-content/uploads/sites/3/2018/05/Flyer_QualitaetsInitiative_Akromegalie_2013.pdf

[3] Akromegalie. Informationen der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie, Hormone und Stoffwechsel, www.endokrinologie.net/akromegalie.php

[4] Quinkler M, Petroff D, Knappe UJ, Schopohl J et al. Medical Therapy of Acromegaly in Germany 2019 – Data from the German Acromegaly Registry. Exp Clin Endocrinol Diabetes 2021;129(3):216-223, DOI: 10.1055/a-1191-2437

[5] Deutsches Akromegalie-Register deckt Versorgungsmängel auf - Weiterwachsen für Erwachsene ist gefährlich. Mitteilung der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie, Hormone und Stoffwechsel, Stand: 28. Februar 2013, www.endokrinologie.net/pressemitteilungen-archiv/130228.php

[6] Schöfl C, Franz H, Grussendorf M, Honegger J et al. Long-term outcome in patients with acromegaly: analysis of 1344 patients from the German Acromegaly Register. Eur J Endocrinol 2013;168:39-47

[7] Melmed S, Colao A, Barkan A, Molitch M et al. Guidelines for acromegaly management: an update. J Clin Endocrinol Metab 2009;94: 509-1517

Autorin

Christine Vetter hat Biologie und Chemie studiert und arbeitet seit 1982 als Medizinjournalistin.

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