Arzneimittel und Therapie

Intensivierte Blutdrucktherapie: ja oder nein?

Welcher Zielwert bei Älteren erreicht werden sollte

In einer aktuellen Studie konnte gezeigt werden, dass ältere Patienten mit Hypertonie von einem unterhalb des Standards festgelegten Zielwert profitieren. Lag der Wert unter 130 mmHg, war die Inzidenz für kardiovaskuläre Ereignisse deutlich niedriger. Anlass, die Blutdruckkontrolle zu optimieren?

In der 2015 veröffentlichten SPRINT-Studie konnte gezeigt werden, dass eine intensivierte Hypertoniebehandlung unter dem bisherigen Standardwert von 140/90 mmHg klinische Vorteile bringt – jedoch nur für spezielle Hochrisikopatienten und Hochbetagte. Die Ergebnisse der Studie wurden aufgrund der automatischen Blutdruckmessung, die zum Teil in Abwesenheit von medizinischem Personal erfolgte und die zu niedrigeren Messwerten führen kann als bei einer in der Arztpraxis durchgeführten Messung, kontrovers diskutiert. Chinesische Wissenschaftler nahmen dies zum Anlass für weitere Tests, ob eine intensivierte Blutdruckeinstellung unter 130 mmHg das kardiovaskuläre Risiko im Vergleich zum Standardzielwert von unter 150 mmHg senken kann. In die multizentrische, randomisierte, kontrollierte klinische Studie wurden 8511 Patienten im Alter von 60 bis 80 Jahren (46,5% Männer) eingeschlossen. Einschlusskriterien waren ein Blutdruck von 140 bis 190 mmHg oder eine bestehende Antihypertensiva-Medikation – ausgeschlossen wurden u. a. Patienten mit Schlaganfall oder schwerer Herzinsuffizienz (NYHA III/IV).

Standard vs. intensiv

1:1-randomisiert erhielten 4243 Teilnehmer die intensivierte Hypertoniebehandlung mit einem systolischen Zielwert von 110 bis unter 130 mmHg (Intensivgruppe) und 4268 Teilnehmer die Standardbehandlung mit einem Zielwert von 130 bis unter 150 mmHg (Kontrollgruppe). Patienten, die bereits mit Antihypertensiva behandelt wurden, sollten möglichst auf die Studienmedikation (AT1-Rezeptor-Antagonist Olmesartan, Calciumkanalblocker Amlodipin und bei unzureichender Wirksamkeit das Diuretikum Hydrochlorothiazid) umgestellt werden. Die Blutdruckmessung wurde von den Studienmitarbeitern durchgeführt und überwacht. Zusätzlich wurde der Blutdruck mindestens einmal wöchentlich von den Patienten selbst mithilfe eines validierten automatischen Blutdruckmessgeräts erfasst und an eine App übermittelt. Nach einem Jahr Follow-up lag der mittlere systolische Blutdruck in der Intensivgruppe bei 127,5 mmHg vs. 135,3 mmHg in der Kontrollgruppe. Nach 3,34 Jahren ­betrug die mittlere systolische Blutdrucksenkung in der Intensivgruppe 19,4 mmHg und in der Kontrollgruppe 10,1 mmHg.

Kritik an der Studie

Das „Arznei-Telegramm kritisiert in seiner Stellungnahme zu dieser Studie die ungleiche Medikation in den beiden Probandengruppen. So wurden mit 15,2% deutlich mehr Patienten in der Kontrollgruppe ausschließlich mit Olmesartan – für das nach Meinung des „Arznei-Telegramms bis heute kein Nachweis eines klinischen Nutzens existiert – behandelt als in der Intensivgruppe (8,7%). Auch das in Hinblick auf den klinischen Nutzen besser dokumentierte HCT wurde unterschiedlich häufig in den Gruppen eingesetzt (4,5% in der Kontrollgruppe vs. 12,8%). Zudem ist unklar, ob die hier an relativ ge­sunden und gut einstellbaren Studienteilnehmern gewonnenen Ergebnisse auch auf andere Hypertonie-Patienten übertragbar sind. Die Erkenntnisse sind nach Meinung des „Arznei-Telegramms“ für eine allgemeine Zielwert-Empfehlung von unter 130 mmHg unzureichend – eine Blutdrucksenkung unterhalb des Standards sei nur für relativ gesunde Patienten vertretbar.

Vorzeitiges Studienende

Primärer Endpunkt war eine Kombination aus Schlaganfall, akutem Koronarsyndrom (akuter Myokardinfarkt oder Hospitalisierung wegen instabiler Angina), akuter dekompensierter Herzinsuffizienz, koronarer Revaskularisierung, Vorhofflimmern oder kardiovaskulär bedingtem Tod. Diese Ereignisse traten in der Intensivgruppe bei 3,5% der Teilnehmer und bei 4,6% in der Kontrollgruppe auf [Hazard Ratio 0,74; 95%-Konfidenzintervall: 0,60 bis 0,92; p = 0,007) – die intensivierte Blutdruckeinstellung war somit signifikant der Standardeinstellung überlegen. Aufgrund dieses klaren kardiovaskulären Benefits wurde die Studie anschließend vorzeitig beendet. Den stärksten Effekt hatte die intensivierte Therapie auf das geringere Auftreten von Schlaganfällen (1,1% vs. 1,7%), akuter dekompensierter Herzinsuffizienz (0,1% vs. 0,3%) und akutem Koronarsyndrom (1,3% vs. 1,9%). Keinen Einfluss hatte die intensivierte Therapie auf die Gesamtsterblichkeit (1,6% vs. 1,5%). Nebenwirkungen wie Schwindel, Synkopen und Frakturen traten in beiden Gruppen ähnlich häufig auf. Unter der intensivierten Therapie konnten ­jedoch mehr Hypotonien festgestellt werden (3,4% vs. 2,6%; p = 0,03). |

Literatur

Zhang W et al. Trial of Intensive Blood-Pressure Control in Older Patients with Hypertension. N Engl J Med 2021;385:1268-79

Neue Daten zur Intensivierten Blutdruckeinstellung. Vorteil von Zielwert unter 130 mmHg, Informationen des Arznei-Telegramms 2021;52:68-9

Apothekerin Dr. Martina Wegener

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