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Prinzip Eigenverantwortung

Foto: DAZ/Alex Schelbert

Dr. Doris Uhl, Chefredakteurin der DAZ

Es ist schon erstaunlich, wie schnell der unfassbare Krieg in der Ukraine die mediale Aufmerksamkeit weg von der Corona-Pandemie gelenkt hat. Generäle a. D. haben Virologinnen und Virologen abgelöst und erklären nun die Weltlage, während trotz hoher Corona-Infektionszahlen in Schulen, Stadien, Konzertsälen, Restaurants, Kaufhäusern und sogar in Apotheken die Masken fallen dürfen.

Das neue Zauberwort der Pandemiebekämpfung lautet Eigenverantwortung. So liegt es jetzt auch in der Hand der Apothekenleitung, von ihrem Hausrecht Gebrauch zu machen und darauf zu bestehen, eine Maske zu tragen. Argumente dafür gibt es zur Genüge: Beim Personal zählen dazu neben dem Gesundheitsschutz für jeden Einzelnen auch die Verantwortung gegenüber dem Betrieb, der Personalausfall nur begrenzt verkraften kann. Solchen ­Argumenten werden sich die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Apotheke sicher nicht verschließen. Weniger problematisch wird es auch sein, das Hausrecht gegenüber Kundinnen und Kunden durchzusetzen, die ihre Eigenverantwortung ernst nehmen. Sie werden sich ohnehin nicht schutzlos hinter hustenden und schnupfenden Menschen in der Apotheke einreihen und müssen kaum überzeugt werden, dass Maskentragen in der Apotheke im Interesse aller ist. Doch dann gibt es noch diejenigen, die den „Coronahype“ noch nie ernst genommen haben oder sich einfach so sicher fühlen, dass sie jetzt auf ihren neuen Freiheiten bestehen. Hier das Hausrecht durchzusetzen, wird – wenn überhaupt – nur mit unerfreulichen und zeitraubenden Diskussionen möglich sein.

Warum uns die Politik und nicht zuletzt unser hoch gelobter Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach an dieser Stelle so im Stich lässt, ist absolut unverständlich. Wie kann man auf der einen Seite in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen und damit auch in Arztpraxen auf die Maskenpflicht bestehen, Apotheken aber – die oft erste Anlaufstelle bei Corona-Symptomen wie Kratzen im Hals oder Erwerb von Schnelltests nach Risiko-Kontakt sind – einfach Vergnügungsstätten wie Bars oder Fußballstadien gleichstellen? Noch unverständlicher ist an dieser Stelle der Wegfall der Quarantänepflicht für Infizierte und Kontaktpersonen ab dem 1. Mai. Stattdessen wird auch hier auf Freiwilligkeit gesetzt (s. S. 9). Infizierte können dann unbehelligt ohne Maske am öffent­lichen Leben teilnehmen.

Interessant ist ein Blick nach Österreich. Als dort zum 6. März die Masken in Innenräumen fielen, galt das nicht für Geschäfte des täglichen lebensnotwendigen Bedarfs. Maskenpflicht bestand weiterhin beispielsweise in Bäckereien, Supermärkten und selbstverständlich auch in Apotheken! In Österreich wurden damit dem Prinzip Eigenverantwortung klare Grenzen gesetzt: Menschen, die sich selbst nicht so gut schützen können, konnten weiterhin bei allen lebensnotwendigen Besorgungen auf den Schutz ihrer Maske-tragenden Mitmenschen setzen. Prinzip Eigenverantwortung in Deutschland bedeutet für besorgte und gefährdete Menschen hierzulande, dass sie sich zum Schutz ihrer Gesundheit aus „Eigenverantwortung“ noch mehr als bislang isolieren müssen.

PS: Österreich hat inzwischen die Maskenpflicht in Innenräumen wieder eingeführt. Die Lockerungen seien zu früh gewesen!

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