Arzneimittel und Therapie

Levothyroxin-Präparate doch austauschbar?

Eine US-amerikanische Studie wirft Fragen auf

du | „Der Switch zwischen Levo­thyroxin-Generika hat keinen signifikanten Einfluss auf TSH-Werte!“ Mit dieser in „JAMA Internal Medicine“ publizierten Botschaft überraschte eine US-amerikanische Arbeitsgruppe um Juan P. Brito Ende Februar die Fachwelt. Galt doch bislang auch in den USA, dass Levo­thyroxin-Präparate wegen der geringen therapeutischen Breite nach Möglichkeit nicht ausgetauscht oder nur unter engmaschiger TSH-Kontrolle substituiert werden sollten. Wir haben den Hamburger Endokrinologen und Interpharm-Referenten Prof. Dr. Onno Janßen gebeten, sich diese Studie näher anzuschauen. Im Gespräch mit der DAZ entzaubert er das Studiendesign und erklärt, warum an den einschlägigen Empfehlungen zum Substitutionsverbot festgehalten werden sollte.
Foto: Privat

Prof. Dr. Onno Janßen, Hamburg

Für die Studie hatten J. P. Brito und Kollegen Labordaten von 15.800 erwachsenen amerikanischen Patienten gesichtet, die im Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis zum 30. Juni 2019 mit einem generischen Levothyroxin-Präparat substituiert worden waren. Hier sind vor allem Generika von Mylan, Sandoz und Lannott verordnet worden. Die Auswertung fand in der Zeit von Dezember 2019 bis November 2021 statt. War der Wert des Thyreoidea-stimulierenden Hormons (TSH) über drei Monate stabil, wurde geschaut, wie sich die Fortsetzung der Therapie mit dem gleichen Präparat (n = 13.049) oder ein Wechsel auf ein anderes Präparat (n = 2780) auf den TSH-Wert auswirkte. Ein normaler TSH-Wert war definiert als 0,3 bis 4,4 mlU/l, ein deutlich abnormaler TSH-Wert als unter 0,1 oder über 10 mIU/l. Betrachtet wurde ein Zeitraum von sechs Wochen bis zu zwölf Monaten.

Aufschlussreich ist ein Blick auf die Levothyroxin-Dosierungen: 7306 (56%) der Non-Switcher und 1599 (57,5%) der Switcher wurden mit Tagesdosen von 50 µg und weniger substituiert, knapp 30% in beiden Gruppen mit 51 bis 100 µg. Diese Dosierungen lassen darauf schließen, dass ein Großteil der Patienten lediglich eine Teilsubstitution durchführte und noch über eine intakte Schilddrüsenrestfunktion verfügte.

Der TSH-Spiegel lag bei 82,7% der kontinuierlich mit einem Präparat behandelten Patienten im Normbereich, bei den Switchern bei 84,5%. Deutlich abweichende TSH-Werte wurden bei den Non-Switchern in 3,1% der Fälle gesehen, nach Präparatewechsel in 2,5% der Fälle. Im Schnitt lag der TSH-Wert sowohl in der Gruppe ohne Präparatewechsel als auch nach Switch bei 2,7 mlU/l. Die Autoren schließen aus diesen Ergebnissen, dass ein Präparatewechsel nicht mit einer signifikanten Veränderung des TSH-Wertes einhergeht. Die Erkenntnisse stellen ihrer Meinung nach die auch in den USA geltende Warnung vor einem Levothyroxin-Präparatewechsel infrage. Eine brisante Schlussfolgerung. Wie wird diese Studie in Deutschland bewertet? Darüber haben wir mit dem Facharzt für Innere Medizin, Endokrinologie und Diabetologie Prof. Dr. Onno Janßen vom Endokrinologikum Hamburg gesprochen.

DAZ: Herr Professor Janßen, wie bewerten Sie die Studie, was sind Ihre wichtigsten Kritikpunkte?

Janßen: Die Ergebnisse dieser Studie von Brito et al. sind durchaus interessant, nur die Aussage, dass Schilddrüsenpräparate, in diesem Fall speziell Generika, doch ausgetauscht werden können, ist nach den vorgelegten Daten nicht zulässig. Dem Design der Studie nach wurde eine Gruppe von Patienten mit einer zufälligen Verteilung einer Substitution mit Levothyroxin-Generika mit einer Subgruppe des gleichen Patientenkollektivs verglichen, bei denen die Substitution auf ein anderes Generikum umgestellt wurde. Als Messwerte wurden der mittlere TSH-Wert in den Gruppen und die relative Häufigkeit stark abweichender TSH-Werte, im Sinne einer dann bestehenden Hypo- oder Hyperthyreose, bestimmt. Diese Werte waren in den beiden Gruppen, also mit und ohne Umstellung auf ein anderes Generikum, gleich. Weitere Laborwerte oder eine Evaluierung des klinischen Befindens oder der Lebensqualität werden nicht aufgezeigt.

Die zwei wesentlichen Probleme der Studie sind, dass ein TSH im Referenzbereich mit einer Euthyreose und Wohlbefinden gleichgesetzt wird und dass nicht ein Generikum mit einem anderen, sondern nur zwei zufällige Patientengruppen mit einer Substitution mit mehr als drei verschiedenen Generika in verschiedener Kombination untersucht wurde.

Schilddrüsenunterfunktion, ein Dauerbrenner

Auch in der Apotheke hat man es täglich mit Hypothyreose-Patienten zu tun. Besonders gefragt ist die Beratung zur Levothyroxin-Substitutionstherapie, vor allem vor dem Hintergrund eines an sich obsoleten Präparatewechsels. Und wie sinnvoll ist eine Substitution mit Mikronährstoffen wie Iod und Selen? Antworten auf alle wichtigen Fragen rund um dieses Thema wird Ihnen unser Interviewpartner Prof. Dr. Onno Janßen in seinem Vortrag im Rahmen des Pharmazeutischen eKongresses am 25. März 2022 geben.

Weitere Informationen und Tickets erhalten Sie unter www.interpharm.de

Zum ersten Punkt: Ein TSH-Wert im Referenzbereich schließt zwar eine ausgeprägte Schilddrüsenfehlfunktion weitgehend aus – dies bedeutet aber nicht, dass der TSH-Wert in diesem Bereich beliebig ist, im Gegenteil. Wir alle haben jeweils einen viel enger begrenzten TSH-Bereich, in dem wir uns wohlfühlen, so wie wir auch eine individuelle Schuhgröße haben und uns nicht alle gängigen Schuhgrößen passen. Zum anderen gleichen sich mögliche Unterschiede in der Bioverfügbarkeit oder der therapeutischen Potenz verschiedener Generika aus, wenn nur der TSH-Mittelwert zweier Gruppen von Patienten untersucht wird. Wenn also ein Generikum eher höhere TSH-Werte verursachen würde und ein anderes eher niedrigere TSH-Werte, würde das in dieser Untersuchung nicht auffallen, da nur der Mittelwert aller untersuchter Werte ermittelt wurde. Eine Aussage über die Vergleichbarkeit – oder Nicht-Vergleichbarkeit – zweier Schilddrüsenpräparate ließe sich nur im direkten Vergleich treffen.

Darüber hinaus hat die Studie von ­Brito et al. auch noch weitere Schwachpunkte. Da es sich um eine retrospektive Studie handelt, ist nicht klar, nach welchen Kriterien ein Patient ein anderes Präparat bekam und nach welchen Kriterien er welches andere Präparat bekam: Hier ist ein Bias in alle Richtungen möglich, z. B. auch, dass dies bei Patienten geschah, bei denen – nach welchen Kriterien auch immer – ein Austausch als unproblematisch angesehen wurde. Ein Großteil der Patienten erhielt zudem nur eine Teilsubstitution bis maximal 50 µg Levothyroxin pro Tag, sodass von einer Restfunktion der Schilddrüse auszugehen ist und ein Präparatewechsel ggf. weniger problematisch wäre. Auch wurden in der Studie nur Generika untereinander und nicht mit Originalpräparaten verglichen, die auch in den USA einen signifikanten Marktanteil haben. Unabhängig von der obigen Interpretation sind die Studiendaten nicht auf Deutschland übertragbar, da die Präparate am amerikanischen Markt andere sind als die hier in Deutschland erhältlichen.

DAZ: Noch einmal zu dem Punkt, dass ein hoher Anteil an Patienten mit einer niedrigen Levothyroxin-Dosis behandelt wurde, was auf eine erhaltene Restfunktion der Schilddrüse schließen lässt. Was bedeutet das im Umkehrschluss für den Austausch von niedrig dosierten Levothyroxin-Präparaten? Ist er bei erhaltener Teilfunktion problemlos möglich?

Janßen: Diese Schlussfolgerung ist problematisch, da zunächst schon unklar ist, wo die Grenze gezogen werden soll: bei 50 µg Levothyroxin? Es kann durchaus einige wenige Patienten geben, die mit 50 µg Levothyroxin schon eine Vollsubstitution haben. Auch Kinder haben mit niedrigen Dosierungen eine Vollsubstitution, die müssten dann von einer solchen Regelung ausgenommen werden. Zum anderen entwickelt sich nicht selten aus einer Teilsubstitution später doch eine Vollsubstitution, z. B. bei Fortschreiten einer Hashimoto-Thyreoiditis zu einer atrophischen Thyreoiditis: Es würde die Therapie komplizieren, wenn hier nach unterschiedlichen Kriterien vorgegangen werden könnte.

DAZ: Wie soll Ihrer Meinung nach mit dieser doch sehr hochkarätig publizierten Studie umgegangen werden?

Janßen: Wie jede Beobachtungsstudie ist auch diese mit einer Prise Salz zu genießen. Die Schlussfolgerungen sind von großem Interesse, aber es erfordert weiterer Studien mit präziserer Methodik, um hier eine klare Aussage treffen zu können. Die Studie eignet sich nicht, um eine Austauschbarkeit von Schilddrüsenpräparaten, egal ob zwischen Generika oder allen Präparaten, nahezulegen oder nachzuweisen, da nur zwei gemittelte Kohorten mit verschiedenen Generika behandelter Patienten und nicht zwei Gruppen mit unterschiedlichen Generika behandelter Patienten untersucht wurden.

DAZ: Herr Professor Janßen, ganz herzlichen Dank für diese Einordnung.

 

Literatur

Brito JP et al. Association Between Generic-to-Generic Levothyroxine Switching and Thyro­tropin Levels Among US Adults. JAMA Intern Med, doi:10.100/jamainternmed.2022.0045, Published Online 28. Februar 2022

Das könnte Sie auch interessieren

Deutsche Schilddrüsenexperten präferieren Levothyroxin

Für wen welches Schilddrüsenhormon?

Ein kurzer Überblick zur richtigen Einnahme von Levothyroxin

Schilddrüsenhormone vergessen – und nun?

Neuer Hilfsstoff und neue Farbcodierung bei L-Thyroxin Aristo®

Kleine Änderung, viel Ärger?

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.