Arzneimittel und Therapie

Warum Sildenafil in Deutschland nicht rezeptfrei wird

Die wichtigsten Argumente des Sachverständigen-Ausschusses

dm/mab | Der Sachverständigen-Ausschuss für Verschreibungspflicht beim BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) hat im Januar den Antrag abgelehnt, Viagra und Co. in einer Dosierung von 50 mg aus der Verschreibungspflicht zu entlassen. Das nun veröffentlichte Ergebnisprotokoll der Sitzung zeigt, dass der Sildenafil-Switch durchaus intensiv diskutiert wurde.

Bei der Entscheidung für oder gegen die Entlassung aus der Verschreibungspflicht wurde insbesondere Augenmerk auf die Frage nach einem möglichen missbräuchlichen Gebrauch und das Nebenwirkungsspektrum des Phosphodiesterase(PDE)-5-Hemmers gelegt. Ein Blick in die EudraVigilance-Datenbank für Großbritannien – wo Sildenafil seit März 2018 als OTC verfügbar ist – zeigt, dass seit dem Switch 180 Fälle von Nebenwirkungen für Sildenafil 50 mg oder eine unbekannte Wirkstärke gemeldet wurden.

Offene Fragen zum Missbrauch

Für 36 dieser Fälle ist eine Anwendung im OTC-Setting wahrscheinlich. Davon gab es bei elf Fällen keine Angaben zum Einnahmegrund, zwölf Personen hatten das Präparat aufgrund einer erektilen Dysfunktion eingenommen. In zwölf weiteren Fällen lag keine erektile Dysfunktion vor, und es wurde ein Arzneimittelmissbrauch berichtet. Bei den Fällen ohne bekannten Einnahmegrund wurden vier als schwerwiegend eingestuft (drei Fälle von Priapismus, ein Fall von reduzierter Sehschärfe). Von den zwölf Personen, die Sildenafil aufgrund einer erektilen Dysfunktion eingenommen hatten, erlitt ein 46-jähriger Mann einen Herzstillstand mit konsekutivem Hirnschaden. Missbräuchlich wurde Sildenafil in sechs Fällen zur Steigerung der sexuellen Leistungsfähigkeit eingenommen, wobei in zwei Fällen Priapismus auftrat. In drei Fällen wurde von „psychologischer Abhängigkeit“ berichtet und in einem Fall sogar über die Vorbereitung einer Straftat (Vergewaltigung). Ein Ausschussmitglied gab zu bedenken, dass ein nicht bestimmungsge­mäßer Gebrauch in der Regel von den Anwendern nicht gemeldet werde. „Die dargestellten Daten, die sich auf Nebenwirkungsberichte bezögen, seien daher nicht geeignet, um die missbräuchliche Anwendung adäquat abzubilden.“

Langfristiger Gebrauch kritisch

Laut Präsentation des BfArM und der Fachinformation von Sildenafil ist bei der Mehrzahl der Patienten von einem langfristigen Gebrauch des PDE-5-Hemmers auszugehen. Dazu erklärt das BfArM, dass die Anwendung von Arzneimitteln, für die eine langfristige Anwendung vorgesehen ist, grundsätzlich im Rahmen einer OTC-Anwendung kritisch zu betrachten sei. „Für eine Verfügbarkeit ohne ärztliche Verordnung sind vorrangig Arzneimittel zur Kurzzeitanwendung geeignet“, heißt es unter Berufung auf die „Switch-Guideline“ der Europäischen Kommission von 2006. In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken, dass einer erektilen Dysfunktion häufig eine andere Erkrankung wie Diabetes mellitus oder Hypertonie zugrunde liegt. In diesen Fällen hat Sildenafil nicht nur eine verminderte Wirksamkeit (gegenüber dem Einsatz bei psychogen bedingter erektiler Dysfunktion), zudem könnte die eigenmächtige Einnahme von Sildenafil ohne Arztkontakt dazu führen, dass zugrunde liegende Erkrankungen nicht erkannt werden. Doch könnten Apotheker diese Beratungslücke nicht füllen? Untersuchungen haben gezeigt, dass die Patientenauswahl und -beratung durch Pharmazeuten korrekt erfolgte. Eine kontraindizierte Komedikation mit Nitraten wurde als unproblematisch dargestellt, da die Blutdruckeffekte bei gleichzeitiger Nitrat-Einnahme relativ gering sind und beide Substanzen eine kurze Halbwertszeit haben.

Nationale und zentrale Zulassungen

Insgesamt sah der Antragsteller kein erhöhtes Missbrauchspotenzial durch OTC-Sildenafil, weil Missbrauch bereits jetzt durch illegale Beschaffung möglich ist. Der OTC-Status würde seiner Auffassung nach dem Missbrauch also eher entgegenwirken. Das BfArM ist jedoch der Meinung, dass durch den Switch die Anwendungsschwelle bei (jungen) Männern ohne erektile Dysfunktion sinken würde. Zudem erscheint es dem Ausschuss fraglich, Sildenafil in der 50-mg-Dosierung für den OTC-Gebrauch vorzusehen, Sildenafil 25 mg mit der gleichen Indikation aber verschreibungspflichtig zu lassen. Auch wären zentral zugelassene Arznei­mittel von einer nationalen Änderung der Verkaufsabgrenzung nicht be­troffen gewesen. Immerhin sind laut BfArM von den 89 oralen 50-mg-­Sildenafil-Arzneimitteln 50 zentral zugelassen. Als Fazit empfahl der Ausschuss einstimmig, den Antrag abzulehnen und die Verschreibungspflicht für Sildenafil ohne Ausnahmen in Deutschland beizubehalten. |

Literatur

Ergebnisprotokoll der 85. Sitzung (25. Januar 2022 per Videokonferenz) des Sachverständigen-Ausschusses für Verschreibungspflicht nach § 53 Absatz 2 AMG

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