DAZ aktuell

Warnung vor Iod-Prophylaxe

Arzneimittelkommission und Bundesamt raten von Eigenanwendung ab

cel/mab | Derzeit besteht keine nukleare Gefahr für Deutschland. Sowohl die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker AMK als auch das Bundesamt für Strahlenschutz BFS raten ausdrücklich von einer Selbstmedikation mit hoch dosiertem Iod ab. Ohnehin schützt eine zu frühe Iod-Prophylaxe nur unzureichend, zudem macht radioaktives Iod nur einen Teil der schädlichen Substanzen bei nuklearen Zwischenfällen aus.

Die AMK (Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker) rät dringend von einer eigenmächtigen Iod-Blockade ab. „Eine Selbstmedikation birgt erhebliche gesundheitliche Risiken, hat aktuell aber keinerlei Nutzen“, erklärt die AMK. Derzeit gebe es in Deutschland keine rationale Begründung für die Einnahme hoch dosierter Iod-Präparate aufgrund der Situation in der Ukraine, da keine Belastung durch radioaktives Jod gegeben sei, betont die Kommission.

Nachfrage nach Iod-Blockade

Zur Erinnerung: Russlands Präsident Wladimir Putin hatte am 27. Februar 2022 seine Atomstreitkräfte in Alarmbereitschaft versetzt. Zudem schüren Kampfhandlungen in der Ukraine, die Lager für radioaktive Abfälle in Kyjiw und Charkiw betreffen, sowie die Besetzung der Sperrzone um den verunglückten Reaktor in Tschernobyl durch russische Truppen die Angst vor nuklearen Folgen – wohl auch bereits in Deutschland. Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) geht jedoch davon aus, dass radiologische Auswirkungen auf Deutschland nach dem Stand der verfügbaren Informationen nicht zu befürchten seien, erklärte das BfS am Sonntag. Man beobachte jedoch die Situation in der Ukraine aufmerksam. Dennoch kocht das Thema um eine prophylaktische Iod-Einnahme, um sich vor Aufnahme radioaktiven Iods zu schützen, derzeit hoch, sodass sich neben der AMK auch Wissenschaftler bemüßigt sehen, Stellung zu beziehen. Auch das BFS versucht zu verdeutlichen, für wen und wann eine Iod-Blockade sinnvoll ist und wo ihre Grenzen liegen.

Foto: Schlierner/AdobeStock

Hochdosiertes Iod sollte nur auf explizite Anweisung der Katastrophenschutzbehörden eingenommen werden, nicht jedoch in der Selbstmedikation.

Iod statt radioaktives Iod

Die Ratio einer hoch dosierten Iod-Prophylaxe ist, dass bei Unfällen oder Angriffen auf Kernkraftwerke oder durch Detonation von Nuklearwaffen radioaktive Stoffe freigesetzt werden: So auch Iod 131, das dann über die Luftwege oder Nahrung und Getränke aufgenommen werden kann. Radioaktives Iod hat allerdings die gleichen chemischen und biologischen Eigenschaften wie auch normales Nahrungs-Iod, weswegen es in gleicher Weise in der Schilddrüse gespeichert wird und Schilddrüsenkrebs verursachen kann. Kurzum: Die Schilddrüse unterscheidet nicht zwischen Nahrungs-Iod und radioaktivem Iod.

Eine hoch dosierte aktive Iod-Einnahme bei nuklearen Zwischenfällen soll die Schilddrüse mit Iod sättigen, sodass diese kein radioaktives Iod mehr speichern kann. Für eine solche Iod-Blockade sind enorme Mengen an Iod vonnöten – während man für eine Iod-Mangelprophylaxe Präparate im Mikrogrammbereich anwendet (z. B. Jodid Hexal 100 µg bzw. 200 µg), erfordert eine Iod-Blockade die bis zu tausendfache Menge, wobei nach Alter dosiert wird: In der Regel nehmen 13- bis 45-Jährige einmalig 130 mg Kalium­iodid ein, was 100 mg Iodid entspricht.

Vor allem Kinder und Schwangere, nicht für ab 45-Jährige

Besonders wichtig, sollte eine Iod-­Blockade erforderlich werden, ist, dass Kinder und Schwangere Iod einnehmen, da die Schilddrüse bei Kindern besonders empfindlich sei, erklärt das Bundesamt für Strahlenschutz. Bei Schwangeren soll durch die Iod-Blockade vornehmlich das ungeborene Baby geschützt werden, das auf die mütterliche Iod-Zufuhr angewiesen ist. Hingegen rät das Bundesamt von einer Iod-Prophylaxe bei ab 45-Jährigen ab. Bei ihnen überwögen die Nebenwirkungen der Hochdosis-Iod-Therapie den Nutzen der Iod-Blockade mit der Intention, Schilddrüsenkrebs zu vermeiden.

Nur nach Aufforderung der Katastrophenschutzbehörde

Allerdings sollten Iod-Tabletten in dieser Menge „nur nach ausdrücklicher Aufforderung durch die Katastrophenschutzbehörden eingenommen werden“, erklärt das Bundesamt für Strahlenschutz und weist darauf hin, dass hoch dosiertes Iod Nebenwirkungen mit sich bringt. Deswegen rät das Bundesamt für Strahlenschutz, wie auch die Arzneimittelkommission, von der „Eigenanwendung dringend“ ab. Auch betont das BfS, dass im Fall einer erforderlichen Iod-Blockade sodann eine einmalige Applikation genügt. Weiteres Iod sollte nur auf Empfehlung der Strahlenschutzbehörde eingenommen werden.

Auf den richtigen Einnahmezeitpunkt kommt es an

Dass eine hoch dosierte Iod-Prophylaxe nur auf ausdrückliches Kommando der zuständigen Katastrophenschutzbehörden erfolgen sollte, begründet sich darin, dass sowohl eine zu frühe wie auch zu späte Anwendung den maximalen Nutzen verfehlen. Bei zu früher Einnahme könne nicht radioaktives Iod schon wieder abgebaut sein, wenn radioaktives Iod aufgenommen werde, warnt das BfS. Bei verzögerter Einnahme hingegen war das radioaktive Iod schneller und hat sich bereits in der Schilddrüse eingelagert, was ebenfalls den Iod-Schutz beschränkt.

Entfernung, Windverhältnisse und freigesetzte Menge

Ob die Katastrophenschutzbehörden nach nuklearen Zwischenfällen dazu auffordern, prophylaktisch Iod einzunehmen, hängt davon ab, ob ein Risiko für die Bewohner besteht und ob radioaktives Iod über die Luft in die Region kommen kann. Das wiederum werde beeinflusst davon, „wie viel radioaktives Iod freigesetzt wird, wie weit der Unfallort entfernt liegt und wie die Wind- und Wetterverhältnisse sind“, erklärt das BfS.

Radioaktives Iod ist nicht das einzige Problem

Einen weiteren wichtigen Punkt gibt es zu beachten: Bei nuklearen Unfällen ist radioaktives Iod nicht das alleinige Problem. So twitterte Professor Martin Smollich (Institut für Ernährungsmedizin des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein und Betreiber von Ernährungsmedizin.blog) am 1. März 2022: „Die Iod-Blockade schützt ausschließlich vor der Aufnahme von radioaktivem Iod in die Schilddrüse. Vor allen (!) übrigen Schäden einer Kernwaffenexplosion (Druckwelle, Licht-/Wärme-/ionisierende Strahlung, Fallout, EMP) schützen Iod-Tabletten NICHT.“ Und weiter: „Damit ist klar: Die Schilddrüsenschädigung durch radioaktives Iod macht nur einen mini­malen Bruchteil der Gesundheitsschäden einer Kernwaffenexplosion aus.“

Nach Angaben der AMK haben die für den Katastrophenschutz zuständigen Behörden 189,5 Millionen hoch dosierte Kaliumiodid-Tabletten bevorratet, die bei Bedarf und nach Aufforderung der Behörden an die Bevölkerung ausge­geben werden sollen. |

Literatur

Stellungnahme zur Verwendung von Iod-Tabletten bei einem Notfall mit Freisetzung von radioaktivem Iod. Informationen der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK), Online Meldung vom 1. März 2022

BfS beobachtet Situation in der Ukraine. Information des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS), 27. Februar 2022

Twitter-Meldung von Martin Smollich, 1. März 2022. 11:53 Uhr

Einnahme und Wirkung von Iod-Tabletten. Information des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS), www.bfs.de/DE/themen/ion/notfallschutz/notfall/fukushima/jodblockade.html, Abruf am 2. März 2022

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