Gesundheitspolitik

Der Apotheken-Ökonom: Politik im Sommer

Die assimilierte Gesellschaft

Prof. Dr. Andreas Kaapke

Hat das Corona-Virus die Republik und die Welt 2020 und 2021 in Atem gehalten, mag man sich gegenwärtig verwundert die Augen reiben, in welch vergleichbar geringem Ausmaß das Thema derzeit adressiert wird. Allein wenn man die Nachrichtensendungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bemüht, schafft es Corona mit Beginn des Jahres 2022 nie oder absolut selten auf Platz 1 der Nachrichten, so es überhaupt in den Hauptnachrichten erscheint. Betrachtet man, welche Inzidenzwerte zu Beginn der Pandemie 2020 als absolut dramatisch etikettiert wurden, sind Werte, die erheblich höher sind, nur noch für ein müdes Lächeln zu gebrauchen, und auch die Begleiterscheinungen der Pandemie sind anderen Themen untergeordnet worden. Mithin verdichtet sich der Eindruck, dass wir uns aus Sicht der diesbezüglich assimilierten Gesellschaft in einer Post-Corona-Phase befinden. Natürlich haben andere Hotspot-Bereiche daran Anteil, wie lange es ein Themenschwerpunkt schafft, en vogue zu sein. Aber Klimakrise, Energiekrise, Lieferengpässe und selbstverständlich der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine dominieren alles, so auch die „thematische Dauerwurst“ Corona.

Die hinsichtlich Corona müde berichterstattete Gesellschaft reagiert als assimilierendes Subjekt, nimmt die Dinge nun als gegeben wahr und richtet die Blicke auf das Neue, auf das Unvermeidliche. Dabei mag eine Rolle spielen, dass der Russland-Ukraine-Krieg territorial vergleichsweise weit entfernt stattfindet und sich deshalb relativ bequem darüber fachsimpeln lässt. Es mag auch sein, dass die Lieferverfügbarkeiten oder eben Nicht-Verfügbarkeiten noch von den Kompensationsmöglichkeiten überlagert scheinen und ein wirklicher, ggf. sogar existenzieller, zumindest aber schmerzhafter Verzicht nur selten oder gar in den Köpfen vieler nur theoretisch existiert, aber nicht in weiten Gesellschaftskreisen verinnerlicht wurde. Und schließlich kamen in der Wahrnehmung der Bevölkerung die Klimakrise und der Klima­wandel nicht über Nacht und müssen einer einfachen Arithmetik der Mehrheit folgend auch nicht über Nacht geheilt werden.

Vielleicht ist aber die Bevölkerung der Schizophrenie der oft politisch motivierten Äußerungen überdrüssig, die suggerieren, dass entweder alles in den Griff zu bekommen sei („Wir schaffen das“), oder deren Warnungen derart alternativlos anmuten, dass man ob der fehlenden Kalibrierung der Politik auch dieses Mahnen als übertrieben empfindet und folgerichtig in das Reich der Fabeln verbannt. Wenn also Gesundheitsminister Lauterbach in seiner Rolle als Minister den Mahner macht, sind seine Durchdringungschancen deutlich schwächer als aus der vorministeriellen Rolle des Themenbegleiters heraus, in der er – was der breiten Öffentlichkeit durchaus zu gefallen schien – bis zur Besinnungslosigkeit ohne spürbare Konsequenzen kommentieren konnte und auch kommentierte und damit den damaligen Gesundheitsminister Spahn vor sich her trieb.

Auch der aktuell populärste Minister Habeck ergeht sich gegenwärtig in Unkereien. So stufte er, bevor die Wartungsarbeiten an Nordstream 1 überhaupt ab­geschlossen waren, schon das ultimative Ende der Gaslieferungen Russlands an den Westen und damit auch an Deutschland als wahrscheinlich ein.

Diese faktische Gemengelage aus tatsächlichen Bedrohungen und bagatellisierender oder dramatisierender Politikrhetorik trifft auf eine ermüdete Gesellschaft. Die Lockdowns und Beschränkungen der jüngeren Vergangenheit stellten wohl für viele die massivsten Einschnitte in ihrem bisherigen Leben dar. Man muss kriegserfahren sein, um derlei Entwicklungen ausgesprochen lässig hinzunehmen, hat man dabei doch ganz anderes erleben müssen. Das Verhalten vieler ist trotz allem obrigkeitstreu. Solange die Maskenpflicht galt, war die Verwei­gerungsquote gering, und in Bahnen und Bussen, wo sie nach wie vor gilt, ist das, was außerhalb der Transportmittel kaum mehr durchsetzbar scheint, kein wirklich großes Problem. Nachvollziehbar waren und sind viele Regeln nicht wirklich, zum einen wegen ihrer fehlenden inhaltlichen Stringenz sowie ihrer Widersprüchlichkeit zu und Nichtvereinbarkeit mit anderen Regeln, zum anderen aber auch im Vergleich mit anderen Ländern und den dort getroffenen Maßnahmen.

Die Anzahl der Veranstaltungen, auf denen munter die Corona-Pandemie als überwunden ausgewiesen wird, ist steigend. Der kommende Herbst wird vermutlich vielen aufzeigen, wie verfrüht eine derartig vollmundige Prognose anmutet. Ob wie in den Vorjahren die Politik ohne nachgewiesene Korrelation zur Wirksamkeit neuerliche Lockdowns für Handel und Gastronomie ausrufen wird, ob die Rückkehr der Maskenpflicht ansteht oder nicht, Corona hat uns gelehrt, wie fragil das gesellschaftliche Miteinander ist und wie schnell nicht nur das lebenswerte Leben aus den Fugen ge­raten kann.

Für die Apotheken wird demnach im dritten Jahr in Folge ein Herbst/Winter einsetzen, der dann den Abverkauf in klassischen Indika­tionsfeldern unter den Werten aus 2019 und davor wahrscheinlich macht. Die bewährten infrastrukturellen apothekerlichen Angebote rund um das Virus werden aber vermutlich schneller, üppiger und noch professioneller gebraucht, als wir dies derzeit annehmen. Die assimilierte Gesellschaft wird sich dann zurückassimilieren müssen, und die Debatte um Impfpflicht und vergleichbare Streitpunkte wird neue Nahrung erhalten. |

Andreas Kaapke ist Professor für Handelsmanagement und Handelsmarketing an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW), Standort Stuttgart, und Inhaber des Beratungsunternehmens Prof. Kaapke Projekte. E-Mail: a.kaapke@kaapke-projekte.de

 

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