Gesundheitspolitik

Der Apotheken-Ökonom: Von Wundertüten und Horrorszenarien

Ausblick auf 2022

Andreas Kaapke ist Professor für Handelsmanagement und Handelsmarketing an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW), Standort Stuttgart, und Inhaber des Beratungsunternehmens Prof. Kaapke Projekte. E-Mail: a.kaapke@kaapke-projekte.de

Es wird ein spannendes Jahr für Apotheken und viel wird übers Jahr hin davon abhängen, wie stark und intensiv ein neuer, rühriger Gesundheitsminister von einer Pandemie absorbiert wird, die dann zwei Jahre und länger andauert. Gegenwärtig nimmt es den Anschein, dass dies so kommen wird, alle anderen Szenarien würden den Eindruck vermitteln, dass man neuerlich keine Lernkurve aus den Monaten zuvor zu fliegen bereit ist. Mehrfach war die Überwindung der Pandemie schon proklamiert worden, neue Varianten und immer wiederkehrende Wellen bei noch höheren Fallzahlen lassen daran zunehmend Zweifel aufkommen, sodass deren Bekämpfung und Überwindung in den Tagen der Übergabe der Amtsgeschäfte das zu Recht höchste Gewicht eingeräumt wurde.

Es soll nicht zynisch klingen, wenn dies den Apotheken in zweifacher Hinsicht im Jahr 2022 Spielräume eröffnet. Den einen schon im Jahr 2021 genutzten Spielraum gilt es weiter zu bespielen und auszuweiten. Die Distribution – barrierefrei, effizient und sicher – von Impfstoffen, Masken, Testpackungen usw., die geräuschlos und flächendeckend erfolgte, hat den Charme des seit Jahrzehnten bewährten Modells über Großhandel und Apotheken eindrücklich bewiesen. Die gewählte Formulierung deutet aber schon darauf hin, dass dies zuvor nicht jedem klar war bzw. manchem erst intensiv klar gemacht werden musste. Die zweite Chance liegt darin, dass der in der Vergangenheit den Apotheken nicht immer und nicht wirklich wohlgesonnene Gesundheitsminister Lauterbach dann einer pandemiebestimmten Prioritätenliste folgen muss, wobei Detailfragen der Apothekerschaft vermutlich nicht oder weit hinten auf der abzuarbeitenden Agenda stehen.

Damit ist aber nicht gemeint, dass andere das Gesundheitsressort betreffende oder tangierende Themen der Ampelkoalition gänzlich dem Corona-Management unter­geordnet würden. Die Kosten der Pandemie werden diese Volkswirtschaft dazu zwingen, an anderer Stelle Ausgaben zu reduzieren. Sind auch alle Ressorts dazu aufgefordert, ist es seit nunmehr fast 20 Jahren ein Klassiker der Gesundheitspolitik, Kostendämpfungen vorzunehmen. Insbesondere bei SPD- und Grünen-dominierter Gesundheitspolitik konnte dies in der Vergangenheit festgestellt werden. An sich zeigt Corona eindrücklich, dass Gesundheit eben gerade nicht zu budgetieren ist, dass die vermeintlichen Sparzwänge der Vergangenheit die nun klaffenden Lücken in der Pflegeversorgung mit zu verantworten haben und demnach Kürzungen bei wem auch immer im System dessen Zersetzung tendenziell befeuern würden und das Problem nicht lösen helfen. Ob demnach aus der Pandemie und den dadurch beobachtbaren Struktur­defiziten die richtigen Lehren gezogen werden, ist fraglich.

Hier wird das Jahr zeigen, wie schnell das Ministerium in einen umfassenden operativen Arbeitsmodus findet, wie sehr der Minister die diversen Politikfelder im Gesundheitswesen maßgeblich zu beeinflussen trachtet und wie viel Erneuerung bei wie viel Kon­tinuität den Arbeitsalltag der Gesundheitspolitik bestimmen wird.

Die Mandatsträger der Apotheker sind ermuntert, schnellstmöglich Kontakt zum Ministerium aufzunehmen. Man mag über den Amtsvorgänger Spahn denken, was man will, zugänglich, diskussionsfreudig und halbwegs ergebnis­offen war er wie kaum einer der Vorgänger. Lauterbach kommt auch aus der Ökonomie und er hat sich – obgleich vor seiner letztlich doch überraschenden Inthronisierung nahezu isoliert – durch einen unnachahmlichen, gebetsmühlenartigen PR-Stil fast aussichtslos bis ins Ministerium genölt. Die Fliege und nun der konsequente Nicht-Binder-Stil haben gerade Kultstatus, nicht die schlechtesten Startchancen. Nun ist aber das Ministerium nicht gerade ein Gewinner-Posten, irgendwen treffen Kürzungen immer, die Kosten explodieren, die Leistungen könnten immer noch besser sein und die Pandemie wirkt wie ein Spaltpilz der Gesellschaft. Wie dick die Bretter sein dürfen, die Lauterbach bohren kann, wird eine der wichtigsten Erkenntnisse im Jahr 2022 werden.

Die Standesvertretung mit den immer noch neuen Mandatsträgern ist nun etabliert, nach einer ggf. eingeräumten Schonfrist müssen nun – da die neue Regierung die Geschäfte vorantreiben wird – inhaltliche Positionen eindeutig und klar besetzt, mit Vehemenz verfochten und gut verargumentiert werden. Ein Minister im Format eines Lauterbach versteht angriffslustige Out-of-the-Box-Beweisführung eher als vornehme Biedermeierei. Hier werden für künftige Verhandlungen die Good-Guy- und Bad-Guy-Rollen vorzubereiten und zu besetzen sein. Vornehme Zurückhaltung sichert maximal den Status quo, gewinnt sicher nichts hinzu und wird ggf. falsch verstanden. Zu lautes und aggressives Auftreten zu früh platziert mag auch nicht angezeigt sein, aber sich früh in Stellung zu bringen, sich argumentativ klar und unmissverständlich zu positionieren und lieber einmal zu viel als nie über das Ziel hinauszuschießen, wird wohl für 2022 standespolitische Aufgabe werden. Wie aber begegnet man Wundertüten, Windfahnen und Pandemiedeutern? Die ABDA wird es wissen oder jemanden fragen, der es wissen könnte, oder aber – drittes Szenario – es so machen wollen, wie so oft: den vornehmen Stil fortsetzen – und dann wohl vom Minister konsequent und gebetsmühlenartig weggenölt werden. |

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