Telepharmazie

Telepharmazie ist die Zukunft oder eher nicht?

Pro

„Gerade in der Telepharmazie-Sprechstunde kann das pharmazeutische Personal seine besonderen Beratungsfähigkeiten bundesweit anbieten.“

Margit Schlenk betreibt seit 1999 die Moritz Apotheke in Nürnberg und seit 2009 die NM-Vital-Apotheke in Neumarkt. Im vergangenen Jahr gründete sie mit drei weiteren Apothekern und einem IT-Spezialisten die Telepharmazie-Plattform „Apomondo“, zu deren Angebot auch IHK-zerti­fizierte Fortbildungen für das pharmazeutische Personal ge­hören.

Telepharmazie ist ein Muss im Beratungsportfolio der modernen Vor-Ort-Apotheke. Jede Apotheke wird Telepharmazie-Beratungen entweder aus der Offizin heraus oder im mobilen Arbeiten von überallher anbieten müssen. Dies ist im derzeitigen Corona-Lockdown mit Homeoffice-Gebot bzw. -Pflicht unverzichtbar, aber auch in Zeiten nach der Pandemie. Unter den Apothekenangestellten wollen auch die Apothekerinnen und Apotheker sowie die PTA diese Form des Arbeitens nutzen – in der Elternzeit, in Vertretung, im Familienkontext, als Patchwork-Arbeitszeitmodell. Trotz familiärer und privater Verpflichtungen kann und soll so die Personalnot in der Apotheke abgefangen werden.

Gerade in der Telepharmazie-Sprechstunde kann das pharmazeutische Personal seine besonderen Beratungsfähigkeiten bundesweit anbieten. ­Themen gibt es genug: Von Anwendungshinweisen bis zum Medikationsmanagement, von gesundheitlicher Aufklärung bis hin zu Lebensstilinterventionen.

Mit der Einführung des E-Rezeptes und der Schaffung des Botendienstes als Regelleistung wird es geradezu zwingend, dass die pharmazeutische Dienstleistung in der Customer Journey weiterhin als Conditio-sine-qua-non wahrgenommen wird – schon aus Aspekten des Verbraucherschutzes und der Arzneimitteltherapiesicherheit heraus. Telepharmazie muss am besten schon seit Beginn der Corona-Pandemie aus den Vor-Ort-Apotheken erbracht werden können. Dazu gehört auch die Fortbildung und Qualitäts­sicherung der erbrachten Leistung – gerne weiterqualifiziert als Tele-PTA (IHK) oder als Apotheker für angewandte Telepharmazie (IHK).

 

Kontra

„Nicht in ‚digital‘, sondern besser ‚vor Ort‘ investieren!“

Dr. Hermann Vogel jun. betreibt mit seiner Frau mehrere Apotheken in München und engagiert sich seit 20 Jahren als Initiator zahlreicher digitaler Projekte im Apotheken­bereich. Im Jahr 2000 gründete er apotheken.de, 2011 konzeptionierte er für den inzwischen verstorbenen Wort&Bild-Verleger Rolf Becker die erste Apotheken-App, 2017 entwickelte er die Apotheken-App ApoSync, die seit April 2020 von der ARZ Haan Gruppe angeboten wird.

Digitale Pionierarbeiten von Apothekerinnen und Apotheker für den Berufsstand verdienen Respekt – gerade in Pandemiezeiten und hinsichtlich Telepharmazie.

Es stellt sich aber die Frage, ob Telepharmazie eine Standarddienstleistung inklusive Weiterbildung werden oder dies doch eher ein Spezial-Serviceangebot einzelner Apotheken bleiben sollte. Ich meine Letzteres! Denn ein Rückblick auf die letzten 20 Jahre „Online-Pharmazie“ offenbart, dass bei digitalen Geschäftsfeldern, wie dem E-Commerce, die deutschen Apotheken chancenlos bzw. vor Ort komplett aus dem Markt gedrängt worden sind. Shop Apotheke und DocMorris sind hier die „Amazons“ der Arzneimittelversandhandelsbranche geworden. Kein deutscher Apotheker vor Ort spielt dabei inzwischen noch eine Rolle. Der digitale pharmazeutische „Erfolg“ bleibt offensichtlich nur ganz wenigen Großen vorbehalten.

Warum sollte es bei der Telepharmazie anders werden? Würde ein von den Krankenkassen bezahltes Geschäftsfeld wie digitale pharmazeutische Beratung tatsächlich den Apotheken vor Ort langfristig erhalten bleiben? Wahrscheinlich nicht. Und nicht, weil die Apotheker die schlechteren pharmazeutischen Berater wären, sondern schlichtweg, weil keine Apotheker­organisation und schon gar kein einzelner Apotheker mit einem vom Kapitalmarkt finanzierten Online-Dienstleister mittelfristig konkurrieren könnte. Die Früchte der Pionier- und Aufbauarbeit der Kollegen hinsichtlich Telepharmazie dürften dann langfristig andere ernten.

Mein Fazit lautet also: Nicht „in digital“, sondern besser „vor Ort“ inves­tieren! Klingt nicht sexy, ist aber eine logische Schlussfolgerung.

Denn auch wenn das Angebot von (Grippe-)Impfungen und Corona-Schnelltests bestimmt nicht für jede Apotheke infrage kommt, sind dies jedoch Beispiele für neue Service­angebote, die auch langfristig den Apotheken vor Ort exklusiv vorbe­halten bleiben dürften.

Die wichtigste Geschäftsgrundlage der noch verbliebenen 18.000 Präsenz­apotheken ist die Flächendeckung und die damit verbundene Versorgung und jederzeit verfügbare Beratung der gesamten Bevölkerung innerhalb von „Stunden“. Dass dieses „Apothekennetz“ in vielen Regionen gerade von Kollegen mit eingeschränkten wirtschaftlichen und personellen Ressourcen aufrechterhalten wird, sollte von allen Apotheken niemals vergessen werden. Zukünftige Investitionen in pharmazeutische Dienstleistungen müssen deshalb für jede Apotheke zumutbar und mit nachhaltigen Erträgen refinanziert werden (können), ohne dass übermächtige digitale Konkurrenz droht. Die seit Jahren stagnierende Vergütung lässt hier leider nicht viel Spielraum.

Die von den Kollegen bisher ins Leben gerufenen Telepharmazie-Projekte sollten als ein Beispiel und Nachweis für die Innovationskraft der Apotheke vor Ort anerkannt und gelobt werden. Unsere Standesvertretung sollte dies unbedingt als Stärke und Leistungsfähigkeit der Apotheken positiv vermarkten. Denn während vor Kurzem DocMorris noch mit „analogen“ Omnibussen die Bevölkerung pharmazeutisch zu betreuen plante, konnten deutsche Apotheker vor Ort in der Corona-Krise kurz­fristig digitale Lösungen für pharmazeutische Beratungen schnell und effizient bereitstellen. Das verdient höchste Anerkennung!

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