Arzneimittel und Therapie

Der frühe Vogel fängt den Wurm

LDL-Cholesterol-Wertsenkung in jungen Lebensjahren zahlt sich aus

mab | Der typische Statin-Patient in der Apotheke ist meist mittleren oder älteren Alters. Neue Daten zeigen nun, dass die kumulative LDL-Cholesterol-Exposition auch schon bei jungen Menschen über die Lebenszeit das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen erhöht.

Dass erhöhte LDL(Low Density Lipoprotein)-Cholesterol-Werte einer der Hauptrisikofaktoren für arteriosklerotische Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind, ist seit Langem bekannt. Ebenso, dass Lipid-senkende Therapeutika wie Statine dieses Risiko immens senken können. Da sich eine Atherosklerose jedoch sehr langsam über Jahre hinweg entwickelt, liegt es nahe, frühzeitig mittels Lipid-senkenden Therapeutika dieser Entwicklung vorzubeugen. Dennoch gibt es in Leit­linien bisher keine klare Empfehlung dafür, in welchem Alter mit einer Lipid-senkenden Therapie begonnen werden sollte. Und auch Beobachtungsstudien liefern aufgrund der engen Einschlusskriterien bei der Probandenwahl (Stichwort Alter) diesbezüglich nur unzureichend Informationen.

Um hier mehr Licht ins Dunkel zu bringen, hat sich die Arbeitsgruppe um Zhang et al. im Rahmen einer Kohortenstudie die Frage gestellt, inwieweit eine kumulative Exposition mit erhöhten LDL-Cholesterol-Werten das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen erhöht. Dazu werteten die Wissenschaftler die gepoolten Daten von vier prospektiven Studien in den USA vom Zeitraum zwischen 1971 und 2017 aus. Alle 18.288 Probanden (56,4% Frauen) hatten mindestens zweimal im Alter zwischen 18 und 60 Jahren eine LDL-Cholesterol-Wertmessung im Abstand von mindestens zwei Jahren erhalten. Mindestens ein Messzeitpunkt musste davon im Alter zwischen 40 und 60 Jahre liegen. Es sollte untersucht werden, ob ein möglicher Zusammenhang zwischen kardiovaskulären Erkrankungen (koronare Herzkrankheit, ischämischer Schlaganfall, Herzinsuffizienz) und der kumulativen LDL-Cholesterol-Exposition (gemessen in mg/dl × Jahre), der zeitlich gewichteten durchschnittlichen LDL-Cholesterol-Exposition (= kumulative LDL-­Cholesterol-Exposition geteilt durch Expositionsdauer) oder der LDL-Cholesterol-Wert-Steigung existiert.

Foto: prin79/AdobeStock

Deutlicher Zusammenhang

Über den durchschnittlichen Nach­beobachtungszeitraum von 16 Jahren erkrankten 1165 Probanden an einer koronaren Herzkrankheit, 549 erlitten einen ischämischen Schlaganfall, und bei 1145 wurde eine Herzinsuffizienz diagnostiziert. Es zeigte sich, dass die kumulative LDL-Cholesterol-Exposition insbesondere das Risiko für eine koronare Herzkrankheit erhöhte. So ergaben sich unter Berücksichtigung des zuletzt im mittleren Lebensalter gemessenen LDL-Cholesterol-Spiegels und anderen kardiovaskulären Risikofaktoren folgende Hazard Ratios (HR) für koronare Herzkrankheit: HR = 1,57 für die kumulative LDL-Cholesterol-Exposition, HR = 1,69 für die zeitlich gewichtete durchschnittliche LDL-Cholesterol-Exposition und HR = 0,88 für die LDL-Cholesterol-Steigung. Für den ischämischen Schlaganfall und Herzinsuffizienz konnte dagegen kein solcher Zusammenhang festgestellt werden.

Die Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung einer frühen LDL-Cholesterol-Wertbestimmung auch schon bei jungen Menschen. Nur so können frühzeitig präventive Maßnahmen ergriffen werden, die das Risiko für atherosklerotische Herz-Kreislauf-­Erkrankungen reduzieren. In seinem Kommentar erläutert uns der Experte Professor Dr. Oliver Weingärtner, warum auch er dringenden Handlungsbedarf sieht und ab welchem Alter er eine LDL-Cholesterol-Wertmessung für angemessen hält. |

Literatur

Zhang Y et al. Association Between Cumulative Low-Density Lipoprotein Cholesterol Exposure During Young Adulthood and Middle Age and Risk of Cardiovascular Events. JAMA Cardiology 2021. doi:10.1001/jamacardio.2021.3508

Navar AM, Fanorow GC. Transforming the Paradigm for Lipid Lowering. JAMA Cardiology 2021. doi:10.1001/jamacardio.2021.3517

 

 

Screening schon mit dem Schulstart

Ein Kommentar zum Paradigmenwechsel in der kardiovaskulären Prävention

Sind die Studienergebnisse von Zhang et al. etwa der Start in eine neue Ära, in der auch schon junge Menschen mit Statinen behandelt werden sollen? Professor Dr. med. Oliver Weingärtner, interventioneller Kardiologe am Universitätsklinikum Jena und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Fettstoffwechselstörungen und ihre Folgeerkrankungen (DGFF), erläutert uns in seinem Kommentar, wie er die neuesten Daten einschätzt.

Professor Dr. med. Oliver Weingärtner

In der September-Ausgabe von „JAMA Cardiology“ berichteten Zhang und Kollegen, dass in einer Kohortenstudie mit mehr als 18.000 Patienten die kumulative Cholesterol-Exposition zwischen dem 18. und dem 60. Lebensjahr – unabhängig vom LDL-Cholesterol-Spiegel im mittleren Lebensalter – assoziiert war mit dem Auftreten einer koronaren Herzerkrankung im späteren Leben. Die Autoren schlossen daraus, dass optimale LDL-Cholesterol-Spiegel – insbesondere im jungen und mittleren Erwachsenenalter das Risiko, an einer koronaren Herzerkrankung zu erkranken, minimiert und daher eine frühe Bestimmung der LDL-Cholesterol-Spiegel insbesondere in diesem Lebensabschnitt eine große Bedeutung für die Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen hat.

Hypothese bestätigt

Die Ergebnisse von Zhang et al. bestätigen die Hypothese der „Cholesterol-Lebensjahre“ für das Auftreten einer atherosklerotisch bedingten kardiovaskulären Erkrankung. Das Paradigma der „Cholesterol-Lebensjahre“ ist dabei vergleichbar mit den sogenannten „Pack Years“ (Packungsjahre) beim Rauchen. Eine gerauchte Schachtel Zigaretten am Tag über den Zeitraum von einem Jahr kommt dabei einem Pack Year gleich. Je höher die Anzahl der Pack Years, desto höher ist das Risiko, an einer atherosklerotisch bedingten kardiovaskulären Erkrankung zu erkranken, da einerseits die Höhe der Nicotin-Exposition (Anzahl der täglich gerauchten Zigaretten) und andererseits der Zeitraum, über den die schädliche Exposition des Nicotin-Abusus angehalten hat, das Risiko bestimmt. In Bezug auf den Cholesterol-Spiegel und das Risiko für eine atherosklerotisch bedingte kardiovaskuläre Erkrankung verhält es sich ähnlich. Auch hier ist neben der Höhe des Ausgangs-­Cholesterols insbesondere der Zeitraum entscheidend, über den die ­erhöhten Cholesterol-Spiegel auf die Gefäßwände einwirken. Aktuell geht man davon aus, dass ein Wert von ca. 5000 mg/dl × Jahre überschritten werden muss, um den Beginn einer atherosklerotischen Gefäßerkrankung zu manifestieren. Dies entspricht einem LDL-Chole­sterol-Spiegel von 100 mg/dl über einen Zeitraum von 50 Jahren. Dies bedeutet aber auch, dass beispielsweise bereits bei einem LDL-Cholesterol-Spiegel von 200 mg/dl nur 25 Jahre benötigt werden, um zu einer manifesten Erkrankung zu führen – bei einem LDL-Cholesterol-Spiegel von 400 mg/dl nur 12,5 Jahre. Das Paradigma der „Cholesterol-Lebensjahre“ verdeutlicht, wie wichtig ein frühes Screening für erhöhte LDL-Cholesterol-Spiegel ist.

Frühzeitig Hochrisiko­patienten identifizieren

Früher gab es den sogenannten CHECK UP 35, d. h. ab dem 35. Lebensjahr sollte der LDL-Cholesterol-Spiegel routinemäßig bei allen Personen untersucht werden. Aktuell gilt die Empfehlung für den CHECK UP 18, d. h. ab dem 18. Lebensjahr sollte der LDL-Cholesterol-Spiegel geprüft werden. Die Deutsche Gesellschaft für Fettstoffwechselstörungen und ihre Folgeerkrankungen (DGFF) setzt sich jedoch schon länger dafür ein, den CHECK UP in der U9 – also zur Einschulung – zu integrieren. So könnte man frühzeitig potenzielle Hochrisikopatienten identifizieren, Lebensstilmodifikation implementieren und gegebenenfalls auch schon eine medikamentöse Therapie beginnen. Da insbesondere bei der familiären Hypercholesterinämie eine genetische Grunderkrankung vorliegt, könnten über das frühe Screening der Kinder Hochrisikokonstellationen der Eltern identifiziert werden. Streng nach dem Leitsatz der alten chinesischen Medizin: „Der gute Arzt vermeidet das Auftreten einer Erkrankung – der schlechte Arzt behandelt erst, wenn es zu spät ist“.

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