Arzneimittel und Therapie

Eine alte Kulturpflanze mit Potenzial

Was der Feigenkaktus leisten kann

Aufgrund seiner enormen Anpassungsfähigkeit ist der Feigenkaktus heute in heißen und trockenen Regionen auf allen Kontinenten verbreitet und dient der Ernährung von Mensch und Tier. Auch in der traditionellen Medizin verschiedener Regionen der Welt spielt er eine Rolle. Welches pharmazeutische Potenzial in den Kaktusfeigen bzw. den grünen Sprosssegmenten auch hierzulande steckt, erläutert Priv.-Doz. Dr. Kristina Jenett-Siems.

Sie gehören zu den markantesten Vertretern der Vegetation von Trockengebieten auf dem amerikanischen Kontinent: Kakteen in allen erdenklichen Größen und Formen. Als sogenannte Xerophyten sind sie ideal an heiße und trockene Umweltbedingungen angepasst. Die Sprossachse dient als fleischig verdickter Wasserspeicher, man spricht in diesem Zusammenhang von Stammsukkulenz. Der Feigenkaktus (Opuntia ficus-indica) ist heute in vielen tropischen und subtropischen Regionen der Erde zu finden. Ursprünglich stammt er aber wohl aus Mexiko, wo er schon in präkolumbianischer Zeit kultiviert wurde. Die Pflanze wächst meist strauchartig und kann eine Höhe von bis zu sechs Metern erreichen. Was dem Betrachter auf den ersten Blick wie große, fleischige Blätter erscheint, sind tatsächlich abgeflachte grüne Sprossglieder, sogenannte Platykladien oder Kladodien, die dem Feigenkaktus als Fotosynthese-Organ dienen. Die reduzierten Blätter sind teilweise zu Dornen umgewandelt, es gibt aber auch dornenlose Varietäten. Weltweit wird der Feigenkaktus vielfältig und unterschiedlich genutzt. Bei uns in Europa werden die Früchte, die häufig aus Kulturen rund um das Mittelmeer stammen, als vitaminreiches Obst angeboten.

Foto: womue/AdobeStock

Prächtig gefärbt

Die gelbe bis rötliche Färbung der Kaktusfeigen wird durch das Vorkommen von Betalain-Farbstoffen hervorgerufen. Betalaine, die bei manchen Pflanzen die Anthocyane als farbgebende Pigmente ersetzen, sind stickstoffhaltige Verbindungen. Sie sind biogenetisch von der Aminosäure L-Dopa abgeleitet und finden sich typischerweise in bestimmten Vertretern der Ordnung Caryophyllales, zu denen neben den Cactaceae auch die Amaranthaceae – hier sei die Rote Bete als wohl bekanntester Betalain-Lieferant erwähnt – gehören. In Mexiko werden zusätzlich zu den Früchten die jungen Sprossglieder unter der Bezeichnung „Nopal“ als Gemüse geschätzt. In anderen südamerikanischen und auch afrikanischen Ländern werden dornenlose Varietäten in großem Umfang als Viehfutter angebaut, und insbesondere in Peru dient der Feigenkaktus zur Züchtung der Cochenilleschildlaus, aus der der rote Farbstoff Karmin gewonnen wird. Karmin wurde in Süd- und Mittelamerika bereits vor der Ankunft der Europäer produziert und zur Färbung zeremonieller und herrschaftlicher Textilien eingesetzt. Heute ist es ein zugelassener Lebensmittelfarbstoff und spielt auch bei der Färbung von Tabletten eine Rolle [1].

In der traditionellen Medizin schon lange bekannt

Das Sekundärstoffspektrum von Opuntia ficus-indica ist in den letzten Jahren mehrfach Gegenstand von Untersuchungen gewesen. Neben den bereits erwähnten Betalain-Farbstoffen wurden insbesondere organische Säuren und Flavonoide nachgewiesen. Des Weiteren enthalten die Sprossglieder reichlich Ballaststoffe in Form komplexer Polysaccharide. Es handelt sich dabei sowohl um unlösliche Fasern als auch um wasserlösliche, gelbildende Schleimstoffe, die der Xerophyt in seinen wasserspeichernden Organen bildet.

In der traditionellen Medizin Mittelamerikas hat der Feigenkaktus eine lange Geschichte: So ist seine Verwendung unter anderem bei Infektionskrankheiten, Durchfall und rheumatischen Beschwerden überliefert. In jüngerer Zeit wurden weitere mögliche Anwendungsgebiete diskutiert, z. B. der Einsatz bei Diabetes mellitus oder zur Senkung des Cholesterol-Spiegels [2]. So wurde seit den 80-er Jahren des letzten Jahrhunderts in verschiedenen Tiermodellen, aber auch in Humanstudien immer wieder gezeigt, dass der Verzehr von Kladodien verschiedener Opuntia-Arten einen positiven Einfluss auf erhöhte Blutzuckerspiegel besitzt. Bei Probanden mit ­normalen Blutzuckerspiegeln wurde dagegen keine Wirkung auf die Glucose-Konzentration beobachtet, stattdessen allerdings eine Senkung der Cholesterol-Werte. Das Wirkprinzip dahinter konnte bislang nicht identifiziert werden. Diskutiert werden ein positiver Effekt der Ballaststoffe, aber auch eine Hemmung des Enzyms α-Glucosidase, wie es vom antidiabetischen Wirkstoff Acarbose bekannt ist [3, 4]. Die bisherigen Studien sind jedoch insgesamt zu heterogen, widersprüchlich und von zu geringer Evidenz, um einen möglichen positiven Effekt tatsächlich belegen zu können. Hierzu wären weitere Untersuchungen mit phytochemisch eindeutig definierten Kaktuspräparaten erforderlich.

Entzündungshemmende Schleimstoffe

Verschiedene Arbeitsgruppen haben in den letzten Jahren zudem mögliche positive Effekte von Opuntia-Extrakten bzw. Polysacchariden bei Beschwerden im Bereich des Magen-Darm-Traktes untersucht. So konnte beispielsweise gezeigt werden, dass extrahierte Polysaccharide aus den Sprossachsen die Abheilung von Schleimhautläsionen in einem Gastritis-Modell bei Ratten beschleunigten. Die Autoren postulieren, dass die Schleimstoffe ein entzündungshemmendes Potenzial besitzen und auf der Magenschleimhaut eine schützende Barriere gegenüber schädigenden Substanzen ausbilden [5]. In weiteren Untersuchungen wurde der Effekt von Kaktusfeigensaft analysiert. In einem Rattenmodell reduzierte der Saft die Entstehung von stressinduzierten Läsionen der Magenschleimhaut. Als wirksames Agens wurden die enthaltenen Betalain-Farbstoffe postuliert. Diese besitzen eine ausgeprägte antioxidative und damit auch antiinflammatorische Wirkung, die von den Autoren für den protektiven Effekt verantwortlich gemacht wurde [6].

Wirksam auch bei Reflux?

In zwei kleinen Humanstudien wurde der Einfluss verschiedener Kombinationspräparate auf die Symptomatik einer gastroösophagealen Refluxerkrankung analysiert. In einer ersten Doppelblindstudie wurde ein Präparat bestehend aus 500 mg Natriumalginat, 300 mg Natriumhydrogencarbonat und 400 mg einer Mischung von Extrakten aus Kladodien des Feigenkaktus und Olivenblättern angewendet. Nach zwei Monaten konnte in der Verum-Gruppe eine signifikante Besserung der Symptome „Sodbrennen“ und „saures Aufstoßen“ im Vergleich zu Placebo gezeigt werden. Verantwortlich hierfür sollen nach Ansicht der Autoren neben der Kombination Natriumalginat/-hydrogencarbonat einerseits die schützenden Schleimstoffe aus dem Feigenkaktus und andererseits Antioxidanzien aus den Olivenblättern sein. In einer Folgestudie wurde dann auf die Gabe von Natriumalginat/-hydrogencarbonat verzichtet und nur das Extraktgemisch (Mucosave®, bestehend aus 33% (w/w) O. ficus-indica-Extrakt, 24% (w/w) O. europaea-Extrakt und 43% (w/w) Maltodextrin) eingesetzt. HPLC-Untersuchungen des Studienpräparates erlaubten die Identifizierung des phenolischen Secoiridoids Oleuropein neben verschiedenen Flavonoiden. Zusätzlich enthielt das Präparat 18% Polysaccharide aus dem Feigenkaktus. Im Rahmen der Studie nahmen 60 Probanden eine Kapsel mit 400 mg des Extraktgemisches nach dem Abendessen ein, 40 Probanden erhielten eine identisch aussehende Placebo-Kapsel, der Effekt der Medikation wurde nach vier bzw. acht Wochen mittels standardisierter Fragebögen ermittelt. Bereits nach vier Wochen zeigte sich eine statistisch signifikante Abnahme aller untersuchten gastrointestinalen Symptome. Diese hielt über den gesamten Untersuchungszeitraum an, so dass die Autoren schlussfolgern, dass es sich bei dem Präparat um eine geeignete und gut verträgliche Behandlungsoption bei säurebedingten gastrointestinalen Beschwerden handelt [7, 8].

Hilfe bei Sodbrennen

Die Firma Schwabe bietet seit Kurzem ein Kaktusfeigen-haltiges Medizinprodukt an: Refluthin® enthält Calcium- und Magnesiumcarbonat sowie 75 mg Feigenkaktus-Extrakt und wird zur Linderung von Sodbrennen angeboten. Während die Carbonate zur Neutralisation der Magensäure eingesetzt werden, sollen die enthaltenen Opuntia-Polysaccharide mit Wasser einen schützenden Film auf der Schleimhaut bilden. Die Kautabletten sind in den Geschmacksrichtungen Frucht und Minze erhältlich.

Refluthin®: Informationen der Firma Schwabe www.schwabe.de/produkte/refluthin/

Weitere mögliche Anwendungsgebiete

Einzelne tierexperimentelle Untersuchungen aus den letzten Jahren analysierten zudem eine mögliche neuroprotektive, anxiolytische oder wundheilungsfördernde Aktivität verschiedener Feigenkaktus-Extrakte [9, 10, 11]. Hierbei erscheint insbesondere der letzte Aspekt vielversprechend. Ein positiver Einfluss auf die Wundheilung ist ja auch von Schleimstoffen aus der ebenfalls xerophytischen Aloe bekannt, allerdings bedarf es zu beiden Arzneipflanzen in dieser Hinsicht noch weiterer intensiver Forschung, um deren Potenzial letztendlich arzneilich nutzen zu können. |

Literatur

 [1] Stintzing FC, Carle R. Cactus stems (Opuntia spp.): a review on their chemistry, technology, and uses. Molecular nutrition & food research 2005; 49:175-194

 [2] Patel S. Opuntia cladodes (nopal): Emerging functional food and dietary supplement. Mediterranean Journal of Nutrition and Metabolism 2014; 7:11-19

 [3] Gouws, CA et al. Effects of the Consumption of Prickly Pear Cacti (Opuntia spp.) and its Products on Blood Glucose Levels and Insulin: A Systematic Review. Medicina 2019; 55:138-156

 [4] Mabotja MB et al. Phytochemical content, antioxidant, alpha-glucosidase inhibitory and antibacterial activities of spineless cactus pear cultivars. Plants 2021; 10:1312-1324

 [5] Vázquez-Ramírez R et al. Reversing gastric mucosal alterations during ethanol-induced chronic gastritis in rats by oral administration of Opuntia ficus-indica mucilage. World Journal of Gastroenterology 2006; 12:4318-4324

 [6] Kim SH et al. Prickly pear cactus (Opuntia ficus indica var. saboten) protects against stress-induced acute gastric lesions in rats. Journal of medicinal food 2012; 15:968-973

 [7] Alecci, U et al. Efficacy and Safety of a Natural Remedy for the Treatment of Gastroesophageal Reflux: A Double-Blinded Randomized-Controlled Study. Evidence-based Complementary and Alternative Medicine 2016

 [8] Malfa GA et al. A standardized extract of Opuntia ficus-indica (L.) Mill and Olea europaea L. improves gastrointestinal discomfort: A double-blinded randomized-controlled study. Phytotherapy Research 2021; 35:3756-3768

[9] El-Hawary, SS et al. HPLC-PDA-MS/MS profiling of secondary metabolites from Opuntia ficus-indica cladode, peel and fruit pulp extracts and their antioxidant, neuroprotective effect in rats with aluminum chloride induced neurotoxicity. Saudi Journal of Biological Sciences 2020; 27:2829-2838

[10] Akkol EK et al. Sedative and Anxiolytic Activities of Opuntia ficus indica (L.) Mill.: An Experimental Assessment in Mice. Molecules 2020; 25:1844-1857

[11] Trombetta D et al. Effect of polysaccharides from Opuntia ficus-indica (L.) cladodes on the healing of dermal wounds in the rat. Phytomedicine 2006; 13:352-358

Priv.-Doz. Dr. Kristina Jenett-Siems

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