Aus den Ländern

Bilanz ziehen nach der Flutkatastrophe

Drei Monate nach der Flut: Millionen-Schäden bei Apotheken und die Kunden „im Exil“

In der Nacht zum 15. Juli 2021 verwandelte das Tief Bernd mit seinen Wassermassen bis dahin harmlose Flüsschen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen in reißende Ströme, die Häuser, Einrichtung und vieles mehr wegrissen. Mehr als drei Monate nach dem Ereignis stehen auch viele Apotheker in den Flutgebieten immer noch vor den Trümmern ihrer Existenz. Wir haben mit Vertretern der Apothekerverbände und -kammern in den Gebieten gesprochen, um den Stand der Dinge zu erfahren.

Im September 2021 fließen Ahr, Erft und Wupper wieder ruhig in ihren Betten – nur drei der an sich eher kleinen Flüsse, die sich in der Nacht zum 15. Juli 2021 zum Teil in reißende Ströme verwandelten und alles mitrissen, was sich im Weg der Wassermassen befand.

Foto: imago images/Kyodo News

Das Hochwasser hat gewütet: Ein Straßenzug in Altenahr im Juli 2021.

Allein im besonders betroffenen Bundesland Rheinland-Pfalz verursachte die Flut wohl mehr als 15 Milliarden Euro Schaden. Mindestens 133 Tote, mehr als 700 Verletzte, zerstörte Infrastruktur und Gebäude sowie etliche nahezu völlig zerstörte Ortschaften sind eine Bilanz des Unglücks. Betroffen von der Katastrophe, aber auch die, die von Berufs wegen nah an den Menschen und damit mittendrin im Chaos sind – die Apotheker in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-­Westfalen.

„Wir haben uns sehr schnell gemeinsam mit der Landesapothekerkammer Rheinland-Pfalz einen Überblick über die Zahl der betroffenen Apotheken vor allem im Ahrtal, aber auch in Trier, Kordel und Neuerburg verschafft“, sagt Petra Engel-Djabarian, Sprecherin des Apothekerverbands Rheinland-Pfalz. Anfangs seien knapp 30 öffentliche Apotheken in Adenau, Bad Neuenahr-Ahrweiler, Remagen, Sinzig, Kordel, Neuerburg und Trier betroffen gewesen. „Viele dieser Apotheken wurden von den Schlamm- und Wassermassen zerstört, die komplette Einrichtung und die EDV vernichtet, belieferte Rezepte weggeschwemmt. Glücklicherweise sind aus den Kreisen der Betroffenen keine Verletzten oder gar Todesopfer zu beklagen. Aber auch private Häuser und Wohnungen der Kolleginnen und Kollegen und ihrer Teams sind betroffen. Die Erlebnisse der Geschädigten in den Flutgebieten werden lange nachhallen“, sagt die Sprecherin.

Viele Apotheken sind komplett zerstört

Insgesamt sei das Ausmaß der Zerstörungen allerdings sehr unterschiedlich. „Viele Apotheken sind komplett zerstört. Die Zukunft dieser Apotheken ist völlig offen, weil nicht feststeht, ob der ursprüngliche Standort überhaupt wieder bebaut werden kann“, sagt Engel-Djabarian. Andere Apotheken hätten die Schäden zumindest notdürftig beheben können, damit der Apothekenbetrieb halbwegs normal wieder weitergehen konnte.

„Aber auch jene Apotheken, die nicht unmittelbar von den Wasser- und Schlammmassen überflutet wurden, sind betroffen, weil Apotheken vom Strom- und Telefonnetz und einer Wasserversorgung abgeschnitten waren. Ohne betriebsfähige Apotheken-EDV war es nicht möglich, die Arzneimittelversorgung vertragskonform vor­zunehmen“, berichtet die Sprecherin. Und weil auch Praxen der Vertrags­ärzte unmittelbar betroffen seien, konnten oft keine Muster-16-Rezepte aus­gestellt werden. „Vielfach lief die ­Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln über Privat- und Notverordnungen oder Verordnungen von Bundeswehr-Ärzten, teils sogar über die Regelungen des übergesetzlichen Notstandes.“

Erste vorsichtige Schätzungen der Landesregierung Rheinland-Pfalz gingen von Gesamtschäden von circa 15 Milliarden Euro aus. Allein bei den betroffenen Apotheken in dem Bundesland kämen etwas mehr als 20 Millionen Euro zusammen. „Bei zehn dieser Apotheken mit einem Totalausfall ist derzeit die Zukunft sowie der Wiederaufbau noch fraglich und nicht abschließend geklärt“, sagt die Sprecherin des LAV Rheinland-Pfalz.

Foto: imago images/Future Image

Das Apotheken-A weist auf die Paradies-Apotheke in Altenahr hin, die es aber im Juli nach dem Hochwasser nicht mehr gab (DAZ 2021, Nr. 32, S. 68).

Dazu komme, dass ein Großteil der Kundschaft nicht mehr da sei – so rückten nun auch wirtschaftliche Sorgen in den Vordergrund. „Bad Neuenahr-Ahrweiler hatte beispielsweise vor der Katastrophe 28.000 Einwohner. Ein Großteil ist immer noch in anderen Gebieten untergebracht. Es ist zu befürchten, dass Tausende frühere Einwohner nicht zurückkommen werden. Dementsprechend haben die Apotheken teilweise massive Umsatzeinbußen zu beklagen“, sagt Engel-Djabarian.

Keine Heizung in den kalten Monaten?

Und auch mit Blick auf den nahenden Herbst und Winter seien die Apotheker in der Region besorgt. „Viele Apotheken fürchten, dass es in den kommenden Herbst- und Wintermonaten keine Heizung in den Apotheken geben wird. Einige Apotheken versuchen, die Versorgung der Bevölkerung aus provisorischen Räumen oder aus Containern heraus aufrechtzuerhalten. Einige Ortsteile sind unbewohnt und nachts menschenleer. Ob und wann hier wieder eine Infrastruktur aufgebaut wird, ist offen, obwohl Bundes- und Landesregierung alle Kraft darauf verwenden, eine Zukunftsperspektive zu vermitteln“, sagt die Sprecherin.

Unterdessen hat das Bundesland Rheinland-Pfalz zumindest für das zusammengebrochene Internet in der Region eine Lösung. Betroffenen, darunter auch Apothekern, stellt man einem Bericht von „Business-Insider“ zufolge kostenlos das satellitengestützte Internetprojekt „Starlink“ des US-Raumfahrtunternehmens SpaceX von Unternehmer Elon Musk zur Verfügung.

NRW: Schadenssumme noch nicht genau bezifferbar

Auch in Nordrhein-Westfalen traf es viele Apotheker, etwa in Erftstadt, Swisttal oder auch Wuppertal. „Vom Hochwasser waren in diesem Jahr 50 Apotheken in unserem Kammerbezirk betroffen. Dies unterschiedlich stark – eine bleibt dauerhaft geschlossen, andere waren nur wenige Tage beeinträchtigt, sind also schon wieder im regulären Vollbetrieb. Andere waren und sind so stark betroffen, dass Notdienst oder regulärer Betrieb nicht oder nur eingeschränkt realisiert werden können“, erklärt Jens Krömer, Sprecher für die Apothekerkammer Nordrhein.

Dabei könne man die Schadenssumme noch nicht angeben, die Bestimmung der Schäden durch Gutachter sei größtenteils noch nicht abgeschlossen. „Etwa die Hälfte der Apotheken ist zu einer Art Regelbetrieb zurückgekehrt – die andere Hälfte ist weiterhin von befristeten Schließungen und einer Art Notbetrieb betroffen“, sagt Krömer.

Die Verbände und Kammern hätten dabei versucht, den Betroffenen zu helfen, betont auch Engel-Djabarian. „Als Verband tun wir alles, um den Betroffenen wenigstens den Rücken freizuhalten – zum Beispiel, weil Abgabebestimmungen nicht eingehalten werden konnten. Der Apothekerverband Rheinland-Pfalz hat sehr früh bei den Primärkassen AOK Rheinland-Pfalz/Saarland und IKK Südwest Abgabeerleichterungen erwirkt, damit die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung nicht durch Retaxationsrisiken vereitelt wird“, sagt die LAV-Sprecherin.

Kassen sagen pragmatische Behandlung zu

Das habe der DAV auf Initiative aus Rheinland-Pfalz auch auf Bundesebene beim GKV-Spitzenverband, bei den Ersatzkassen und nicht zuletzt beim BMG vermittelt. „Die Kassen haben eine ,pragmatische Behandlung‘ der Abrechnung von Arzneimitteln zugesagt und dafür auch die Rückendeckung des Bundesamts für Soziales (BAS). Zum Beispiel wird toleriert, dass auch ersatzweise verwendete Privatrezepte und auch von nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Ärztinnen und Ärzten ausgestellte Rezepte direkt mit den gesetzlichen Krankenkassen abgerechnet werden. Die Apotheken-Rechenzentren tragen erheblich mit dazu bei, dass so den Apotheken der Rücken freigehalten wird. Aber auch die Übernahme des Nacht- und Notdienstes oder der Heimversorgung durch nicht zerstörte Apotheken sind Beispiele für ein Einstehen füreinander“, sagt Engel-Djabarian.

„In enger Abstimmung mit der Apothekerkammer Nordrhein haben wir direkt nach der Hochwasserkatastrophe die Lage analysiert und konnten zeitnah feststellen, dass die Arzneimittelversorgung in den Krisenge­bieten erschwert, aber gesichert war“, erklärt Peter Szynka, Sprecher des Apothekerverbands Nordrhein. „Zunächst kam es darauf an, die Gesundheits- und Arzneimittelversorgung durch Krankenhäuser, Arztpraxen und Apotheken auch durch Behelfs­lösungen so weit wie möglich wiederherzustellen. Danach geht es bis ­heute darum, so schnell wie möglich wieder durch Neu- oder Wiederaufbau zum Regelbetrieb zurückzu­kehren. Das dauert in vielen Fällen noch Wochen, Monate oder noch ­länger. Dafür brauchen die Betroffenen die Unterstützung von Bund und Land“, sagt er.

Unabhängig davon hätten die Apothekerverbände und -kammern in NRW (neben der Apothekerkammer und dem Apothekerverband Nordrhein auch die ebenfalls betroffene Kammer und der Verband Westfalen-Lippe) sowie Kammer und Verband Rheinland-Pfalz sehr schnell Hilfe in Form von Geld- und Sachspenden sowie Informationen über eine zentrale Plattform koordiniert, sagt Szynka. Federführend dabei sei die Apothekerkammer Nordrhein (AKNR), ergänzt Krömer – „dankenswerterweise“, ergänzt die Sprecherin der LAV Rheinland-Pfalz.

Unter der Internetadresse www.ak.nrw/hochwasser-hilfe seien zeitnah bereits zahlreiche Angebote zu finden gewesen, unter anderem Apotheken-Einrichtungsgegenstände, Schränke, Laborzubehör sowie weitere Sachspenden und Angebote im Bereich „Wohnen und Arbeiten“. „Betroffene konnten auch Suchangebote online stellen, wenn sie etwas benötigten – etwa temporäre Verstärkung durch pharmazeutisches Personal“, sagt Szynka.

DAT-Antrag: Nationales Hilfswerk für vergleichbare Fälle schaffen

Beim jüngsten Deutschen Apothekertag im September in Düsseldorf habe die AKNR auch mehrere Anträge eingebracht, „welche die Situation für Betroffene und künftige Betroffene erleichtern sollen“, sagt Krömer. Neben der Schließung von Regelungslücken sei es dabei um die Schaffung eines nationalen Hilfswerks für vergleichbare Fälle gegangen, sagt er. Den Antrag unterstützten auch die Kammern und Verbände Westfalen-Lippe und Rheinland-Pfalz.

Die AKNR habe unbürokratisch Hilfe geleistet, wo dies möglich war. „Wir werden auch weiterhin eng an der Seite der Betroffenen stehen und helfen, in jedem Einzelfall praktikable Lösungen zu finden. Wir freuen uns, dass dies mit zinsgünstigen Sofortkrediten durch Standesbank und öffentliche Hand bereits gut erfolgt ist. Wir werden uns in den künftigen Prozess weiter einbringen. Gemeinsam haben Kammern und Verbände in den betroffenen Gebieten viel getan, um die Situation der Betroffenen zu stabilisieren und ihnen Hilfe und Halt zu geben“, sagt Krömer.

Seitens des AVNR habe man sich gegenüber gesundheitspolitischen Vertretern der Bundesregierung dafür nachdrücklich eingesetzt, dass Versorgungsleistungen insbesondere in Notfallsituationen künftig unbürokratischer geregelt werden müssen, sagt Szynka. „Die Hochwasserkatastrophe hat hier den Handlungsbedarf offen­gelegt. Demzufolge muss es, so unsere Forderung, künftig in Katastrophenfällen möglich sein, die Bevölkerung in solchen Notsituationen kontinuierlich und unbürokratisch versorgen zu können. Dafür bedarf es einer grundsätzlichen Kostenübernahme der ausgehändigten Medikamente, auch wenn dies beispielsweise nicht auf einem GKV-Rezept erfolgt, weil auch Arztpraxen nicht in gewohnter Weise praktizieren können. Eine Umfrage hat ergeben, dass nicht wenige Apotheken jeweils Medikamente im Wert von mehreren Tausend Euro kurzfristig an Patienten in Not ausgehändigt hatten – und das ohne konkrete Kostenzusage“, erklärt der Sprecher des AVNR.

„Bund und Länder haben neben einer unbürokratisch ausgezahlten Soforthilfe für Privatleute und Unternehmen auch umfangreiche Hilfen für den Wiederaufbau zugesagt“, sagt Engel-Djabarian. Auch in NRW hat die Landesregierung ein Soforthilfeprogramm eingerichtet, das auch öffentliche Apotheken abrufen können. „Wichtig ist, dass die Perspektive zum Wiederaufbau der Infrastruktur auch von der Bevölkerung und den Unternehmen sowie den Gesundheitseinrichtungen angenommen wird. Schlüssel dafür werden die staatlichen Hilfen sein, aber auch die privaten Spenden.“

Große Anerkennung für betroffene Apotheken

Besondere Anerkennung zollt die Sprecherin der LAV Rheinland-Pfalz den betroffenen Apotheken: „Trotz allem eigenen Unglück haben die betroffenen Apotheken mit ihren Teams die Arzneimittelversorgung der Be­völkerung so schnell es ging wieder aufgenommen. Mithilfe des Katastrophenschutzes und der Bundeswehr, aus provisorischen Räumen oder Containern heraus, wurden die Menschen versorgt – pharmazeutisch und menschlich. Apotheker berichten uns, wie froh die oft traumatisierten Einwohner waren, wenn sie unter den Hunderten Einsatzkräften, die meist aus allen Teilen Deutschlands ausrückten, bekannte Helfer aus der Apotheke vor Ort sahen. Jeder Apotheker, der auch in normalen Zeiten schon ,Kummerkasten‘ seiner Patienten ist, kann sich vorstellen, welche Erlebnisse die Menschen in ihrer Apotheke vor Ort loswerden konnten. Und wie viel Kraft es kostet, wenn man selbst einen Schicksalsschlag, die Zerstörung der eigenen Apotheke, erleben musste. Wir können unseren Kolleginnen und Kollegen nur von Herzen danken für ihren Einsatz und ihnen Respekt zollen, auch jenen, die ,ohne Murren‘ die Notdienste der zerstörten Apotheken übernehmen mussten“, sagt sie.

Für die Zukunft sei es wichtig, die Apotheken auch dann nicht zu ver­gessen, wenn die Schlagzeilen verschwunden sind. „Jetzt steht der Wiederaufbau der Apotheken als Bestandteil der Infrastruktur an. Eine wieder aufgebaute Apotheke in einem Ortsteil ohne Einwohner und ohne Ärzte ist wenig sinnvoll. Es ist vielfach noch zu früh, um abschätzen zu können, wie es mit den am schlimmsten betroffenen Ortsteilen weitergeht, und ob ältere Unternehmer, Hausbesitzer, Ärzte und eben auch Apothekeninhaber diesen Schritt mitgehen“, sagt Engel-Djabarian. |

Volker Budinger

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