Die Seite 3

Hätte, wäre, könnte

Foto: DAZ/Alex Schelbert

Dr. Armin Edalat, Chefredakteur der DAZ

Hinterher ist man ja immer schlauer. Diese Weisheit gilt nicht erst seit dem Untergang der Titanic. Wenn sich große Vorhaben erst mal in Bewegung gesetzt haben, kommen meist von vielen Seiten Analysen, Kommentare und Verbesserungsvorschläge.

So auch von mir, an dieser Stelle, zum wohl aktuell größten Digitalprojekt aus Sicht der Apothekerschaft – der Einführung des E-Rezepts. Aber bevor Sie mich als Sesselstratege diskreditieren, seien wir doch mal ehrlich: Bei der Einführung der E-Rezepte und der vielen anderen Digitalanwendungen im Gesundheitswesen hat der noch amtierende Bundesminister Jens Spahn die meisten wirklichen Experten in die Sessel der Reihen zwei und drei gesetzt. Paradebeispiel ist die Tatsache, dass die Gesellschafteranteile der Gematik mehrheitlich nicht mehr bei den Leistungserbringern und den Krankenkassen liegen, also bei denen, die sich tagtäglich mit den Herausforderungen auseinandersetzen müssen, sondern in den Händen der Politik, konkret des Bundesgesundheitsministeriums. Damit wurde die Marschrichtung vorgegeben. Seitdem geht es vor allem um Prestige und weniger um Professionalität.

Professionell wäre zum Beispiel das Eingeständnis gewesen, dass es unrealistisch ist, das E-Rezept auf Knopfdruck in jede Apotheke oder Arztpraxis zu befördern. Daraus hätte man ableiten müssen, dass es für die Probedurchläufe in den ersten Monaten eigentlich gar keine Fokusregion in Berlin-Brandenburg hätte geben dürfen, sondern direkt ein bundesweites, freiwilliges Angebot. Denn, wenn es schon an der Bereitschaft und den technischen Voraussetzungen (auf Seiten der Ärzte) hapert, wäre es doch der Sache dienlicher, möglichst ein großes Umfeld mit einzubeziehen und sich nicht nur auf ein abgestecktes Gebiet zu konzentrieren. So hätten sich überall in Deutschland lokal Apotheken und Arztpraxen gefunden, die den Patientinnen und Patienten die elektronischen Verordnungen pilotmäßig anbieten könnten. Erkenntnisse und Probleme hätte man trotzdem zentral gesammelt und ausgewertet. Dafür braucht es im digitalen Zeitalter keine Fokusregion.

Ein weiterer Vorschlag basiert auch eher auf der Grundlage eines soliden Projektmanagements als auf dem Wunsch, sich ein gesundheitspolitisches Denkmal zu setzen, um in der nächsten Legislaturperiode wieder eine Rolle spielen zu dürfen (was für die Union ja gerade eher suboptimal läuft). Wie praktisch wäre es gewesen, wenn wir ein bis zwei Jahre nur einen konkreten Teil in der Arzneimittelversorgung digitalisiert hätten – dann aber verpflichtend und konsequent. Der Betäubungsmittelverkehr wäre hierfür prädestiniert. ­Digitalisierung könnte im Bereich der Dokumentation bei allen Beteiligten für Erleichterung (und höhere Akzeptanz) sorgen, und bei der Ausstellung der Rezepte käme es direkt zum Stresstest unter schwierigen Versorgungssituationen. Oder aber man hätte sich für digitalisierte L-Thyroxin-Verordnungen entschieden: flächendeckend vorhanden, vergleichbarer bürokratischer Aufwand wie bei den meisten Präparaten auf rosa Rezept.

Hätte, wäre, könnte – verlieren wir uns nicht zu tief im Konjunktiv, sondern akzeptieren, dass die Bundesregierung beim E-Rezept im Vergleich mit dem europäischen Ausland nicht kleckern, sondern klotzen wollte. Sollte es tatsächlich bei der Einführungspflicht ab Januar 2022 bleiben, dann müssen alle Beteiligten ohnehin noch einige Hausaufgaben erledigen und wichtige Fragen klären – wie die aktuelle Diskussion um die Anzahl der SMC-B-Karten pro Apotheke verdeutlicht (S. 16).

Dr. Armin Edalat

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