Arzneimittel und Therapie

Erst Gentest, dann Therapie?

Warum eine Genotypisierung vor einer Tamoxifen-Behandlung Sinn machen könnte

Tamoxifen wird schon seit Jahren adjuvant beim hormonsensitiven Mammakarzinom und bei Metastasen eingesetzt. Der selektive Estrogen-Rezeptormodulator senkt das Sterblichkeitsrisiko bei Brustkrebs um etwa 30%, die Wahrscheinlichkeit eines Rezidivs sogar um 40%. Dass die genetische Ausstattung der Patientinnen einen entscheidenden Beitrag zum Therapieerfolg beisteuern könnte, zeigen neueste Daten. Sie untermauern den Bedarf einer Genotypisierung vor der Behandlung mit Tamoxifen.

Tamoxifen zählt zur Gruppe der Prodrugs – erst durch die Verstoffwechselung durch CYP2D6 erfolgt die Umwandlung in den aktiven Metaboliten 4-Hydroxy-N-Desmethyl-Tamoxifen (Endoxifen). Endoxifen wirkt in vitro stark antiestrogen und bindet im Vergleich zu Tamoxifen mit ungefähr 100-facher Affinität an den Estrogen-Rezeptor. Hat eine Patientin eine niedrige bis fehlende CYP2D6-Aktivität, zeigen sich stark reduzierte Endoxifen-Konzentrationen im Blut. Die Frage, ob diese genetischen Unterschiede an CYP2D6 das klinische Ergebnis der adjuvanten Tamoxifen-Behandlung beeinflussen könnten, scheint nach all den Jahren Tamoxifen-Therapie noch nicht vollends geklärt. Die Studienlage dazu ist kontrovers – zudem mangelte es bisher an ausreichend belastbaren Studiendesigns.

Foto: Rainer Fuhrmann/AdobeStock

Macht die Glaskugel überflüssig: Eine Genotypisierung könnte bei der Vorher­sage helfen, welche Frau von einer Tamoxifen-Therapie profitiert und welche nicht.

Gene im Fokus

Eine internationale Forschergruppe aus Schweden und China wollte diese Frage nun mit einer Sekundäranalyse klären. Die Daten dazu stammten aus der KARISMA-Studie. Eine randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte, multizentrische Studie zur Ermittlung der optimalen Tamoxifen-Dosis für die Prävention von Brustkrebs. An der KARISMA-Studie waren 1440 gesunde Frauen beteiligt, die am Mammografie-Screening-­Programm in zwei schwedischen Mammografie-Einrichtungen in Stockholm und Lund teilnahmen. Die Frauen wurden randomisiert auf sechs Studienarme aufgeteilt und erhielten sechs Monate lang entweder Placebo oder Tamoxifen in unterschiedlichen Dosierungen (1 mg, 2,5 mg, 5 mg, 10 mg oder 20 mg). Zu Beginn wurde bei jeder Teilnehmerin ein Mammogramm erstellt, sie beantwortete Fragen zu Hintergrundfaktoren und gab eine Blutprobe ab. Der primäre Endpunkt war die Veränderung der mammo­grafischen Dichte nach einem halben Jahr.

Wenn Codein nicht wirkt

Anders als bei den meisten Arzneimitteln, bei denen eine verringerte oder fehlende Enzymdichte zur Kumulation des Wirkstoffes und damit zu einem erhöhten Risiko für Nebenwirkungen führt, verhält es sich bei Codein: Dieses wird durch CYP2D2 in den aktiven Metaboliten Morphin umgewandelt. Bei CYP2D2-Mangel wird langsamer aktives Morphin gebildet, und der analgetische / antitussive Effekt fällt geringer aus als bei schnelleren Metabolisierern.

Dreifach höhere Wirkspiegel ...

In der nun veröffentlichten Sekundäranalyse wurden die Daten von Frauen im Alter zwischen 40 und 74 Jahren aus den Tamoxifen-Armen auf das Therapieansprechen mit Hinblick auf den CYP2D6-Metabolisierer-Status (langsame, intermediäre, schnelle und ultraschnelle Metabolisierer, s. Abbildung) erneut untersucht. Die Ergebnisse untermauern den Bedarf einer Genotypisierung vor der Behandlung mit Tamoxifen.

Abb.: Auswirkungen des CYP2D6-Metabolisiererstatus auf die Plasmaspiegel einer hypothetischen CYP2D6-Substanz. (nach Schwab und Nagele)

Die Analyse des primären Endpunkts zeigte keine Verringerung der mammografischen Dichte bei Patientinnen mit langsamem Metabolismus. Im Vergleich dazu war die Verringerung der mammografischen Dichte bei den ultraschnellen Metabolisierern signifikant. Auch konnten im Blut dieser Gruppe mit 0,67 ng/ml Endoxifen teils dreifach höhere Endoxifen-Spiegel gemessen werden (langsame Metabolisierer: 0,18 ng/ml; intermediäre Metabo­lisierer: 0,38 ng/ml; schnelle Metabolisierer: 0,56 ng/ml). Die Ergebnisse legen nahe, dass bei Patientinnen mit ultraschnellem Metabolismus mit einer besseren therapeutischen Wirkung von Tamoxifen gerechnet werden kann.

... und mehr Nebenwirkungen

Die erhöhten Endoxifen-Spiegel sind auch ein Indiz dafür, wie stark sich Nebenwirkungen äußern. Die endokrinen Symptome der Studienteilnehmerinnen wurden anhand eines 18-Punkte Fragebogens (angelehnt an den FACT-ES) erhoben. Im Vergleich zu weniger effizienten Metabolisierern traten in der Gruppe der ultraschnellen Metabolisierer signifikant mehr Tamoxifen-­typische Symptome auf, wie Kälte- und Hitzewallungen, Stimmungsschwankungen und/oder Reizbarkeit. Folglich brachen in dieser Gruppe mit 29,6% deutlich mehr Frauen die Tamoxifen-Therapie innerhalb des ersten Monats ab als innerhalb der anderen Gruppen (langsame Metabolisierer: 9,5%; intermediäre Metabolisierer: 10,2%; schnelle Metabolisierer: 16,1%). Der Grad der Nebenwirkungen nimmt großen Einfluss auf die Lebensqualität der Patientinnen und die Therapie-Adhärenz. Und ohne ausreichende Adhärenz steigt die Wahrscheinlichkeit für ein Rezidiv.

Fazit

Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass der genetische Hintergrund von Frauen eine wichtige Rolle für eine gute Therapie-Adhärenz spielen kann. Es ist anzunehmen, dass Patientinnen des Ultrarapid-metabolizer-Typs künftig vielleicht mit niedrigeren Tamoxifen-Dosen behandelt werden sollten. Gleichzeitig könnte der Einsatz von Tamoxifen bei Patientinnen mit fehlender CYP2D6-Aktivität überflüssig werden, da der therapeutische Nutzen erst bei ausreichender Endoxifen-Konzentration im Blut gegeben ist. |

Literatur

Geisslinger G, Menzel M, Gudermann T, Hinz. B, Ruth P. Mutschler – Arzneimittelwirkungen. 11. Auflage 2019, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart

He W et al. CYP2D6 genotype predicts tamoxifen discontinuation and drug response: a secondary analysis oft he KARISMA trial, Annals of Oncology 2021, doi: 10.1016/j.annonc.2021.07.005

Nagele P et al. Genetic variation, -blockers, and perioperative myocardial infarction. Anesthesiology, 115: 1316-1327, 2011

Schwab M et al. Pharmakogenetik der Zytochrom-P-450-Enzyme. Bedeutung für Wirkungen und Nebenwirkungen von Medikamenten. Dtsch Ärztebl, 99(8) A-497/B-400/C-377, 2002

Apothekerin Dorothée Malonga Makosi, MPH

2 Kommentare

Antwort auf Ihre Frage zur Grafik

von DAZ-Redaktion am 08.10.2021 um 12:17 Uhr

Lieber Herr Barth,

vielen Dank für Ihren Kommentar. Bei der Abbildung handelt es sich um eine hypothetische Substanz, die über CYP2D6 verstoffwechselt wird. Im Fall eines Prodrugs wie Tamoxifen ¬- da haben Sie Recht - müssten die beiden Grafiken vertauscht werden, bei allen anderen Wirkstoffen gilt oben beschriebenes.

Ihre DAZ-Redaktion

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Artikel DAZ 2021, Nr. 40, S. 24, 07.10.2021

von Jürgen Barth am 08.10.2021 um 8:37 Uhr

Kann es sein, dass in der Abb Auswirkungen des CYP2D6-Metabolisiererstatus etwas vertauchst wurde? nach der Abb würden ja die URM (ultra Rapid Metabolizer) chronisch subtherapeutisch bleiben. Das trifft doch eher für die PM zu, die nicht genügend Endoxifen generieren können?!? Nach meinem Verständnis sind 8min) die ganz linke und ganz rechte Kurve vertaucht, oder?

DAZ 2021, Nr. 40, S. 24, 07.10." data-comment-identifier="e04bf105-45bd-467f-b6fb-58461092d45d">» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

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