Deutscher Apothekertag 2021

Gefährliche Lücken schließen 

Ein Kommentar

Dr. Christian Rotta Geschäftsführer des Deutschen Apotheker Verlags

Eine der größten Gefahren im Zuge der Etablierung des E-Rezepts ist die Aufweichung (oder gar Aufhebung) von zwei fundamentalen Grundsätzen unseres Arzneimittelversorgungssystems: der seit jeher bewährten „Gewaltenteilung“ von Arzneimittelverschreibung und Arzneimittelabgabe sowie der freien Apothekenwahl von Patientinnen und Patienten. Es ist das Verdienst der Apothekerkammern Nordrhein und Hessen, mit mehreren Apothekertagsanträgen auf diese Herausforderung hingewiesen zu haben. Ausländische Arzneimittelversender mit angeschlossenen „telemedizinischen“ Anhängseln wie Tele­clinic bei DocMorris oder Zava bei der Shop Apotheke sind längst auf dem Weg, um mithilfe sogenannter Arzt-Apotheken-Onlineportale oder „Drittanbieter-Apps“ die Trennung von ärztlicher und pharmazeutischer Tätigkeit erodieren zu lassen und damit die Verordnungs- und Distributionshoheit bei Arzneimitteln zu vermischen. Das Zauberwort heißt dabei verharmlosend „vertikale Integration der Versorgung“. Dabei sind die „Modelle“ dieser Kapitalgesellschaften mit Sitz im Ausland durchaus unterschiedlich: Zum Teil erfolgt die Versendung verschreibungspflichtiger Arzneimittel, nachdem der Patient ohne persönlichen Arztkontakt in einer „Online-Praxis“ einen „ärztlichen“ Frage­bogen ausgefüllt hat und die „E-Verschreibung“ dann an einen „inte­grierten“ Arzneimittelversender weitergeleitet worden ist. Die Indikationsgebiete der auf diese Weise vertriebenen verschreibungspflichtigen Arzneimittel sind weit gefächert und beschränken sich dabei längst nicht mehr nur auf sog. Lifestyle-Medikamente. Weitgehend barrierefrei sind auch Blutdruck- und Cholesterinsenker, Antidiabetika, Dosieraerosole und andere besonders beratungsintensive Präparate erhältlich. Ein gesundheitspolitisches Unding, das den nationalen und europäischen Gesetzgeber bislang weitgehend unbeeindruckt lässt!

Auf den ersten Blick weniger brachial stellt sich das jüngst propagierte „Same-day-delivery-Geschäftsmodell“ der DocMorris-Express-Plattform dar, mit dem deutsche Vor-Ort-Apotheken als „Partnerapotheken“ geködert werden sollen. Auf Dauer könnte das Modell der „Gesundheitsplattform“ so gestrickt sein, dass „eilbedürf­tige Arzneimittel“ von Vor-Ort-Apotheken an Patienten ausgeliefert werden, während der große Anteil der anderen Medikamente unmittelbar über die „DocMorris-Versandapotheke“ erfolgt. „Partnerapotheke“ von DocMorris kann dabei allerdings nur werden, wer ab 2022 tief in die Tasche greift und dem Zur Rose-Unternehmen monatlich 399,- Euro sowie bei der Vermittlung von rezeptfreien Arzneimitteln eine Transaktionsgebühr in Höhe von 10 Prozent des Nettoverkaufspreises zahlt. Eine wahrlich kostspielige Leimrute, die hier ausgerollt wird – eine Leimrute, die für die „Partnerapotheken“ nicht nur teuer, sondern auch mit beachtlichen rechtlichen Risiken verbunden ist. Im Raum stehen unter dem Gesichtspunkt einer unzulässigen „Rezeptzuweisung gegen Entgelt“ apothekenrechtliche Verstöße gegen das Makelverbot (§ 11 Abs. 1a ApoG) und die unzulässige Beteiligung am Umsatzanteil der „Partnerapotheken“ (§ 8 Satz 2 ApoG). Dass die Apothekerkammer Nordrhein jetzt gegen das dubiose „Partnermodell“ vorgeht und DocMorris abmahnt (DAZ Nr. 38, S. 14), ist ein erster wichtiger Schritt, diese und vergleichbare fintenreiche Geschäftsmodelle einem „rechtlichen Stresstest“ zu unterziehen.

Unabhängig von gleichermaßen notwendigen wie aufwändigen Gerichtsverfahren ist jedoch auch der Gesetz- und Verordnungsgeber gefordert, die bestehenden Regelungen insbesondere beim Makelverbot weiter zu schärfen und bestehende Umgehungslücken zu schließen. Vier mit überwältigender Mehrheit angenommene Anträge der Apothekerkammer Nordrhein haben in Düsseldorf eine entsprechende Erwartung der Delegierten unterstrichen. Noch steht die bereits für Frühjahr/Sommer angekündigte „E-Rezept-Verordnung“ aus. In ihr müssen Vorkehrungen getroffen werden, damit es nach Einführung des E-Rezepts zum 1. Januar 2022 nicht zu massiven Wettbewerbsnachteilen zulasten von Vor-Ort-Apotheken kommt. Insbesondere bedürfen die Ausdrucke der E-Rezept-Tokens regulatorischer Rahmenbedingungen, da zu erwarten ist, dass die Token zu den digitalen Verordnungen auch nach Einführung des E-Rezepts noch größtenteils in Papierform ausgestellt werden. Dabei muss der Verordnungsgeber der Strategie der EU-Versender entgegentreten, in ihren Apps Foto-Funktionen einzubinden, mit denen Patienten ihre ausgedruckten E-Rezept-Token über die Apps der auslän­dischen Konzernplattformen unmittelbar an die Versender übertragen können. Ungeklärt ist außerdem, unter welchen Voraussetzungen E-Rezept-Tokens in Zukunft auch ohne gematik-App übermittelt werden können. Während DocMorris als eine „echte“ Apotheke gilt (was an sich schon widersinnig ist) und deshalb unmittelbar an die Telematikinfrastruktur angeschlossen ist, bleibt weiterhin offen, welche Daten Vor-Ort-Apotheken-Platt­formen nutzen dürfen.

Fest steht: Es wird nicht einfach sein, die Einfallstore zur Umgehung von Verschreibungspflicht und freier Apothekenwahl (wieder) zu schließen. Dies hat auch die – zum Teil kontroverse – Debatte auf der Hauptversammlung gezeigt. Unmöglich ist es allerdings nicht, die bestehenden Lücken zu schließen, wenn Gesetz- und Verordnungsgeber, Apothekerkammern und Verbände, Wettbewerbsvereine und Verbraucherschützer an einem Strang ziehen. Vieles wird von der konkreten Ausgestaltung des „E-Rezept-Regimes“ im Apotheken- und Sozialrecht (SGB V) sowie in der angekündigten Rechtsverordnung zum Digitale-Versorgung-und-Patientenschutzgesetz (DVPMG) abhängen.

Hier muss die ABDA wachsam sein und mit Nachdruck recht­liche Nachschärfungen vorantreiben. Nur so kann ein Dammbruch mit weitreichenden Wettbewerbsverzerrungen zulasten unabhängiger Vor-Ort-Apotheken verhindert werden. Es steht ziemlich viel auf dem Spiel.

 

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