Arzneimittel und Therapie

Nur kleben oder auch tropfen?

Amblyopie bei Kindern sinnvoll behandeln

Vor allem schielende Kinder leiden häufig unter Amblyopie, einer Schwachsichtigkeit. Das Abkleben eines Auges ist eine der Standardtherapien, jedoch wird dies gerade von kleinen Kindern nicht immer ausreichend toleriert. Lässt sich die Wirkung des Patching durch Atropin-Augentropfen verstärken?
Foto: Karynf/AdobeStock

Amblyopie ist eine der häufigsten Augenbeeinträchtigungen bei Kindern, jungen Erwachsenen sowie Erwachsenen mittleren Alters. Amblyopie (griech. amblys= „stumpf“ und opsis = „Auge, Sehen“) bezeichnet eine Verminderung der Sehschärfe, obwohl ­eigentlich die organischen und neuronalen Voraussetzungen für ein normales Sehen gegeben sind. In Deutschland sind etwa drei bis sechs Prozent aller Kinder betroffen. Eine Amblyopie entsteht, wenn das Gehirn dauerhaft verschiedene Bilder aus beiden Augen erhält, wie es zum Beispiel beim Schielen der Fall ist. So entwickelt sich bei 60 bis 70 Prozent der schielenden Kinder eine Amblyopie, während nur zwei Prozent der nicht schielenden Kinder betroffen sind. Eine weitere häufige Ursache ist ein Brechungsfehler, ausgelöst durch Kurz-, Weit- oder Stabsichtigkeit (= Astigmatismus), mit unterschiedlicher Betroffenheit beider Augen. Nur selten liegen Augenerkrankungen wie z. B. ein grauer Star einer Amblyopie zugrunde [1]. Mittel der ersten Wahl zur Behandlung einer schweren Amblyopie ist eine Patching-Therapie. Allerdings ist diese aufgrund einer geringen Adhärenz oft wenig effektiv, z. B. weil das Pflaster zu früh entfernt wird. Gerade bei Kindern, welche die Wichtigkeit der Maßnahme nicht verstehen, gestaltet sich die Durchführung oft schwierig [2].

Kann Atropin die Wirkung des Patching verstärken?

In einer kürzlich im „JAMA Ophthalmology“ veröffentlichten Studie aus China gingen Forscher der Frage nach, ob die Wirkung einer Patching-Therapie durch die zusätzliche Gabe von Atropin-Augentropfen gesteigert werden kann (CAPT = combined atropine and patching therapy) [2]. In der randomisierten klinischen Studie wurden 108 Kinder zwischen drei und zwölf Jahren, die aufgrund von Strabismus, Anisometropie oder beidem, unter schwererer Amblyopie litten, randomisiert über sechs Mo­nate einer reinen Patching-Therapie oder einer kombinierten Therapie aus Patching und Atropin-Augengel zu­geteilt. Das Augenpflaster musste in beiden Gruppen über mindestens sechs Stunden pro Tag kontinuierlich getragen werden. In der CAPT-Gruppe erhielten die Kinder zusätzlich zum Augenpflaster einmal täglich einen Tropfen 1%-iges Atropinsulfat-Augengel an den ersten drei Tagen, dann jeden zweiten Tag. Eine Nachuntersuchung erfolgte nach drei und sechs Monaten. Primärer Endpunkt war die Änderung der Sehschärfe des amblyopischen Auges. Dazu erfolgte die Untersuchung mit dem LogMAR-Diagramm (s. Kasten).

Sehschärfe messen mit dem logMAR-Diagramm

LogMAR steht für den Logarithmus des minimalen Auflösungswinkels. Das Diagramm besteht aus mehreren Reihen mit jeweils fünf Buchstaben, deren Größe nach unten hin abnimmt. Beim Sehtest, der neben Optikern, Augenärzten auch als Goldstandard in der Forschung genutzt wird, sagt die Person alle Buchstaben der Reihe nach auf, die sie lesen kann. Wird eine Reihe komplett richtig vorgelesen, so wird die Sehschärfe direkt an der an der Seite befindlichen logMAR-Zahl abgelesen. Ein einzelner Buchstabe steht für 0,02-log-Einheiten. Werden in einer Reihe x Buchstaben falsch vorgelesen, so wird der Wert x * 0,02 von der am Rand stehenden Sehschärfe abgezogen. Liest also die Person beispielsweise nur zwei der fünf Buchstaben der dritten Reihe (Wert 0,8) richtig vor, so beträgt der berechnete logMAR-Wert 0,8-3*0,02=0,74.* Ein Wert von 0 gibt eine normale Sehstärke an. Negative Werte weisen auf ein sehr gutes Sehvermögen hin, positive auf ein schlechtes. So zählen nach den Kriterien der Weltgesundheits­organisation WHO logMAR-Werte über 0,5 als Sehbehinderung, Personen mit Werten über 1,3 gelten als blind.

*Hinweis: Im Vergleich zur gedruckten Ausgabe wurde eine falsche Angabe korrigiert.

Doppelt therapiert wirkt besser

Zu Studienbeginn betrug die mittlere amblyopische Augen-Sehstärke 0,95 logMAR. Nach sechs Monaten betrug die mittlere Verbesserung der Sehkraft des amblyopischen Auges der Gruppe, die Pflaster und Atropin-Augen­gel verwendet hatten, 0,72 logMAR im Vergleich zu 0,58 logMAR in der Gruppe mit alleinigem Patchen (Unterschied 0,14 logMAR, 95%-Kon­fidenzintervall [KI] 0,05 bis 0,22 logMAR; p = 0,002). Die Sehkraft-Ver­besserung des amblyopischen Auges in der Gruppe, die beide Therapie­optionen kombiniert hatte, war bereits nach drei Monaten größer als in der Gruppe mit alleinigem Augenpflaster (Unterschied der Mittelwerte: 0,13 logMAR; 95%-KI: 0,04 bis 0,22 logMAR ; p = 0,004). Keiner der Teilnehmer schied wegen aufgetretener Nebenwirkungen aus der Studie aus.

Aber auch relevant für die Praxis?

Obwohl die kombinierte Therapie bei den an dieser Studie teilnehmenden Teilnehmern zu einer stärkeren mittleren Verbesserung der Sehkraft-­Werte des amblyopischen Auges führte als Patching allein, lässt sich laut Studienautoren über die klinische Relevanz aufgrund des geringen Unterschiedes keine Aussage treffen.

Dacid C. Musch, Professor für Ophtalmologie und Visual Sciences am Kellogg Eye Center, Michigan sieht in seinem Kommentar zu Studie eines der Probleme darin, dass die Kinder nicht schon vor Beginn der Studie über mindestens vier Wochen eine Brille getragen haben. Um eine Verbesserung der Sehkraft, die alleine durch diese Maßnahme erreicht werden könnte, zu bestimmen, wäre dies seiner Meinung nach notwendig gewesen. In einer früheren Studie mit 7- bis 17-jährigen Kindern konnte nämlich bei etwa einem Viertel der Kinder alleine durch das Tragen einer Brille eine Verbesserung der Sehschärfe um mindestens zwei Zeilen erzielt werden. Da 69% der teilnehmenden Kinder in der aktuellen Studie einen Brechkraftfehler über + 6,00 dpt haben, ist seiner Meinung nach davon auszugehen, dass auch hier das Tragen einer Brille einen positiven Einfluss gehabt hätte. Des Weiteren hebt Muschs hervor, dass das Patientenkollektiv in der Gruppe der Sieben- bis Zwölfjährigen mit gerade einmal elf Kindern zu klein ist, um eine Aussage der Wirkung in diesem Alter treffen zu können. Er stimmt insgesamt deshalb mit den Studienautoren darüber ein, dass die klinische Relevanz dieser Studie nicht beurteilt werden kann, und weitere Untersuchungen diesbezüglich folgen müssen [3]. |

Literatur

[1] Schwachsichtigkeit (Amblyopie) bei Kindern. Informationen des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), www.gesundheitsinformation.de/schwachsichtigkeit-amblyopie-bei-kindern.html, Abruf am 2. August 2021

[2] Wang S et al. Effect of Combined Atropine and Patching vs Patching Alone for Treatment of Severe Amblyopia in Children Aged 3 to 12 Years: A Randomized Clinical Trial. JAMA Ophthalmol 2021. doi:10.1001/jamaophthalmol.2021.2413

[3] Musch D, Baker JD. Patching and Atropine for Severe Amblyopia. Are Both Better Than Patching Alone? JAMA 2021. doi:10.1001/jamaophthalmol.2021.2425

Apothekerin Dr. Sabine Fischer

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