Arzneimittel und Therapie

Angusta ist da

Misoprostol-Präparat zur Weheneinleitung jetzt auch in Deutschland

dm/mab | Am 1. September 2021 kommt nun auch in Deutschland mit Angusta ein offiziell zur Geburtseinleitung zugelassenes Misoprostol-Präparat auf den Markt. Bis dahin war es ein langer Weg. Hier ein Rückblick auf den umstrittenen Off-Label-Einsatz von Misoprostol in Form des Präparates Cytotec®.

Als synthetisches Prostaglandin-E1-Analogon hemmt Misoprostol die Säure- und Pepsin-Sekretion im Magen. Bis vor einigen Jahren wurde es daher auch in Deutschland in einer Dosis von 200 Mikrogramm in Cytotec® zur Therapie und Prävention von Gastroduodenalulzera eingesetzt. Aufgrund seiner Uterus-kontrahierenden Wirkung wird Misoprostol zudem zur ­Einleitung der Wehen (empfohlene Einzeldosis der Weltgesundheitsorganisation WHO: 25 µg) und als Abortivum (empfohlene Einzeldosis der Weltgesundheitsorganisation WHO: 600 bis 800 µg) eingesetzt. Das Problem: Bei der Geburtseinleitung mit Misoprostol kann es zu einer unkontrollierbaren Wehentätigkeit, dem sogenannten Wehensturm, kommen. Eine Ruptur der Gebärmutter sowie eine Unterversorgung des Säuglings mit Sauerstoff können die Folge sein.

Foto: Gorodenkoff/AdobeStock

Cytotec® schuld an Todesfällen?

Deshalb ist der Einsatz von Misoprostol in der Geburtseinleitung in Verruf geraten. So meldeten die Süddeutsche Zeitung sowie der Bayerische Rundfunk Anfang 2020, dass jede zweite Klinik in Deutschland mit Cytotec® ein Medikament zur Einleitung von Wehen nutzt, das in der Geburtshilfe nicht zugelassen ist. Das zur Ulkusprophylaxe zugelassene Präparat, dessen Vertrieb von der Firma Pfizer in Deutschland schon 2006 eingestellt worden war, war nach wie vor in anderen europäischen Ländern erhältlich. Da es ungleich preiswerter als die zur Weheneinleitung zugelassenen Alternativen war, lautete der Vorwurf, dass die Kliniken aus Kostengründen diese billigere Alternative importieren und off label einsetzen würden, obwohl die Datenlage schlecht sei. Dies soll zu vielen mütterlichen Todesfällen geführt haben, und auch mehrere Babys seien verstorben. Verantwortlich dafür wurde weniger der Wirkstoff an sich gemacht als seine falsche ­Anwendung, Dosierung und Darreichungsform, zum Teil bedingt durch das Teilen von Tabletten, die nicht dafür vorgesehen waren.

Off label eingesetzt

Es gab aber noch ein zusätzliches Problem: Cytotec® kam in der Geburts­einleitung off label zum Einsatz, also ohne Zulassung in der entsprechenden Indikation. Die fehlende Zulassung hatte die Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe schon im Juni 2011 kritisiert:

„Problematisch ist zur Zeit die Off-label-Anwendung von Misoprostol. Die Tatsache, dass trotz unzähliger Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit von Misoprostol (mit Ausnahme weniger Länder) keine Anwendungserweiterung für den Einsatz zur Geburtseinleitung und Atonietherapie beantragt wurde, ist nach unserer Beurteilung weit­gehend emotional (das Medikament wird auch für Schwanger­schafts­­abbrüche verwendet) und – aus Herstellersicht – ökonomisch begründet.“

Als das Thema Cytotec® Anfang 2020 in den Medienstrudel geriet, gab es keine aktuelle Leitlinie zur Geburtseinleitung. Entsprechende Leitlinien von 2010 befanden sich seit 2013 in der Überarbeitung. Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. hatte schließlich im März 2018 ein Leitlinienvorhaben mit dem Titel „Geburtseinleitung“ angemeldet – geplante Fertigstellung: 31. März 2020. Die Begründung dafür lautete: „Eine der häufigsten Maß­nahmen im geburtshilflichen Alltag. Ausreichend vorliegende Evidenz, jedoch sehr heterogenes Vorgehen in Deutschland.“

Die Rolle der Hersteller

Kritisiert wurde auch, dass es in Deutschland kein Bemühen um eine Zulassung von Misoprostol zur Geburtseinleitung durch pharmazeutische Hersteller gab. Schon in einer frühen Stellungnahme zum Fall hatte die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. darauf ­verwiesen, dass Misoprostol in vielen Ländern unter den Handelsnamen „Angusta“ oder „Vagiprost“ zur Geburtseinleitung bereits zugelassen ist – „und somit eher eine Besonderheit in Deutschland besteht.“

Angusta ab 1. September auch in Deutschland verfügbar

Nun kommt auch in Deutschland ein in der Indikation der Geburtseinleitung zugelassenes orales Misoprostol-­Präparat unter dem Handelsnamen Angusta mit einer Dosierung von 25 Mikrogramm auf den Markt. Für die Zulassung hatte das Unternehmen die sogenannte „Repeat-Use Procedure“ in einer Reihe europäischer Länder abgeschlossen: darunter Österreich, Belgien, Zypern, Deutschland, Griechenland, Spanien, Irland, Italien, Luxemburg, Malta, Niederlande, Portugal und Großbritannien. Die empfohlene Dosierung zur Geburtseinleitung beträgt 25 Mikrogramm alle zwei Stunden oder 50 Mikrogramm alle vier Stunden. Die maximale Tages­dosis beträgt 200 Mikrogramm. Eine Teilung von Tabletten entfällt. Zugelassen ist Angusta zur oralen Anwendung, eine vaginale Applikation ist nur off label möglich. Laut Lauer-Taxe beträgt der Einkaufspreis für eine Klinikpackung Angusta mit acht Tabletten 98,30 Euro.

Foto: Norgine

Fixe Dosierungen nicht sinnvoll

Die Autoren der gemeinsamen S2k-Leitlinie der Deutschen, der Österreichischen und der Schweizerischen ­Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG, OEGGG, SGGG) zur Geburtseinleitung hatten in der im März 2020 erschienenen Leitlinie einiges zur richtigen Anwendung und Dosierung von Misoprostol klargestellt. Als „problematisch“ wurde jedoch weiterhin beschrieben, dass die optimale Dosierung unklar sei.

Von Professor Kehl, dem Leiter der Geburtshilfe am Universitätsklinikum Erlangen erfuhr die DAZ Anfang 2021 schließlich, dass entsprechende Studien zur Präzisierung der optimalen Dosierung nicht zu erwarten und wohl auch nicht notwendig seien: „Da jede Schwangere individuell zu betrachten ist, es verschiedene Geburtssettings und verschiedene Versorgungsstufen gibt, sind rigide einheitliche Dosierungsregimes nicht immer sinnvoll. Es gibt permanent internationale und nationale Studien zur Geburtseinleitung mit verschiedenen Verfahren.“

Importstopp von Cytotec®bleibt ein Problem

Mit dieser Einschätzung, der neuen Leitlinie, dem neuen öffentlichen Bewusstsein für die Risiken von Misoprostol und vor allem der Markteinführung von Angusta könnte man nun also einen Strich unter den Fall Cytotec® ziehen. Im April 2021 ist jedoch – noch vor der Markteinführung von Angusta – der Importstopp von Cytotec® verkündet worden. Diese Entwicklung bezeichnete die DGGG als „besorgniserregend“ und wandte sich sogar mit ­einem öffentlichen Brief an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), mit der Forderung, den erschwerten Zugang zu Cytotec® zurückzunehmen.

Einsatz auch in anderen gynäkologischen Indikationen

Denn die Annahme, dass durch den Importstopp von Cytotec® keine Versorgungslücke entstehe, ist nicht richtig. Neben der Geburtseinleitung gibt es nämlich einige weitere Indikationen, in denen der Wirkstoff in verschiedenen Dosierungen benötigt wird:

  • zur Vorbereitung von Eingriffen an der Gebärmutter,
  • zur Behandlung von Fehlgeburten oder Schwangerschaftsabbrüchen
  • bei starken Blutungen nach einer Geburt.

In der Leitlinie „Peripartale Blutungen, Diagnostik und Therapie“, die noch bis 31. März 2020 gültig war und sich derzeit in Überarbeitung befindet, heißt es beispielsweise, dass in der Klinik bei Vorliegen von Risikofaktoren sowohl Uterotonika (Oxytocin), als auch Prostaglandine (z. B. Sulproston) und Misoprostol (Cytotec®, Off-Label-Use) bereitgestellt werden sollen. Für Misoprostol wird die Dosierung dort mit 800 bis 1000 µg Misoprostol rektal oder 600 µg oral angegeben. Dort steht aber auch, dass sich die Oxytocin-­Infusion als First-Line-Therapie effektiver und nebenwirkungsärmer als die Misoprostol-Gabe erwiesen habe. Bei vorausgegangener Uterotonika-Prophylaxe sei die Wirkung beider Medikamente jedoch gleich. Es wird deutlich: Auch in der Indikation der peripartalen Blutungen kann und sollte nicht einfach nach „Schema F“ verfahren werden. |

Literatur auf Anfrage

 

 

"Auf jeden Fall ein Lebensretter"


Über den weltweiten Einsatz von Misoprostol

 

Das Prostaglandin-­­­­­E1-Analogon Misoprostol steht auch auf der Liste der unentbehrlichen Arzneimittel der Weltgesundheitsorga­nisation WHO. Das unterstreicht seine Bedeutung in der Gynäkologie. Dass die Versorgung mit diesem wichtigen Arzneimittel nicht unproblematisch ist, zeigen Funde von extrem minderwertigen Misoprostol-Präparaten. Apothekerin Dr. Nhomsai Hagen hatte solche Präparate im Rahmen ihrer Doktorarbeit in Malawi und Ruanda entdeckt. Die DAZ hat mit ihr über den Stellenwert dieses Arzneimittels gerade auch in Entwicklungsländern gesprochen. Das komplette Gespräch können Sie auf DAZ.online als Podcast nachhören.

Foto: Körber-Stiftung/David Ausserhofer

Dr. Nhomsai Hagen hat mit ihrer Doktorarbeit „Qualität, Stabilität und Verfügbarkeit von Oxytocin-Ampullen und Misoprostol-Tabletten in Malawi und Ruanda“ den zweiten Preis des Deutschen Studienpreises 2021 der Körber Stiftung gewonnen.

DAZ: Frau Dr. Hagen, ist Cytotec® ein gefährliches Arzneimittel oder ein Lebensretter für Frauen?

Hagen: Es ist auf jeden Fall ein Lebensretter. Falsch eingesetzt kann es natürlich auch gefährlich werden, wie alle Arzneimittel – ohne Misoprostol hätten viele Frauen aber eindeutig ein Problem. Gerade wenn in der Indikation der Nachgeburtsblutung in Entwicklungsländern kein geschultes Personal für den Einsatz von Oxytocin vor Ort ist, ist Misoprostol sehr wichtig, aber auch beim Abort und in der Geburtseinleitung. Es ist ein wichtiges Arzneimittel, das auf der Liste der unentbehrlichen Arzneimittel der Weltgesundheitsorganisation, aber auch der nationalen Arzneimittelliste von Malawi steht. Mit letzterer habe ich mich ja in meiner Doktorarbeit beschäftigt.
 

DAZ: Haben die Behörden dann – trotz der Markteinführung von Angusta – vorschnell reagiert, als sie darauf hinwirkten, dass Cytotec® in Deutschland zügig vom Markt verschwindet?

Hagen: Ja, das sehe ich auch so. Zur Geburtseinleitung war Cytotec® eindeutig ungeeignet, weil es einfach die falsche Stärke war, aber im Bereich Nachgeburtsblutung oder Abort war Cytotec® in der Stärke sehr wichtig.
 

DAZ: Wird Misoprostol in Cytotec® oder anderen Präparaten in Malawi auch deshalb verstärkt eingesetzt, weil es so günstig ist?

Hagen: Cytotec® kommt in Malawi auch vor, hauptsächlich haben wir aber ein Generikum aus Indien vorgefunden, das günstiger ist, aber auch von guter Qualität war. Der Preis spielt natürlich immer eine Rolle, in Malawi geht es jedoch häufig schlicht um die Verfügbarkeit. Das indische Präparat war tatsächlich wie Cytotec® nicht für die postpartalen Blutungen zugelassen, wir haben aber auch Präparate mit passender Zulassung gefunden.
 

DAZ: Dann kommt Misoprostol in Malawi also auch off label zum Einsatz? Werden Tabletten dort auch geteilt, mit allen Problemen?

Hagen: Ja, Misoprostol wurde in Malawi auch häufiger zur Geburtseinleitung eingesetzt, und dort kam das zum Teil vor. Die meisten größeren Krankenhäuser, die Misoprostol routinemäßig eingesetzt haben, haben Misoprostol aber suspendiert. Das ist eindeutig die bessere Lösung.
 

DAZ: Sie haben auch deutlich minderwertiges Misoprostol in Malawi gefunden. War das ein Lagerungsproblem?

Hagen: Ich hatte keine Charge, die direkt vom Hersteller kam, kann das also nicht abschließend beurteilen. Die Vermutung liegt aber sehr nahe. Immerhin enthielt das betroffene Präparat nur 13% vom deklarierten Wirkstoffgehalt.
 

DAZ: Wäre es aufgrund solcher Funde nicht zu begrüßen, wenn mit Angusta auch in Malawi ein sicheres Präparat zur Geburtseinleitung zur Verfügung stehen würde?

Hagen: Auf der Liste der unentbehrlichen Arzneimittel der WHO stehen tatsächlich beide Stärken Misoprostol – 25 und 200 µg – drauf. Was die verschiedenen Dosierungen und Indikationen angeht, wäre Angusta also sicherlich auch in Malawi sinnvoll. Allerdings muss man in Ländern wie Malawi bedenken, dass diese auch deshalb eine Liste der unentbehrlichen Arzneimittel führen, weil sie das Produktportfolio möglichst klein halten möchten. Denn je mehr Medikamente auf dem Markt sind, desto teurer wird auch die Lagerhaltung und desto komplizierter wird die Ausbildung des Personals.

 

DAZ: Frau Dr. Hagen, vielen Dank für das Gespräch!

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