Arzneimittel und Therapie

OTC-Analgetika mit Folgen?

Wie sich Schmerzlinderung in der Schwangerschaft auf das Baby auswirkt

mab | Einer schottischen Kohortenstudie zufolge nehmen immer mehr Frauen in der Schwangerschaft ein OTC-Analgetikum ein. Gaben 1985 noch lediglich 1,8% der Schwangeren an, ein verschreibungsfreies Schmerzmittel angewendet zu haben, so waren es 30 Jahre später bereits 70,6%. Welche Auswirkungen die Einnahme auf das Neugeborene hatte, hat die Arbeitsgruppe um Zafeiri et al. vor Kurzem im Preprint veröffentlicht.
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Zur Auswertung der retrospektiven Kohortenstudie nutzten die Wissenschaftler die Aberdeen Maternity and Neonatal Databank, in der zwischen 1985 und 2015 151.141 Schwangerschaften dokumentiert worden waren. Über den gesamten Zeitraum gaben durchschnittlich 29,1% der befragten Frauen an, mindestens ein verschreibungsfreies Analgetikum (Paracetamol, Ibuprofen, Acetylsalicylsäure, Diclofenac, Naproxen) in der Schwangerschaft eingenommen zu haben. Mit 83,7% erfolgte die Einnahme am häufigsten im ersten Trimenon. Es zeigte sich, dass bei Frauen, die mindestens ein OTC-Schmerzmittel angewandt hatten, das Risiko für mehrere Komplikationen signifikant stieg.

Gesundheitscheck des Neugeborenen

Mittels des APGAR-Scores werden eine Minute, fünf und zehn Minuten nach der Geburt die fünf Faktoren Atembewegung, Puls, Grundtonus der Muskulatur, Aussehen, Reflexerregbarkeit des Babys mit 0,1 oder 2 Punkten bewertet. Während eine Summe unter 5 akute Lebensgefahr für das Neugeborene bedeutet, ist das Wohlergehen der Kinder mit Werten zwischen 9 und 10 Punkten optimal. Der Score kann allerdings nicht bei Frühgeborenen angewendet werden.

Darunter fielen: Frühgeburt vor der 37. Schwangerschaftswoche (adjustierte Odds Ratio [aOR]: 1,5), Totgeburt (aOR: 1,33), Einweisung auf die Intensivstation für Neugeborene (aOR: 1,57), Neuralrohrdefekt (aOR: 1,64), ein erniedrigtes Geburtsgewicht < 2500 g (aOR: 1,28), Makrosomie > 4000 g (aOR: 1,09), ein APGAR-Score (s. Kasten „Gesundheitscheck des Neugeborenen“ ) kleiner 7 eine Minute (aOR: 1,18) sowie fünf Minuten (aOR: 1,48) postpartal sowie Hypospadie (Fehlbildung des Penis, aOR: 1,27). Das größte Risiko für eines dieser Outcomes hatten Frauen, die neben Paracetamol noch mindestens ein nichtsteroidales Antirheumatikum (NSAR) eingenommen hatten. Als Stärke der Studie nennen die Autoren neben der großen Kohorte und dem langen Beobachtungszeitraum auch, dass die Daten sich auf das Aberdeen Maternity Hospital beziehen, in dem in dieser Region mehr als 95% der Entbindungen stattfinden, wodurch ein Selektionsbias vermindert wird. Limitierend lässt sich anmerken, dass sich in der Datenbank keine Aussagen finden lassen, aufgrund welcher Beschwerden die Schwangere das OTC-Analgetikum eingenommen hatte. |

Literatur

Zafeiri A et al. Maternal over-the-counter analgesics use during pregnancy and adverse perinatal outcomes: Cohort study of 151,141 singleton pregnancies. medRxiv 2021. doi: 10.1101/2020.09.24.20200188

„Schwangere nicht unbehandelt ihrem Schicksal überlassen“

Ein Gastkommentar

Auch hierzulande kommt es nicht selten vor, dass eine Schwangere in der Apotheke nach einem verschreibungsfreien OTC-Analgetikum fragt. Wie man die Studienergebnisse der schottischen Arbeitsgruppe einordnen kann, erläutert uns Dr. Wolfgang Paulus, Leiter der Reprotox-Beratungsstelle für Medikamente in Schwangerschaft und Stillzeit in Ulm.

Dr. med. Wolfgang E. Paulus, Universitätsfrauenklinik Ulm

Im Rahmen der statistischen Auswertung fällt ein Zusammenhang zwischen dem Einsatz von Analgetika und Komplikationen wie Frühgeburten, Totgeburten, geringem Geburtsgewicht, Verlegung von Neugeborenen in die Kinderklinik, reduzierten APGAR-Werten (s. Kasten „Gesundheitscheck des Neugeborenen“), kindlichen Neuralrohrdefekten und Hypospadien auf.

Keine Angaben zu Dauer und Dosis

Leider lassen sich aus der Analyse keine Angaben zur Dauer und Dosis der Anwendung bzw. zum Schwangerschaftsalter bei Exposition entnehmen. Das wäre insbesondere für die Zuordnung zu Fehlbildungen wie Neuralrohrdefekten oder Hypospadien relevant. Eine erhöhte Frühgeburtsrate durch kurzfristigen Einsatz von Analgetika in der Frühschwangerschaft klingt ebenfalls wenig plausibel.

Bei der Auswertung wurden Para­cetamol und die NSAR Ibuprofen, Naproxen, Diclofenac und ASS zusammengefasst. Angesichts unterschiedlicher Wirkungsmechanismen ist es unwahrscheinlich, dass alle Substanzen zu ähnlichen Komplikationen führen.

Die Studie erinnert an den lange angenommenen Zusammenhang zwischen dem Einsatz von Paracet­amol in der Schwangerschaft und kindlichem Asthma bronchiale, bis die Studie von Shaheen et al. (2019) zeigte, dass ein erhöhtes Risiko für kindliches Asthma auch unter mütterlicher Anwendung anderer Analgetika (NSAR, Opioide) auftritt. Daraus ergab sich die Schlussfolgerung, dass wohl mütterliche Faktoren wie chronischer Schmerz oder Angst für die Entwicklung der kindlichen Beschwerden verantwortlich sein dürften.

Viele übergewichtige Frauen

Analgetika werden bei unterschiedlichsten Grunderkrankungen eingenommen, die durchaus auch für den Schwangerschaftsausgang von Bedeutung sein können. In dem Kollektiv der vorliegenden Studie fällt z. B. ein signifikant höherer Anteil übergewichtiger Schwangerer unter den Analgetika-Anwenderinnen (48,9% gegenüber 36,8%) auf. Schmerzen im Bewegungsapparat kommen bei Übergewichtigen häufig in der Schwangerschaft vor. Allerdings ist ebenfalls bekannt, dass übergewichtige Schwangere ein höheres Risiko für Schwangerschaftskomplikationen (z. B. Prä­eklampsie mit Frühgeburt und ­geringem Geburtsgewicht) sowie kind­liche Fehlbildungen besitzen. In­sofern stellt sich auch in der vorliegenden Studie die Frage, inwieweit nicht die Ursache für die mütterliche Analgetika-Anwendung den ungünstigen Schwangerschaftsausgang bedingt.

Kausalzusammenhang fraglich

Es wäre sicher verfrüht, aus den in der vorliegenden Studie ermittelten statistischen Assoziationen einen kausalen Zusammenhang zwischen den frei verkäuflichen Schmerzmitteln und Schwangerschaftskomplikationen bzw. Beeinträchtigungen der kindlichen Entwicklung abzuleiten.

Natürlich sollte der Einsatz von Analgetika in der Schwangerschaft hinsichtlich Dosis und Dauer möglichst begrenzt erfolgen. Für nichtsteroidale Antirheumatika gelten die Einschränkungen vor allem für das letzte Trimenon, da eine Prostaglandin-Synthesehemmung zu einem vorzeitigen Verschluss von Ductus arteriosus und fetalen Nierenschäden führen kann. Allerdings darf eine Schwangere mit entsprechender Schmerzsymptomatik nicht unbehandelt ihrem Schicksal überlassen werden. |

Literatur

Shaheen SO, Lundholm C, Brew BK, Almqvist C. Prescribed analgesics in pregnancy and risk of childhood asthma. Eur Respir J. 2019 May 18;53(5):1801090

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