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Pharmakogenomik

Therapieresistenz überwinden

Chancen und Probleme der Wirkstoffauswahl bei Depressionen

Wenn ein Antidepressivum nicht anschlägt, beginnt für die Patienten oftmals eine lange Odyssee, bis eine passende Therapie gefunden ist. Die Bestimmung genetischer Polymorphismen der Cytochrom-P450-Isoenzyme CYP2C19 und CYP2D6 verspricht eine Abkürzung dieses Leidenswegs. Vielfache genetische Varianten dieser Enzyme ändern deren Stoffwechselaktivität und damit die Serumspiegel der Antidepressiva deutlich. Therapieresistente Patienten können von einer Bestimmung ihres metabolischen Status und einer entsprechenden Anpassung ihrer Medikation profitieren. | Von Tony Daubitz 

Es ist ein altbekanntes Ärgernis, dass Antidepressiva nur bei etwa jedem zweiten Patienten anschlagen [1]. Außer den Nebenwirkungen will sich oft kein Effekt einstellen. Es kommt dann auf die Erfahrung des verschreibenden Arztes an, um mit Dosissteigerungen, Präparatewechseln und möglichen Augmentationsstrategien eine ausreichende Kontrolle der Symptome zu erreichen. Für den Patienten bedeutet das häufig einen kräftezehrenden Trial-and-Error-Prozess, bis ein akzeptables Behandlungsregime gefunden ist. Grundlegende Therapieinnovationen ließen in den vergangenen Dekaden auf sich warten, und man kann davon ausgehen, dass wir auch in der näheren Zukunft noch mit dem derzeitigen Repertoire an Wirkstoffen arbeiten werden. Antidepressiva wirken gemäß der Monoamin-Mangel-Hypothese auf die serotonergen, noradrenergen und dopaminergen Signalwege im Gehirn. Vertreter sind unter anderem Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI), Noradrenalin-Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) und tricyclische Antidepressiva.

Um das derzeitige Arzneistoffarsenal besser und effektiver ausnutzen zu können, konzentrieren sich viele Forschungsbemühungen darauf, die Behandlung möglichst zu personalisieren, um die Wirksamkeit und Sicherheit zu erhöhen [2]. Nicht jeder Patient reagiert gleich auf ein eingenommenes Arzneimittel. Verschiedene Parameter spielen hierbei eine Rolle: physiologische, genetische und psychologische Faktoren sowie Wechselwirkungen und Umwelteinflüsse bestimmen darüber, wie gut der Organismus auf einen Wirkstoff anspricht. Besonders die Pharmakogenetik, also der Einfluss der genetischen Ausstattung jedes Einzelnen auf die Wirkung eines Arzneimittels, hat sich zu einem zentralen Forschungsgebiet entwickelt. Genetische Polymorphismen und Mutationen können dabei sowohl die Pharmako­dynamik als auch die Pharmakokinetik eines Arzneistoffes verändern und weitreichende Folgen für die Behandlung nach sich ziehen.

Schauplatz Leber

Im Rahmen der antidepressiven Therapie stehen dabei vor allem genetisch bedingte Veränderungen bei der Wirkstoffkinetik im Vordergrund. Ein Großteil der Antidepressiva und Psychopharmaka im Allgemeinen werden in der Leber im Rahmen des Phase-I-Stoffwechsels hauptsächlich über zwei Enzyme des Cytochrom-P450-Systems metabolisiert: CYP2D6 und CYP2C19 [3]. Und das obwohl diese beiden Enzyme im Gegensatz zu anderen CYP-Enzymen deutlich geringer exprimiert werden (siehe Tab. 1). Anscheinend haben diese beiden Enzyme eine große Affinität zu den typisch in Psychopharmaka auftretenden Strukturmerkmalen [2]. Im Gegensatz zu der wichtigen Isoform CYP3A4 treten bei CYP2D6 und CYP2C19 in der Bevölkerung viele verschiedene Polymorphismen auf, die die Aktivität des Enzyms drastisch beeinflussen können. Polymorphismen kommen vor allem durch Einzelnukleotid-Polymorphismen und durch Deletion bzw. Multiplikation des gesamten Gens zustande. Das CYP2D6-Gen ist dafür besonders anfällig, und verschiedene Varianten sind weltweit besonders häufig anzutreffen [4]. Man unterscheidet je nach Aktivität des resultierenden Enzyms verschiedene Varianten der Polymorphismen:

  • Nullallele, aus denen inaktive Enzyme resultieren (schlechte Metabolisierer),
  • Varianten, die eine geringere Aktivität oder Transkription verursachen (intermediäre Metabolisierer) und
  • Varianten, die eine erhöhte Aktivität oder Transkription nach sich ziehen (ultraschnelle Metabolisierer).
  • Varianten, die eine Aktivität aufweisen, die dem Wildtyp entsprechen, werden als normale bzw. extensive Metabolisierer verzeichnet [2].

Solche Unregelmäßigkeiten sind häufig anzutreffen und variieren deutlich je nach ethnischer Zugehörigkeit (siehe Tab. 2).

Tab. 1: Antidepressiva als Substrate der Cytochrom P450-Isoenzyme (in Klammern: untergeordnete Bedeutung) (nach [12])
CYP1A2
CYP2C9/10
CYP2C19
CYP2D6
CYP3A3/4
Agomelatin
(Amitriptylin)
(Clomipramin)
Duloxetin
Fluvoxamin
Imipramin
(Mirtazapin)
(Amitriptylin)
Doxepin
Fluoxetin
Amitriptylin
Citalopram
Clomipramin
Doxepin
Fluoxetin
Imipramin
Moclobemid
Sertralin
Trimipramin
Amitriptylin
Clomipramin
Desipramin
Doxepin
(Duloxetin)
Fluoxetin
Fluvoxamin
Imipramin
Maprotilin
Mianserin
(Mirtazapin)
Nortriptylin
Paroxetin
Trimipramin
Venlafaxin
Vortioxetin
(Amitriptylin)
(Mirtazapin)
Trazodon
Tab. 2: Häufigkeiten der verschiedenen CYP2C19- und CYP2D6-Varianten weltweit (nach [7])
Genotyp-basierter Phänotyp
% der Bevölkerung
Europa
Afrika
Ostasien
Südasien
Amerika
CYP2C19
schlechte Metabolisierer
3,3
3,3
14,2
11,8
1,1
intermediäre Metabolisierer
21,7
21,2
45,8
35,8
16,0
normale Metabolisierer
43,4
42,5
39,1
36,4
62,8
ultraschnelle Metabolisierer
31,6
32,9
1,8
16,0
20,1
CYP2D6
schlechte Metabolisierer
6,2
2,8
0,7
2,1
3,8
intermediäre Metabolisierer
2,6
24,5
48,6
10,0
2,6
normale Metabolisierer
88,1
64,7
49,6
85,9
91,4
ultraschnelle Metabolisierer
3,2
8,0
1,2
1,9
2,2

Ob derartige Polymorphismen der CYP-Enzyme tatsächlich die Plasmaspiegel der Antidepressiva und damit letztlich die antidepressive Therapie beeinflussen, ist Thema vieler Untersuchungen weltweit [5, 6]. Kürzlich wurde eine Meta­analyse veröffentlicht, die über 94 Studien zusammenfasst und abhängig vom Metabolisierungsstatus signifikante Spiegelveränderungen bei verschiedenen Psychopharmaka nachwies [7]. Bei den Antidepressiva waren insbesondere die Spiegel von Escitalopram und Sertralin bei schlechten und intermediären Metabolisierern signifikant erhöht. Aber auch die Blutkonzentrationen anderer Wirkstoffe wie Mirtazapin, Venlafaxin und Fluoxetin waren signifikant mit dem metabolischen Status assoziiert. Solche Konzentrationsveränderungen bleiben nicht ohne Folge für die Therapie der Depression. Man nimmt an, dass bei schlechten und intermediären Metabolisierern aufgrund der geringeren Verstoffwechselung der Arzneistoffe die Wirkstoffmoleküle im Blutkreislauf akkumulieren und die Gefahr für unerwünschte Wirkungen erhöhen. Ultraschnelle Metabolisierer hingegen erreichen womöglich keine ausreichenden Blutspiegel, die eine therapeutische Wirkung entfalten könnten. Beide Szenarien gefährden potenziell den Erfolg der antidepressiven Pharmakotherapie. Eine retrospektive Analyse an mehr als 2000 Patienten offenbarte zum Beispiel, dass eine antidepressive Behandlung mit Citalopram sowohl bei schlechten als auch bei ultraschnellen Metabolisierern häufiger mit einem Therapieversagen assoziiert war als bei stoffwechsel-normalen Personen [8]. Die Datenlage zu diesem Thema ist allerdings insgesamt sehr heterogen, es finden sich auch viele Studien und Analysen, die keine Indizien für einen Effekt der CYP-Polymorphismen auf die Wirksamkeit und Sicherheit der Therapie mit Antidepressiva beweisen konnten. Allgemein leiden die Studien zu diesem Thema oft unter einer zu geringen statistischen Power oder weisen andere methodische Mängel auf, die die Aussagekraft der Ergebnisse limitieren [9].

Wer sollte getestet werden?

Pharmakogenetische Testverfahren werden schon heute in der Praxis häufig eingesetzt. Auch verschiedene Hersteller haben bereits entsprechende Tests im Portfolio, z. B. bietet Roche den Amplichip CYP450 Test an und Stada den Diagnostik Antidepressiva Test. Beide Tests untersuchen die Polymorphismen der CYP2C19- und CYP2D6-Gene. Während der Amplichip ein Microarray-Chip ist, wird bei dem Stada-Test das Laborverfahren nicht angegeben. Sollte Patienten generell ein solcher Test angeboten werden, um die Wirksamkeit und Sicherheit ihrer antidepressiven Therapie von vornherein entsprechend ihres metabolischen Status zu optimieren? Zwei Metaanalysen, die Studien verschiedener kommerziell erhältlicher Gentests (z. B. GeneSight, CNSDose, NeuroIDgenetix, Neuropharmagen) zusammenfassen, geben einerseits Anlass zur Hoffnung, da die Wahrscheinlichkeit, dass die Therapie anschlägt, höher war, wenn die antidepressive Therapie mittels genetischer Typisierung der CYP2C19- und CYP2D6- (und teilweise weiterer) Gene angepasst wurde [10, 11]. Andererseits wiesen die berücksichtigten Studien oft Mängel wie eine fehlende Verblindung und kleine Probandenzahlen auf. Zudem wurden die Therapiealgorithmen, nach denen die Therapie angepasst wurde, nicht öffentlich gemacht. Aufgrund der Einschlusskriterien wurden insbesondere Patienten für die Studien berücksichtigt, bei denen in der Vergangenheit Psychopharmaka nicht anschlugen. Zusammenfassend urteilen die Autoren der Metaanalysen, dass aufgrund der starken Mängel keine Empfehlung für ein generelles proaktives Screening des genetischen metabolischen Status gegeben werden kann. Um ein solches Vorgehen uneingeschränkt empfehlen zu können, fehlen noch belastbare, große klinische Studien. Derzeit wird eine solche Praxis daher nicht verfolgt. Allerdings legen die Ergebnisse nahe, dass insbesondere Patienten, die auf Psychopharmaka nicht ansprachen, von einer pharmakogenetischen Testung profitieren können [11]. Die S3-Leitlinie „Unipolare Depression“ sieht bei Therapieversagen der antidepressiven Behandlung vor allem ein Therapeutisches Drug Monitoring der Wirkstoffe vor [12]. Der Serumspiegel der Arzneistoffe ergibt sich direkt aus den möglichen vorhandenen Stoffwechselunregelmäßigkeiten und ist daher ein belastbarer Parameter. Bei einer deutlichen Abweichung vom Zielwert, kann dann durchaus eine pharmakogenetische Typisierung vorgenommen werden, um die Ursache abzuklären [12].

Konsequenzen für die Therapie

Welche therapeutischen Konsequenzen sollten dann gezogen werden, wenn tatsächlich Unregelmäßigkeiten im Stoffwechsel der Antidepressiva z. B. nach einem Therapieversagen festgestellt wurden? In vielen Fällen ist es ausreichend, die Dosierung an den jeweiligen Metabolisierungsstatus anzupassen. Nicht immer liegen die Verhältnisse jedoch so einfach bzw. es können aufgrund mangelnder Datenlage nur eingeschränkt Empfehlungen ausgesprochen werden. Mehrere Organisationen haben es sich zur Aufgabe aufgemacht, die Erkenntnisse zu diesem Thema zusammenzutragen darunter z. B. das Clinical Pharmacogenetics Implementation Consortium CPIC und die Dutch Pharmacogenetics Working Group DPWG. Einen Überblick über die Empfehlungen dieser Organisationen für die Therapie mit SSRI und tricyclischen Antidepressiva bietet Tabelle 3. Da die Datenlage zu diesem Thema nach wie vor dünn ist, basieren deren Leitlinien nicht auf den Ergebnissen von randomisierten, kontrollierten Studien sondern auf kleineren Studien und Fallserien und somit auf Daten geringerer Evidenz. Den Empfehlungen zufolge sind neben Dosisanpassungen auch Präparatewechsel möglich, z. B. wenn Alternativen bestehen, die über ein anderes Enzym verstoffwechselt werden, das keinen Polymorphismus aufweist. Jede Präparateklasse hat ihre eigenen Herausforderungen. Tricyclische Antidepressiva sind besonders, da tertiäre Amine wie Amitriptylin durch CYP2C19 in die sekundären Amine überführt werden können (im Falle von Amitriptylin zu Nortriptylin). Tertiäre Amine wirken eher auf das serotonerge System, wohingegen die sekundären Amine einen stärkeren noradrenergen Effekt ausüben [5]. Polymorphismen in den Cytochrom-Enzymen können somit für Ungleichgewichte sorgen. Bei ultraschnellen und schlechten Metabolisierern ist daher ein Wechsel auf die sekundären Amine Nortriptylin und Desipramin eine Möglichkeit, um einem Therapieversagen bzw. vermehrten Nebenwirkungen aus dem Weg zu gehen [5]. Zudem werden tricyclische Antidepressiva durch CYP2D6 hydroxyliert. Die entstehenden Hydroxy-Metaboliten können wie im Falle von Nortriptylin kardiotoxisch wirken [5]. Bei ultraschnellen Metabolisierern kann die Dosis daher nicht problemlos gesteigert werden.

Tab. 3: Empfehlungen zur Therapieanpassung ausgewählter Antidepressiva (nach CPIP und DPWG [2])
Wirkstoff-klasse
Genotyp-basierter Phänotyp
CYP2C19
CYP2D6
schlechte Metabolisierer
intermediäre Metabolisierer
normale Metabolisierer
ultraschnelle Metabolisierer
schlechte Metabolisierer
intermediäre Metabolisierer
normale Metabolisierer
ultraschnelle Metabolisierer
selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI)
Citalopram
alternativer Wirkstoff oder halbe Dosis
Standard-Dosis
Standard-Dosis
alternativer Wirkstoff
Standard-Dosis
Standard-Dosis
Standard-Dosis
Standard-Dosis
Escitalopram
alternativer Wirkstoff oder halbe Dosis
Standard-Dosis
Standard-Dosis
alternativer Wirkstoff
Standard-Dosis
Standard-Dosis
Standard-Dosis
Standard-Dosis
Paroxetin
Standard-Dosis
Standard-Dosis
Standard-Dosis
Standard-Dosis
alternativer Wirkstoff oder halbe Dosis
Standard-Dosis
Standard-Dosis
Standard-Dosis
Sertralin
halbe Dosis
Standard-Dosis
Standard-Dosis
Standard-Dosis
tricyclische Antidepressiva
Amitriptylin
Nortrip­tylin/Desipramin oder Dosishalbierung
Standard-Dosis
Standard-Dosis
Nortrip­tylin/Desipramin
oder
50% Dosis­erhöhung
keine tricyclischen Antidepressiva oder halbe Dosis
25% Dosisreduktion
Standard-Dosis
keine tricyclischen Antidepressiva oder Dosis­erhöhung
Imipramin
Nortrip­tylin/Desipramin oder
Dosishalbierung
Standard-Dosis
Standard-Dosis
Nortrip­tylin/
Desipramin oder
Dosis um 50% erhöhen
keine tricyclischen Antidepressiva oder 70% Dosisreduktion
keine tricyclischen Antidepressiva oder 30% Dosisreduktion
Standard-Dosis
keine tricyclischen Antidepressiva oder 70% Dosis­erhöhung
Nortriptylin
Standard-Dosis
Standard-Dosis
Dosisverdopplung
keine tricyclischen Antidepressiva oder 60% Dosisreduktion
keine tricyclischen Antidepressiva oder 40% Dosisreduktion
Standard-Dosis
keine tricyclischen Antidepressiva oder 60% Dosis­erhöhung

SSRI werden je nach Wirkstoff über CYP2D6 und/oder CYP2C19 metabolisiert (s. Tab. 1). Der Einsatz dieser Arzneistoffe geht unter Umständen mit ernsthaften Nebenwirkungen einher, wie z. B. die QT-Zeit-Verlängerung besonders durch Citalopram. Bei schlechten Metabolisierern ist daher oft ein Präparatewechsel die bessere Alternative zur Dosisanpassung. Zudem gibt es wenig Erfahrung zur Dosisanpassungen für ultraschnelle Metabolisierer. Auch die S3-Leit­linie „Unipolare Depression“ betont, dass Dosissteigerungen von SSRI bei einem Nichtansprechen der Therapie nicht indiziert sind, da kein positive Dosis-Wirkungs-Beziehung besteht [6, 12]. Ein Präparatewechsel scheint in diesen Fällen die bessere Alternative. Für Fluoxetin werden keine Empfehlungen abgegeben. Der Stoffwechsel des Wirkstoffs ist komplex und involviert mehrere Cytochrom-Enzyme. CYP2D6 zum Beispiel konvertiert den Wirkstoff zu dem pharmakologisch aktiven S-Norfluoexetin. Polymorphismen des Enzyms können das Verhältnis zwischen beiden Molekülen verändern, aber nicht die Gesamtmenge beider Stoffe. Es ist noch unbekannt, ob und wie Polymorphismen die Wirksamkeit und Sicherheit der antidepressiven Therapie mit Fluo­xetin beeinflussen [6]. Generell ist bei Dosisanpassungen von Antidepressiva aufgrund von Stoffwechselbesonderheiten ein Therapeutisches Drug Monitoring empfehlenswert. Besonders in Situationen, in denen mehrere Polymorphismen nachgewiesen wurden, ist dies oft die einzige Möglichkeit, eine Therapieanpassung zu begleiten [5].

Auf einen Blick

  • Antidepressiva bieten oft nur eine 50 : 50-Chance auf Erfolg und Ansprechen der Therapie.
  • Eine pharmakogenetische Testung der Enzyme CYP2C19 und CYP2D6 kann durchaus sinnvoll sein. Insbesondere, wenn die Therapie nicht anschlägt, ist eine Bestimmung des Stoffwechsel-Status hilfreich.
  • Aufgrund der dünnen Datenlage ist aber derzeit noch keine allgemeine Empfehlung für eine proaktive Typisierung möglich.
  • Bis der Nutzen von passenden pharmakogenetischen Tests zweifelsfrei bewiesen ist, kann in der Apotheke auch auf andere Weise zum Erfolg der antidepressiven Therapie beigetragen werden.
  • Das Aufspüren von Interaktionen ist nach wie vor essenziell, nicht nur bei Antidepressiva. Ebenso ist es wichtig, Patienten darüber zu unterrichten, dass eine regelmäßige Einnahme ihrer Medikamente zentral ist für den Erfolg ihrer Behandlung.
  • Adhärenzprobleme sind bei der Therapie mit Antidepressiva weit verbreitet und oftmals ein Grund für das schlechte Ansprechen der Psychopharmaka [16].

Vielfältige Hindernisse auf dem Weg zur Prävention

Bei allen potenziellen Vorteilen einer pharmakogenetischen Testung darf auch nicht vergessen werden, dass sie viele Herausforderungen mit sich bringt, die womöglich einem standardmäßigen Screening entgegensprechen. Beispielsweise existieren unzählige Polymorphismen der CYP-Gene und jedes Jahr kommen neue hinzu. Kommerzielle Assays decken aus ökonomischen Gründen oft nur die am häufigsten vorkommenden Polymorphismen ab. Es gibt aber auch sehr zahlreiche, seltene Varianten, die zusammen genommen einen nicht unerheblichen Teil der Polymorphismen ausmachen [2]. Zusätzlich erschwert wird die Testung dadurch, dass dem genetischen Polymorphismus nicht immer eindeutig ein bestimmter Metabolisierungsstatus zugeordnet werden kann. Trotz gleichem Polymorphismus können sich die Aktivität der Cytochrom-Enzyme von Individuum zu Individuum stark unterscheiden [13]. Zusätzlich muss beachtet werden, dass anders als in dem Setting einer klinischen Studie Patienten im therapeutischen Alltag oft mehrere Medikamente einnehmen, die zusätzlich die Aktivität der CYP-Enzyme beeinflussen können.

Nicht zuletzt muss darauf hingewiesen werden, dass CYP2C19 und CYP2D6 zwar am meisten zur Metabolisierung der Psychopharmaka beitragen, aber dass eine genetische Testung dieser beiden Targets unter Umständen nicht ausreichend sein könnte. Neben den Polymorphismen des für den Stoffwechsel der Antidepressiva zuständigen Cytochrom-P450-Systems kann auch von anderer Seite Ungemach für die antidepressive Therapie drohen [2]. Es gibt Hinweise, dass Polymorphismen anderer Targets auch die Pharmakodynamik der Wirkstoffe beeinflussen können. Beispielsweise vermutet man, dass verschiedene Varianten des Serotonin-Transporter SERT und des Serotonin-Rezeptors 5-HT2A das Ansprechen der Antidepressiva verändern können [14]. Zusätzlich sind Varianten des Transporters p-Glykoprotein womöglich in der Lage, die Konzentration der Wirkstoffe am Wirkort zu verändern [14]. Je umfangreicher eine genetische Typisierung allerdings ausfällt, umso dringender stellt sich die Frage nach deren Kosten-Nutzen-Verhältnis. Noch sind sich die Studien an diesem Punkt uneins. Fest steht aber auch, dass die direkten und indirekten Kosten, die durch Depressionen jährlich verursacht werden, enorm sind: allein knapp 140 Milliarden Euro in der EU im Jahr 2007 [15]. Mit einer zunehmenden Implementierung von pharmakogenetischen Tests im klinischen Alltag auch unabhängig von psychopharmakologischen Fragestellungen kann zumindest bei einer massenhaften Anwendung auf sinkende Preise gehofft werden [2]. |

Literatur

 [1] Papakostas GI. Managing partial response or nonresponse: switching, augmentation, and combination strategies for major depressive disorder. J Clin Psychiatry 2009;70:16-25

 [2] van Westrhenen R et al. Pharmacogenomics of Antidepressant and Antipsychotic Treatment: How Far Have We Got and Where Are We Going? Front Psychiatry 2020;11:94

 [3] Hiemke C et al. Consensus guidelines for therapeutic drug monitoring in neuropsychopharmacology: update 2017. Pharmacopsychiatry 2018;51:9–62

 [4] Gaedigk A. Complexities of CYP2D6 gene analysis and interpretation. Int Rev Psychiatry 2013;25:534–53

 [5] Hicks JK et al. Clinical pharmacogenetics implementation consortium guideline (CPIC) for CYP2D6 and CYP2C19 genotypes and dosing of tricyclic antidepressants: 2016 update. Clin Pharmacol Ther 2017;102:37-44

 [6] Hicks JK et al. Clinical Pharmacogenetics Implementation Consortium (CPIC) Guideline for CYP2D6 and CYP2C19 Genotypes and Dosing of Selective Serotonin Reuptake Inhibitors. Clin Pharmacol Ther 2015;98:127-134

 [7] Milosavljevic F et al. Association of CYP2C19 and CYP2D6 Poor and Intermediate Metabolizer Status With Antidepressant and Antipsychotic Exposure: A Systematic Review and Meta-analysis. JAMA Psychiatry 2021;78:270-280

 [8] Jucik MM et al. Impact of CYP2C19 Genotype on Escitalopram Exposure and Therapeutic Failure: A Retrospective Study Based on 2,087 Patients. Am J Psychiatry 2018;175:463-470

 [9] Solomon HV et al. Does obtaining CYP2D6 and CYP2C19 pharmacogenetic testing predict T antidepressant response or adverse drug reactions? Psychiatry Res 2019;271:604-613

[10] Rosenblat JD et al. The Effect of Pharmacogenomic Testing on Response and Remission Rates in the Acute Treatment of Major Depressive Disorder: A Meta-Analysis. J Affect Disord 2018;241:484-491

[11] Bousman CA et al. Pharmacogenetic tests and depressive symptom remission: a meta-analysis of randomized controlled trials. Pharmacogenomics 2019;20:37-47

[12] S3-Leitlinie/Nationale VersorgungsLeitlinie Unipolare Depression. Langfassung, 2. Auflage, Version 5, 2015, DGPPN, BÄK, KBV, AWMF (Hrsg.) für die Leitliniengruppe Unipolare Depression

[13] Gaedigk A. Complexities of CYP2D6 gene analysis and interpretation. Int Rev Psychiatry 2013;25:534-53

[14] Fabbri C et al. Consensus paper of the WFSBP Task Force on Genetics: Genetics, epigenetics and gene expression markers of major depressive disorder and antidepressant response. World J Biol Psychiatry 2017;18:5-28

[15] Andlin-Sobocki P et al. Cost of disorders of the brain in Europe. European Journal of Neurology 2005;12:1–27

[16] Al-Jumah KA. Impact of pharmacist interventions on patients’ adherence to antidepressants and patient-reported outcomes: a systematic review. Patient Prefer Adherence 2012;6:87-100

Autor

Dr. Tony Daubitz, Studium der Pharmazie an der Universität Leipzig; Diplomarbeit in Basel an der Hochschule für Life Sciences der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) zu antientzündlichen Eigenschaften von Bambusextrakten; Promotion am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin zur Pharmakologie von Anionenkanälen.

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