Arzneimittel und Therapie

Mit Propionsäure LDL-Cholesterol­ senken

Ein neuer Weg zur Behandlung von Hypercholesterinämie?

mab | Propionsäure stellt ein spannendes Molekül in der Forschung dar. Priv.-Doz. Dr. Arash Haghikia hat die kurzkettige Fettsäure erfolgreich zur LDL-Cholesterol-Wert-Senkung am Menschen getestet. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, wie man sich diesen möglichen neuen Behandlungsweg einer Hypercholesterinämie vorstellen kann.
Foto: Sergey Nivens/AdobeStock

Einen neuen (Behandlungs-)Weg beschreiten: Mithilfe der kurzkettigen Fettsäure Propionsäure kann der Lipidstoffwechsel positiv beeinflusst werden.

DAZ: Die Darmflora spielt bei immer mehr Erkrankungen eine Rolle. Wie kann man sie mit einem erhöhten LDL-Cholesterol-Wert in Verbindung bringen?

Haghikia: Die Erkenntnis, dass das Darm-Mikrobiom bei Lipidstoffwechselstörungen eine kritische Rolle spielt, stammt unter anderem aus Untersuchungen des Stuhls von Personen mit einer Lipidstoffwechselstörung im Vergleich zum Stuhl von gesunden Probanden. Dabei konnte ein unterschiedliches Profil des Mikrobioms, also der bakteriellen Darmflora, verzeichnet werden [1]. Weitere molekularbiologische Untersuchungen zeigten, dass sich die Veränderung des bakteriellen Profils auf die Bildung von bestimmten Gallensäuren auswirkt, die wiederum den hepatischen Cholesterol-Stoffwechsel beispielsweise über sogenannte Farnesoid-X-Rezeptoren (FXR) und G-Protein-gekoppelte Gallensäurerezeptoren regulieren [2, 3]. Ein weiterer Mechanismus, wie das Darm-Mikrobiom den Cholesterol-Stoffwechsel reguliert, basiert auf der bakteriellen Produktion von sogenannten kurzkettigen Fettsäuren. Dabei scheint insbesondere die kurzkettige Fettsäure Propionsäure eine regulierende Wirkung auf den Cholesterol-Stoffwechsel auszuüben.

DAZ: Welche Rolle spielt die Propion­säure dabei genau?

Haghikia: Die Propionsäure gehört zu den kurzkettigen Fettsäuren, die im Rahmen von bakteriellen Fermentierungsprozessen im Darm z. B. aus Ballaststoffen gebildet wird. Die Forschungsergebnisse der letzten Jahre zeigen, dass Propionsäure nicht nur als Energiequelle für Darmzellen dient, sondern auch eine modulierende Wirkung auf das lokale Immunsystem des Darms hat [4, 5]. Darüber hinaus scheinen die kurzkettigen Fettsäuren eine regulierende Wirkung auf den Glucose- und Lipidstoffwechsel des Wirts zu haben [6]. Beobachtungen aus eigenen Forschungsarbeiten deuten darauf hin, dass die Propionsäure eine Cholesterol-senkende Wirkung aufweist. Insbesondere das atherogene LDL (low density lipoprotein)-Cholesterol scheint durch die Propionsäure gesenkt zu werden.

Priv.-Doz. Dr. Arash Haghikia, Oberarzt für Kardiologie an der Berliner Charité.

DAZ: Vor Kurzem hatten Sie Propionsäure das erste Mal an 62 Probanden mit erhöhten LDL-Cholesterol-Spiegeln von über 115 mg/dl untersucht. Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?

Haghikia: In unserer Studie wurden die Studienteilnehmer im Verhältnis von 1 : 1 entweder in die Placebo- oder Propionsäure-Gruppe randomisiert und erhielten entweder zweimal täglich 500 mg Propionsäure oder zweimal täglich 500 mg Placebo in Form einer magensaftresistenten Kapsel. Die Studienteilnehmer wurden angehalten, während der Studienzeit ihre Essgewohnheiten und körperliche Aktivität nicht zu ändern. Der primäre Endpunkt war die Senkung des LDL-­Cholesterol-Wertes nach acht Wochen. Die sekundären Endpunkte waren eine Änderung des Gesamtcholesterols und des Non-HDL-Cholesterols. Nach achtwöchiger Behandlung wurde durch die Einnahme von Propionsäure das LDL-Cholesterol im Vergleich zu Placebo im Durchschnitt um ca. 15 mg/dl gesenkt. Das entspricht etwa 8%. Ebenfalls zeigte sich eine Senkung des Gesamtcholesterols und des Non-HDL-Cholesterols durch Propionsäure. Dabei traten keine Propionsäure-assoziierten schweren Nebenwirkungen auf.

DAZ: Propionsäure wird von der Darmflora synthetisiert. Wäre grundsätzlich eine Stimulation dieser Propionsäure-produzierenden Stämme möglich, zum Beispiel durch die Einnahme von Darmflora-Produkten? Wenn ja, welche Stämme wären dafür interessant?

Haghikia: Prinzipiell ist eine Steigerung der endogenen Propionsäure-­Produktion durch Einnahme von bestimmten Probiotika denkbar. Dabei sind die Propionsäure-produzierenden Bakterienstämme bekannt. Zu den Hauptvertretern gehören beispielsweise Bacteroides vulgatus, Akkermansia muciniphila und Lactobacillus plantarum [7]. Ob eine Behandlung mit Probiotika ausreicht, um die intestinale Propionsäure-Produktion zu einem Maße zu steigern, dass es sich auf den Stoffwechsel auswirkt, ist allerdings noch Gegenstand aktueller Forschung.

Propionsäure-Mangel bei MS-Patienten

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Neben der Behandlung hoher LDL-Cholesterol-Werte kann Propionsäure aber noch mehr: So hat der Bruder von Herrn Arash Haghikia, Prof. Dr. Aiden Haghikia von der Universität Magdeburg, auf der diesjährigen Interpharm über den positiven Einfluss von Propionsäure auf den Verlauf von multipler Sklerose (MS) berichtet. Bereits 2015 konnte seine Arbeitsgruppe im Zellmodell nachweisen, dass die kurzkettige Fettsäure die Anzahl regulatorischer T-Zellen erhöht und damit das entzündliche Geschehen herunterfährt. Daneben konnte bei MS-Patienten ein Mangel an Propionsäure im Darm festgestellt werden. Durch die zweimal tägliche Gabe von 500 mg Propionsäure konnte seinen Angaben zufolge die Schubrate um 50% reduziert werden.

DAZ: Wäre auch eine Propionsäure-­Zufuhr über Lebensmittel prinzipiell möglich?

Haghikia: Derzeit wird der Einfluss von unterschiedlichen Diätformen auf die intestinale Produktion von kurzkettigen Fettsäuren untersucht. Beispielsweise ist bekannt, dass der Verdau von ballaststoffreicher Nahrung, wie Haferflocken, zu einer hohen Produktion von Propionsäure führt [6]. Ob die diätetisch erzielte Produktion von kurzkettigen Fettsäuren ausreicht, um systemische Effekte der Propionsäure zu erzielen, wird derzeit ebenfalls noch geprüft.

DAZ: Welchen Stellenwert könnte Propionsäure zukünftig bei der LDL-Hypercholesterinämie spielen?

Haghikia: Denkbar wäre ein Propionsäure-basiertes Konzept in der Prävention von atherosklerotischen Gefäß­erkrankungen bei Personen mit leicht erhöhten LDL-Cholesterol-Werten und niedrigem kardiovaskulärem Risiko. Der Cholesterol-senkende Effekt ist verglichen mit etablierten Cholesterol-Senkern (z. B. Statine) gering, sodass die Propionsäure sicherlich die medikamentöse Behandlung der Dyslipid­ämie nicht ersetzen wird. Inwieweit die Propionsäure zusätzlich zu der medikamentösen Lipidtherapie nützlich ist, also ob es beispielsweise einen additiven Cholesterol-senkenden Effekt hat, muss ebenfalls noch geprüft werden.

DAZ: Vielen Dank für das Gespräch! |

Literatur

[1] Fu J et al. The Gut Microbiome Contributes to a Substantial Proportion of the Variation in Blood Lipids. Circ Res. 2015;117(9):817-24. doi: 10.1161/CIRCRESAHA.115.306807

[2] Sayin SI et al. Gut microbiota regulates bile acid metabolism by reducing the levels of tauro-beta-muricholic acid, a naturally occurring FXR antagonist. Cell Metab. 2013;17(2):225-35. doi: 10.1016/j.cmet.2013.01.003

[3] Pathak P et al. Intestine farnesoid X receptor agonist and the gut microbiota activate G-protein bile acid receptor-1 signaling to improve metabolism. Hepatology. 2018;68(4):1574-1588. doi:10.1002/hep.29857

[4] Smith PM et al. The microbial metabolites, short-chain fatty acids, regulate colonic Treg cell homeostasis. Science. 2013;341(6145):569-73. doi: 10.1126/science.1241165

[5] Haghikia A et al. Dietary Fatty Acids Directly Impact Central Nervous System Autoimmunity via the Small Intestine. Immunity. 2015 Oct 20;43(4):817-29. doi: 10.1016/j.immuni.2015.09.007. Erratum in: Immunity. 2016;44(4):951-3

[6] Hosseini E et al. Propionate as a health-promoting microbial metabolite in the human gut. Nutr Rev. 2011;69(5):245-58. doi: 10.1111/j.1753-4887.2011.00388.x

[7] El Hage R et al. Supplementation of a propionate-producing consortium improves markers of insulin resistance in an in vitro model of gut-liver axis. Am J Physiol Endocrinol Metab. 2020;318(5):E742-E749. doi: 10.1152/ajpendo.00523.2019

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