Wirtschaft

Lieferengpässe: Wünsche an die neue Regierung

Pressegespräch von Pro Generika mit Vertretern der Arzneimittelhersteller, Kassen, Politik und Apotheker

cha | Es war ein gutes Timing: Kurz bevor am vergangenen Mittwoch die Ampel-Politiker ihren Koalitionsvertrag vorstellten, formulierten Vertreter der Arzneimittelhersteller, Kassen, Politik und Apotheker beim von Pro Generika veranstalteten „Berliner Dialog am Mittag“ ihre Wünsche an die neue Regierung, um zukünftig Lieferengpässe zu vermeiden.

Aufhänger für die Diskussion war das Zytostatikum Vincristin. Hier hatte das Unternehmen Teva Anfang September darüber in­formiert, dass es ab Dezember zu einem Lieferengpass kommen werde, da der Wirkstoffhersteller verzögert liefere und zukünftig keine größeren Mengen Vincristin mehr produzieren und ausliefern wolle. Dabei ist eine Substitution bei bestimmten Indikationen vor allem in der Kinderonkologie nicht möglich. Zwar konnte die Versorgung zwischenzeitlich durch Importe geregelt werden, doch das grundsätzliche Problem bleibt.

Burkhardt: Feste Preise führen zu weniger Anbietern

Andreas Burkhardt, Vorstand von Pro Generika und General Manager Teva Deutschland & Österreich, schilderte das Spannungsfeld, das bei einem kleinen Markt – der Umsatz mit Vincristin liegt bei 250.000 Euro pro Jahr – mit einem medizinisch notwen­digen Arzneimittel besteht. Der Wirkstoffhersteller höre aus ökonomischen Gründen auf. Wenn die Politik Preise festlege, führe dies dazu, dass es immer weniger Anbieter gebe.

Auf der Kassenseite sieht man das Thema Lieferengpässe eher gelassen: „Bislang haben wir es ganz gut geschafft“, konstatierte Anne-Kathrin Klemm, Abteilungsleiterin Politik und Kommunikation beim BKK Dachverband e. V. Man müsse Versorgungs- und Lieferengpässe auseinanderhalten. Nur bei sieben Wirkstoffen sei es zu Versorgungsengpässen gekommen, wobei Corona die Situation verschärft habe. Dabei liege die Beratungslast in den Apotheken, doch das sei deren Kompetenz. Dennoch müsse man das Thema angehen.

Darauf ging ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening direkt ein. 85 bis 90 Prozent der Apotheker bezeichneten Lieferengpässe als größtes Ärgernis im Berufsalltag. Die SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung gebe den Apotheken mehr „Beinfreiheit“, deshalb sei zur Zeit das Ärgernis geringer. „Wenn der Apotheker entscheiden darf, ist der Patient versorgt“, so Overwiening. Daher forderte sie, wie bereits mehrfach zuvor, dass diese Regelung ver­stetigt werde.

Foto: Pro Generika

Verschiedene Interessen, ein Ziel von rechts nach links: ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening, Anne-Kathrin Klemm (BKK Dachverband), Andreas Burkhardt (Teva), Moderatorin Rebecca Beerheide (Deutsches Ärzteblatt) sowie zugeschaltet Thomas Müller (Bundesministerium für Gesundheit)

Gespräche zur Verstetigung der Beinfreiheit geplant

Und das könnte tatsächlich der Fall sein. Thomas Müller, Leiter Abteilung 1 im Bundesministe­rium für Gesundheit, berichtete über Impulse beim Thema Lieferengpässe im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, z. B. zur Transparenz der Herstellungsstätten und der Verbesserung der Regulatorik. Dabei nannte er drei Stellschrauben zur Bewältigung der Lieferengpässe: die Produktion, die Puffer, beispielsweise in den Krankenhausapotheken, und der erleichterte Austausch in der Apotheke. Über den letzten Punkt stellte er Gespräche im ersten/zweiten Quartal mit Apotheken und Kassen in Aussicht, dabei könne man evaluieren, wie sich das mit den Rabattverträgen vertrage. Doch darüber werde die neue Regierung entscheiden. Weiterhin gestand Müller ein, dass bei den Generika „ein gewisser Bodensatz beim Pricing“ erreicht sei. Für Einsparungen müsse man sich die patentgeschützten Arzneimittel und die Hochpreiser anschauen.

Blick nach Kundl

Burkhardt monierte, dass davon bei den Unternehmen nichts angekommen sei. Wichtig sei, auch mit den Unternehmen zu sprechen. So seien Subventionen nicht alles, das Beispiel der Penicillinherstellung im österreichischen Kundl zeige, dass vor allem Abnahmemengen Planungssicherheit brächten. Gerade bei kritischen Arzneimitteln brauche es alternative Methoden, um die Versorgung zu sichern, man dürfe nicht den letzten Cent aus der Supply Chain herauspressen.

Die Probleme seien systemimmanent: Wenn der günstigste Preis zähle, verschlanke die Wirtschaft die Beschaffung und den Produktionsprozess. Die Verteilung auf zwei Wirkstofflieferanten führe zu höheren Kosten und katapultiere den Anbieter aus dem Wettbewerb.

Die Kassen wollten natürlich Geld sparen, um den Zusatzbeitragssatz gering zu halten, gab Klemm zu bedenken. Aus ihrer Sicht müsse das Vergaberecht modernisiert werden. So würden mehrere Wirkstofflieferanten die Lieferkette sicherer machen. Zudem sollten ökologische Aspekte bzw. Nachhaltigkeit eine Rolle spielen. Damit könnten die Kassen auch im Wettbewerb punkten, doch das dürften sie aktuell nicht, da sie das europäische Vergaberecht beachten müssten.

Overwiening: Gesundheit darf etwas kosten

Einen grundsätzlichen Aspekt brachte Overwiening in die Diskussion ein. Es heiße „Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts“, und daher dürfe Gesundheit auch etwas kosten. Die Apotheker wollten der Trivialisierung und Banalisierung der Arzneimittel entgegenwirken, dazu müsse man in den Köpfen der Bevölkerung verankern, dass man bereit sein müsse, dafür zu bezahlen. Das heiße nicht, dass man mit dem Füllhorn umhergehe. „Nicht pauschalieren, sondern differenzieren“, so Overwiening. Das sei zwar anstrengend, aber lohne sich.

Klemm: Rabattverträge nicht von unten aushebeln

Zu einem kleinen Schlagabtausch kam es zu Ende des Gesprächs zwischen Klemm und Overwiening. Die Kassenvertreterin hatte zum Thema Verstetigung der „Bein­freiheit“ geäußert, es dürfe nicht passieren, dass die Apotheken „Rabattverträge von unten aus­hebeln“ – schließlich habe man einen Vollsortimenter und müsse nichts nachweisen.

„Wie kommen Sie auf die Idee“, empörte sich Overwiening, „das hat niemand ausgenutzt.“ Sie verstehe diese Grundhaltung nicht. Für die Apotheken sei irrelevant, ob sie Präparat A oder B abgeben, sie wollten versorgen. Die Apo­theken hätten ein Gespür für intelligente Lagerhaltung im Sinne der Rabattverträge. „Kommen Sie in die Apotheke zu mir!“, lud Overwiening Klemm zu einem Praktikum ein. Zudem erinnerte Overwiening daran, dass die Kassen in der Zeit der Ausnahmeregelung Einsparungen wie nie zuvor eingefahren hätten. Klemm kündigte an, zum Praktikum anzutreten, aber sie wolle sich trotzdem die Zahlen anschauen.

Fazit: Keiner der Beteiligten stellt die Rabattverträge infrage, alle wollen Änderungen, vor allem das Vergaberecht muss reformiert werden. Aber wie groß sind die Chancen, dass sich hier tatsächlich etwas tut? „Die Zeit ist reif, dass wir für kritische Arzneimittel Ergänzungen im Vergaberecht brauchen“, resümierte Müller. Doch das sei ein dickes Brett, schließlich sind wir Exportweltmeister und tun uns schwer, Drittstaaten auszuschließen, gab er zu bedenken. |

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