Gesundheitspolitik

Der Apotheken-Ökonom: Zwischen Elbphilharmonie und Stuttgart 21

Prof. Dr. Andreas Kaapke 

Das E-Rezept wird zurzeit schon von einigen Internet-Apotheken beworben und eigentlich kann man dies bestens nachvollziehen, denn man befindet sich offiziell bereits in der Testphase, schenkt man dem ursprünglich aufgelegten Zeitplan zur flächendeckenden Einführung Glauben. Der Plan wurde schon vor längerer Zeit festgelegt und schien damals den Protagonisten gut machbar. Mit jedem Monat, der verstrich, und dem Näherrücken des Termins indes ergaben sich neue Herausforderungen. Dass man ganz offensichtlich Privatversicherte vergessen hatte und nun händeringend nach Lösungen sucht, ist ein schwer nachvollziehbares Dilemma, dass es notwendig ist, auf der Ebene der Apotheken, der Ärzte wie auch der Versicherten alle technischen Implikationen so zu regeln und zu gewährleisten, dass die Umsetzung auch faktisch möglich wird, steht schon als noch größere Hürde vor den Verantwortlichen. Nicht jedes mobile Endgerät unterstützt die gewählte technische Lösung, von daher darf man gespannt sein, wie hoch die Nutzungszahlen zum vorgegebenen Startdatum, dem 1. Januar 2022, sein werden.

Hat ein jetzt schon erwartet verhaltener Start aber das Zeugs zum Digitalschub? Ist das damit kommunizierte und angeblich einhergehende Vorteilspaket tatsächlich so umfänglich wie kolportiert? Und etablieren sich nicht zwei ­Parallellösungen nebeneinander, wenn zum Start neben üblichen Kinderkrankheiten weite Teile der Versicherten beim E-Rezept gar nicht mitmachen können?

Wie lassen sich derlei Versäumnisse erklären? Hat man das Projekt unterschätzt? Das kann sein, bei anderen Großprojekten erlebt man das ja auch. Aber dass Privatver­sicherte nicht als signifikant abweichend zu managen sind, kann kaum keinem aufgefallen sein.

Nun macht man Projekte nicht dadurch besser, dass man sie vorneweg totschreibt. Manch Apo­theker wird nicht unglücklich sein, dass mit dem dann offiziellen Startschuss nicht alles klappt, denn die Sorge, dass durch den Digitalisierungsschub viele Patienten in die sowieso durch die Pandemie schon begünstigten Internetkanäle abfließen, weil der Gang in die Offizinapotheke quasi als Medienbruch erlebt wird, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Manche sprechen in diesem Zusammenhang vom „Gamechanger“ E-Rezept. Auf der anderen Seite bleibt die räumliche Nähe von Arztpraxis und stationärer Apotheke bestehen. Nur weil der Prozess digital und nicht auf Papier abgewickelt wird, entsteht noch keine Verwerfung.

Gleichwohl muss beobachtet werden, welche Erfahrungen in der Modellregion Berlin-Brandenburg gemacht werden und was sich ­daraus für den Gesamtstart noch an Fehlervermeidungen ableiten lässt. Die Infrastruktur bei den Apotheken scheint weitgehend installiert, zumindest in einer Höhe respektablen Ausmaßes. Aber Infrastruktur alleine hilft nicht, wenn die dahinterstehenden Prozesse lahmen, suboptimal funktionieren und verunsicherte Patienten dann vor überforderten Apothekenmitarbeitern stehen. Und diese per Hotline bei wortkargen und technikverliebten IT-Spezialisten ins Leere laufen oder mit EDV-spezifischer Sprache abgespeist werden, die allzu häufig zu Frustration führt und führen muss. Das zweite Halbjahr ist also auch dafür zu nutzen, alle zu schulen und auf den Showdown vorzubereiten. Es wird dann die geben, die besonders technikaffinen, die genau im neuen Jahr die Probe zum Exempel machen und in Arztpraxen und Apotheken zum Praxistest blasen. Und es wird die geben, die Journalisten, die hämische Kommentare vor­bereitet haben und nur darauf warten, dass es eben nicht klappt, sondern knirscht, hakt und schlecht läuft. Aber all diese Unkenrufe können nicht darüber hinwegtäuschen, dass das längst überfällige E-Rezept der richtige Schritt in die richtige Richtung ist. Wenn bargeldlos und kontaktlos gezahlt werden kann, wenn papierlos dokumentiert und verwaltet wird, wenn Corona-geschuldet auch noch Versammlungen und Besprechungen weitgehend digital erfolgen und mit dem E-Rezept auch bei aller Wahrung der Persönlichkeitsrechte die Therapietreue und Versorgungs­sicherheit verbessert werden kann, dürfen technische Rückschläge nicht als Bremse wirken, sondern müssen als Motor dienen. Denn jeder Rückschlag ist auch ein Erkenntnisgewinn und je früher dieser Rückschlag kommt, umso rascher kann die Erkenntnis in Lösungen umgemünzt werden. Von daher ist das E-Rezept nicht die mit erheblichen Verzögerungen gebaute Elbphilharmonie und das noch nicht fertiggestellte Stuttgart 21, sondern die jetzt im Glanz erstrahlende Elbphilharmonie, die als neues Wahrzeichen der Stadt Hamburg dient. Und so wie Stuttgart 21 nach der Fertigstellung deutliche Fahrzeitverkürzungen bringen und eine neue Mitte in Stuttgart entstehen soll, so wird das E-Rezept auch oder gerade Markenzeichen der wahrnehmbaren Leistungsfähigkeit aller Apotheken in Deutschland. Hoffentlich täusche ich mich nicht. |

Andreas Kaapke ist Professor für Handelsmanagement und Handelsmarketing an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW), Standort Stuttgart, und Inhaber des Beratungsunternehmens Prof. Kaapke Projekte. E-Mail: a.kaapke@kaapke-projekte.de

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