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Wenn der Aluhut grüßt

Vom Umgang mit Verschwörungstheoretikern

Es gibt Verschwörungstheorien, die durchaus ein gewisses „Unterhaltungspotenzial“ aufweisen. „Bielefeld gibt es gar nicht“ – beispielsweise. Andererseits kann Verschwörungs­gläubigkeit problematisch und gefährlich sein – wie während der COVID-19-Pandemie zu beobachten. Doch was steckt hinter den Verschwörungs­theorien? Und was tun bei entsprechenden Tendenzen im Apothekenteam und bei Kunden?

Eine Pandemie bietet einen guten Nährboden für allerlei Verschwörungstheorien. Das war schon immer so. Während der Corona-Pandemie begegnet uns dieses Phänomen in Form von Corona-Leugnern, Corona-Skeptikern, sogenannten „Querdenkern“, Impfgegnern und einfach „nur“ besorgten und verunsicherten Menschen.

Dem hat sich unter anderem eine Mischung von Reichsbürgern, Rechtspopulisten und Rechts­extremisten angeschlossen. Problematisch ist nicht nur die Einmischung der Ultra-Rechten, problematisch ist auch die Duldung dieser Gruppen durch (angeblich) auf dem Boden des Grundgesetzes friedlich protestierende Bürger. Das Resultat ist schlecht für den Zusammenhalt in der Gesellschaft, insbesondere in der Pandemie – gut jedoch für das Virus.

Was bedeuten Corona-­Leugner für die Apotheke?

Es ist jedoch unabdingbar not­wendig, die Pandemie nicht außer Kontrolle geraten zu lassen. Darüber besteht in der Mehrheitsgesellschaft Konsens. Auch im Apothekenalltag treffen wir auf Verständnis für verordnete Maßnahmen – sei es in der Kundschaft oder unter den Kollegen. Andererseits gibt es Menschen, die anfällig für Verschwörungsdenken sind. Die Gefahr, die von einer COVID-19-Infektion ausgehen kann, wird angezweifelt. Zudem wird teilweise sogar die Existenz der Erkrankung bzw. des Virus an sich infrage gestellt. Interessanterweise ist ein Teil dieser Menschen gleichzeitig (!) davon überzeugt, dass SARS-CoV-2 in einem Labor entwickelt wurde, um große Teile der Erdbevölkerung auszurotten. Es müsste sich dieser Logik folgend um ein extrem gefährliches Virus handeln, was insofern der ersten Behauptung, das Virus existiere nicht oder sei nur eine „kleine Grippe“, widerspräche. Trotz solch offensichtlicher Widersprüche werden entsprechende „Theorien“ geglaubt und weiterverbreitet. Verordnete Maßnahmen wie die AHA-Regeln, insbesondere das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes, werden immer wieder ignoriert und mehr oder weniger lautstark infrage gestellt – und die Pandemie hierdurch befeuert.

Foto: M.Dörr & M.Frommherz – stock.adobe.com

Schon gewusst? „Aluhut“ wurde 2020 vom Leibniz-Institut für Deutsche Sprache, Mannheim, in die Liste von Neologismen rund um die COVID-19-Pandemie aufgenommen.

Was aber, wenn Verschwörungserzählungen in der Apotheke kursieren? Hat nicht gerade eine öffentliche Apotheke eine besondere Verpflichtung, irreführenden Behauptungen – insbesondere im medizinischen Bereich – entschieden entgegenzutreten? Grundsätzlich kann uns solches Verschwörungsdenken sowohl im Apothekenteam begegnen als auch durch Kunden in die Apotheke getragen werden. Es handelt sich in jedem Fall um eine heikle Angelegenheit, die einerseits Fingerspitzengefühl erfordert und andererseits auch einer klaren Haltung bedarf. Es steht einiges auf dem Spiel: der Frieden innerhalb des Teams bei einem hoch emotionalen Thema wie der Corona-Pandemie und die Glaubwürdigkeit der Apotheke als kompetenter Gesundheitsanbieter. Wie jedoch kommt es zu diesen häufig kruden „Theorien“? Sind manche Menschen dafür anfälliger als andere? Welche Strategien helfen gegen allzu viel Verschwörungsglauben?

Verschwörungstheorien – eine Random-Hitliste

  • Bielefeld gibt es nicht, ist in Wirklichkeit eine Erfindung von Aliens.
  • Die Erde ist flach – eine Scheibe.
  • Ebola ist eine vom Pentagon erfundene Seuche.
  • Flugzeuge versprühen Chemtrails. Diese dienen zur Kontrolle des Bevölkerungswachstums.
  • Die Mondlandung war nur ein Fake. Die Landung wurde in Wirklichkeit in einem Filmstudio in Hollywood gedreht.
  • Der Klimawandel ist frei erfunden.
  • 9/11: USA sprengten World Trade Center selbst in die Luft.
  • Bill Gates will Weltbevölkerung kontrollieren und bei Impfungen Chips einsetzen.
Foto: Yanik Chauvin – stock.adobe.com

Auch sehr „schön“: die Barcode-Verschwörung. Barcodes auf Verkaufspackungen sollten unbedingt durch aufgedruckte Quer­balken „entstört“ werden, sonst droht eine Verstrahlung der Kunden und in der Folge eine Störung des Energieflusses des Körpers.

Tatsächlich gibt es Firmen, die die Barcodes ihrer Produkte entsprechend „entstören“. In Wirklichkeit ist selbstverständlich keinerlei Gefährdung der Verbraucher durch Druckerfarbe auf Papier zu erwarten. Um etwas anderes handelt es schließlich bei den Barcodes nicht.

Theorie oder Erzählung?

Geht es bei einer Verschwörungstheorie tatsächlich um eine Theorie im wissenschaftlichen Sinne oder sollte besser von einer Verschwörungserzählung gesprochen werden? Laut einer Definition des Dudens handelt es sich bei einer Theorie um ein „System wissenschaftlich begründeter Aussagen zur Erklärung bestimmter Tatsachen oder Erscheinungen und der ihnen zugrunde liegenden Gesetzlichkeiten“. Eine wichtige Voraussetzung ist die Überprüfbarkeit einer Theorie, d. h. die zugrunde liegenden Hypothesen müssen darauf überprüfbar sein, ob sie widerlegt werden können. Die Falsifizierbarkeit ist also wichtiger Bestandteil. Sind sie widerlegt, müssen sie verworfen werden.

Genau das geschieht bei Verschwörungstheorien allerdings nicht. Im Gegenteil, Verschwörungs­erzählungen halten einer echten Überprüfung in der Realität letztlich nicht stand. Die angeblichen Verschwörungen werden selbst bei eindeutigen Gegenbeweisen von ihren Anhängern weiterhin geglaubt und für wahr befunden. Verschwörungserzählungen sind konkrete Erzählungen, meist ein Sammelsurium an Einzel­argumenten, die zusammengefügt werden, ohne tatsächlich zusammenzugehören, und die zudem oft auf einem eher abstrakten Verschwörungsmythos wie beispielsweise einer angeblichen „jüdischen Weltverschwörung“ fußen. Solch ein Mythos hat meist eine lange Geschichte und weist eine gewisse Verankerung in der Gesellschaft auf.

Verschwörungstheorien – und was dahintersteckt

Verschwörungstheorien – oder Verschwörungserzählungen – gab es schon immer. Bleibt die Frage, wie kommt es dazu? Nicht abschließend geklärt ist, ob es so etwas wie eine Verschwörungsmentalität gibt. Wenn jedoch von einer solchen Mentalität gesprochen wird, dann wird von einer Neigung bestimmter Menschen ausgegangen, Verschwörungs­erzählungen Glauben zu schenken. Meist richtet sich dieses Denken gegen „die da oben“. Das heißt, es werden grundsätzliche Vorurteile gegen „Eliten“ bzw. gegen Menschen gehegt, die als mächtig wahrgenommen werden. Betroffene verfügen über ein entsprechendes Weltbild, das zudem wenig ver­änderbar ist. In der Psychologie wird in diesem Zusammenhang von einer stabilen Persönlichkeitseigenschaft gesprochen.

Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass Alter, Geschlecht, Religion oder Bildungsstand und Intelligenz höchstens zweitrangige Faktoren sind. Ob eine Person zum konspirativen Denken neigt, hängt vielmehr von der persönlichen Fähigkeit ab, mit Unsicherheiten und Kontrollverlust umzugehen. Der soziale Status spielt zudem eine gewisse Rolle. Auch Diskriminierungserlebnisse fließen ein. Wer häufig eine Ohnmacht gegenüber anderen oder bestimmten Ereignissen empfindet, ist eher empfänglich für Verschwörungserzählungen.

Zentrale Punkte von Verschwörungstheorien

  • Es gibt eine geheime Verschwörung.
  • Und natürlich gibt es auch eine Gruppe von Verschwörern.
  • Zudem gibt es „Beweise“, die die Verschwörungs­theorie zu stützen scheinen.
  • Es wird suggeriert, dass nichts von ungefähr geschieht und dass es keine Zufälle gibt. Nichts ist, wie es scheint. Alles gehört zusammen.
  • Die Welt ist in Gut und Böse unterteilt.
  • Bestimmte Menschen oder Gruppen werden zu Sündenböcken gemacht. Hier ist häufig auch eine Verbindung zum Antisemitismus zu beobachten.

Aus welchen Gründen werden Verschwörungstheorien verbreitet? Erstaunlicherweise glauben die meisten Menschen, die das tun, tatsächlich an die entsprechende Verschwörung. Andere wollen aus unterschiedlichsten Motiven diese Fake News verbreiten, seien es politische oder auch finanzielle Gründe. Wiederum andere Menschen wollen einfach provozieren oder sich selbst hervorheben. Überall können uns solche Erzählungen begegnen. Besonders das Internet kann hierbei eine Art Verstärker darstellen, da sich Behauptungen schnell verbreiten und in entsprechenden Echokammern sogar noch verstärken. Doch auch ganz analog geschieht eine Verbreitung dieser Ideen – sei es im Freundeskreis, in der Verwandtschaft oder unter Kollegen.

Verschwörungserzählungen er­füllen bestimmte menschliche Bedürfnisse:

1.) Existenzielle Bedürfnisse wie das Streben nach Kontrolle und Sicherheit: Unsicherheiten, Ohnmachtsgefühle, private Probleme und gesellschaftliche Krisen verstärken ein Verschwörungsdenken.

2.) Soziale Bedürfnisse wie das Streben nach einer positiven Selbstwahrnehmung: Menschen, die ein starkes Bedürfnis haben, „einzigartig“ zu sein, fühlen ihren Selbstwert dadurch gesteigert und sich selbst bestätigt, wenn sie das Gefühl haben, im Gegensatz zu den „Unwissenden“ die „Wahrheit“ zu kennen.

3.) Epistemische Bedürfnisse wie das Streben nach Verstehen: Bedürfnis, die Welt durchschauen und ordnen zu können. Es werden von den Verschwörungsanhängern auch dort Muster, Strukturen oder Absichten hinter Dingen erkannt, wo es keine gibt. Frei nach dem Prinzip: „Da muss doch etwas dahinterstecken.“

Wie umgehen mit „Kollege Aluhut“?

Verschwörungstheorien können gefährlich sein. Die COVID-19-Pandemie erfordert Zusammenhalt in der Gesellschaft. Corona-Leugner, Aluhutträger, „Querdenker“ und Co. torpedieren sowohl mit ihren Verschwörungserzählungen als auch mit ihrem unsolidarischen Verhalten genau diesen dringend notwendigen Zusammenhalt. Das ist nicht nur gesellschaftlich gefährlich, sondern auch epidemiologisch.

Was aber tun mit „Kollege Aluhut“? Grundsätzlich gibt es kein Patentrezept. Zudem lassen sich Menschen, die fest in ihrem Verschwörungsdenken verankert sind, nur schwer überzeugen. Dennoch sollten entsprechende Tendenzen – insbesondere wenn sie dem Ansehen der Apotheke schaden – nicht einfach hingenommen werden. Je nachdem, ob der Kollege seine „Theorien“ öffentlich verbreitet (z. B. im Internet), womöglich sogar Rückschlüsse auf seine Tätigkeit oder die Apotheke gezogen werden können, oder es sich „lediglich“ um Gespräche mit Kollegen am Arbeitsplatz handelt, könnte es zu arbeitsrechtlichen Folgen wie Abmahnung oder gar Kündigung kommen – oder auch nicht.

Generell gibt es verschiedene Taktiken, wie Verschwörungserzählungen begegnet werden kann. Wichtig ist, die betreffende Person nicht persönlich anzugreifen, sondern in jedem Fall sachlich zu argumentieren. Dafür ist es jedoch unerlässlich, selbst faktenfest und vorbereitet zu sein. Klar in der Haltung, aber respektvoll im Umgang sollte die Devise im Umgang mit Verschwörungsgläubigen sein. Es sollten deutliche Grenzen gezogen werden. Antisemitismus, Rassismus oder demokratiefeind­liche Tendenzen sollten nicht toleriert werden.

Häufig sind echte Verschwörungstheoretiker selbst mit Fakten nicht zu überzeugen. Dennoch ist es empfehlenswert, sich als Apotheke klar zu positionieren und zur Unterlassung der Verbreitung von Verschwörungstheorien aufzufordern. Der Hinweis auf eventuell bei Zuwiderhandlung sich ergebende arbeitsrechtliche Schritte sollte durchaus erfolgen. Selbstverständlich ist die Situation kompliziert, schließlich möchte niemand wertvolle Mitarbeiter ver­lieren. Das Einhalten der für ein gutes Miteinander aufgestellten Regeln sollte dennoch eingefordert werden. Zudem sollte der gute Ruf der Apotheke nicht beschädigt werden. Erst recht ist es problematisch, mit Verschwörungsgläubigen innerhalb der Kundschaft umzugehen. Ruhig argumentativ gegenhalten, be­raten, informieren, aber niemals provozieren lassen – das sollte hier der Goldstandard sein. |

Inken Rutz, Apothekerin und freie Journalistin

Die Verwendung des Begriffs „Aluhut“ im Zusammenhang mit Verschwörungstheorien geht auf die Science-Fiction-Kurzgeschichte „The Tissue-Culture King“ von Julian Huxley zurück und stammt aus dem Jahr 1926. Ein britischer Forscher reist nach Afrika in ein Land, in dem der König sein Volk anhand von Telepathie regiert. Der Forscher stellt fest, dass ein aus mehreren Lagen Alu bestehender Hut die telepathischen Strahlen blockiert und er sich so schützen kann ....

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