Arzneimittel und Therapie

Dos und Don‘ts bei Leberzirrhose

Welche Arzneimittel bei geschädigter Leber sicher eingesetzt werden können

Die Prävalenz von Leberzirrhosen in Deutschland wird auf 900 pro 100.000 Einwohner geschätzt. Leber­schäden beeinflussen den Stoffwechsel vieler Arzneimittel, so dass die Dosis angepasst oder sogar ein alternativer Arzneistoff eingesetzt werden muss. Eine niederländische Arbeitsgruppe hat nun Empfehlungen zur Anwendung häufig eingesetzter Arzneimittel bei dieser Patientengruppe zusammengefasst.

Die häufigste Ursache für eine Leberzirrhose sind Alkoholmissbrauch, chronische Hepatitis B oder C oder nichtalkoholische Fettlebererkrankungen. Doch auch Autoimmun- oder Stoffwechselkrankheiten sowie Medikamente können die Leber schädigen.

Eine verminderte Funktion der Leber beeinflusst das Schicksal von Arzneimitteln im Körper auf verschiedenste Weise. Zum einen sinkt der hepatische First-Pass-Effekt und die Aktivität einiger Metabolisierungs-Enzyme. Zum ande­ren kann das verringerte Serum-Albumin zu einer geringeren Proteinbindung führen, und ein vorliegender Aszites (Ansammlung von Flüssigkeit in der Bauchhöhle) kann das Verteilungsvolumen erhöhen. Daher ist bei den betroffenen Patienten verstärkt auf die Auswahl des richtigen Arzneistoffes und die richtige Dosierung zu achten. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die Nierenfunktion beeinträchtigt wird, gastrointestinale Blutungen auftreten oder eine hepatische Enzephalopathie begünstigt wird. Eine niederländische Arbeitsgruppe hat daher über 200 Arzneimittel und deren Anwendung bei Patien­ten mit Leberzirrhose unter die Lupe genommen und in verschiedene Sicherheitskategorien eingestuft (s. Kasten „Sicherheitskategorien“). Der Fokus lag dabei auf weit verbreiteten Arzneistoffen und denen, die oft zur Behandlung von Komplikationen bei Leberzirrhosen eingesetzt werden.

Foto: Khunatorn – stock.adobe.com

Paracetamol bei geschädigter Leber? Solange keine weiteren Risikofaktoren wie Alkoholkonsum vorliegen, ist eine Dosisreduktion den niederländischen Empfehlungen zufolge nicht nötig.

Analgetika

Unter den analysierten schwach wirksamen Analgetika wurde nur eine Substanz als sicher eingestuft: Paracetamol. Was überrascht, da bei zu hohen Dosierungen toxische Metabolite wie N-Acetylchinonimin entstehen, die an Proteine der Hepatozyten binden und zu Leberzellnekrosen führen. Die maximale Tagesdosis (vier Gramm bei Erwachsenen) muss folglich auch bei Patienten mit Leberzirrhose beachtet werden. Liegen weitere Risikofaktoren für Hepatotoxizität vor (z. B. Alkoholkonsum), sollte eine Dosis von zwei Gramm pro Tag nicht überschritten werden. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzte (AkdÄ) empfiehlt, auch bei Patienten im Stadium Child-Pugh C (s. Kasten „Child-Pugh-Score“) diese Grenze einzuhalten.

Für den Einsatz von Tramadol bei Leber­zirrhose gibt es zwar nur begrenzt Daten, bei angepasster Dosis sind jedoch keine zusätzlichen Risiken bekannt. Dagegen gelten COX-2(Cyclo­oxygenase 2)-Hemmer und nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) als nicht sicher (Cave Nierenschäden). Codein sollte nur im Stadium Child-­Pugh A angewendet werden.

Sicherheitskategorien

  • sicher: Sicherheit durch valide Daten belegt
  • keine zusätzlichen Risiken bekannt: Daten nur begrenzt vorhanden, jedoch ohne Hinweise auf zusätzliche Risiken
  • zusätzliche Risiken bekannt: Daten nur begrenzt vorhanden, zeigen Hinweise auf zusätzliche Risiken bei Leberzirrhose
  • nicht sicher: Daten belegen, dass die Anwendung bei Leber­zirrhose nicht sicher ist

Opioid-Analgetika können unter engmaschiger Beobachtung und mit langsamem Einschleichen angewendet werden. Bei zu schneller Aufdosierung besteht das Risiko, eine hepatische Enze­phalopathie auszulösen. Für die Wirkstoffe Buprenorphin, Morphin und Oxycodon sind keine zusätzlichen Risiken bekannt. Beim Einsatz von Methadon bestehen dagegen zusätzliche Risiken für die Entwicklung eines hepatopulmonalen Syndroms und eine Verlängerung der QT-Zeit.

Antibiotika

Die Antibiotika Amoxicillin, Ciprofloxacin, Ofloxacin, Norfloxacin und Rifaximin werden von der niederländischen Arbeitsgruppe als sicher eingestuft. Auch für Piperacillin, Moxifloxacin, die Makrolide, Sulfamethoxazol, Trimethoprim, Clindamycin und perorales Fosfomycin sind keine zusätzlichen Risiken bekannt. Bei Tigecyclin ist in Stadium Child-Pugh C eine Dosisanpassung erforderlich.

Antidiabetika

Unter den Antidiabetika werden Insulin und Acarbose als sicher betrachtet. Bei SGLT-2(Sodium dependent glucose transporter 2)-Hemmern und Sulfonylharnstoffen – ggf. in angepasster Dosierung – sowie den meisten betrachteten Gliptinen sind keine zusätzlichen Risiken bekannt. Nur Sitagliptin sollte nicht im Stadium Child-Pugh C angewandt werden. Für Metformin wird die Anwendung bei Diabetespatienten mit kompensierter Leberzirrhose explizit empfohlen – vorausgesetzt, es liegen keine Risikofaktoren für eine Laktat­azidose vor (Alkoholkonsum oder eingeschränkte Nierenfunktion). Im Stadium Child-Pugh C sollten möglichst sichere Alternativen eingesetzt oder die Metformin-Dosis halbiert werden.

Herz-Kreislauf-Medikamente

Die Betablocker Atenolol, Carvedilol und Propranolol werden als sicher eingestuft. Nichtselektive Betablocker werden bei Leberzirrhose standard­mäßig zur Verhinderung der Varizenblutung eingesetzt und sollten außer bei starken Nebenwirkungen oder eingeschränkter Nierenfunktion nicht abgesetzt werden. Für Bisoprolol, Amlodipin, Diltiazem und Nifedipin sind bei entsprechender Dosisanpassung keine zusätzlichen Risiken bekannt. Dagegen gelten Nebivolol und Nitrendipin als nicht sicher bei Leberzirrhose. ACE-Hemmer, Sartane, Lercanidipin und Verapamil sollten nicht im Stadium Child-Pugh C angewendet werden.

Diuretika

Der Einsatz von Furosemid und Spironolacton wird als sicher eingestuft. Für Hydrochlorothiazid und Eplerenon sind keine weiteren Risiken bekannt. Triamteren ist nicht sicher bei Leberzirrhose.

Antithrombotische Mittel

Bei Acetylsalicylsäure (ASS), Dalteparin, Enoxaparin, Nadroparin und Phenprocoumon gibt es keine Hinweise auf zusätzliche Risiken in angepasster Dosierung. Bei Heparin besteht ein erhöhtes Blutungsrisiko. Clopidogrel gilt als unsicher im Stadium Child-Pugh C. Für Ticagrelor und Prasugrel sind für den Einsatz im Stadium Child-Pugh A bzw. A und B keine weiteren Risiken bekannt.

Child-Pugh-Score

Mithilfe des Child-Pugh-Scores lassen sich Fälle von Leberzirrhose anhand von fünf Kriterien in drei Stadien einteilen (Child-­Pugh A bis C). Die Kriterien sind erhöhtes Serum-Bilirubin, verringertes Serum-Albumin, ein höherer INR-Wert (International Normalized Ratio), Aszites und hepatische Enzephalopathie. Patienten im Stadium A haben eine durchschnittliche Einjahresüberlebensrate von 100%. Im Stadium C liegt diese bei nur noch 35%.

Lipidsenker

Gallensäurebinder können bei Patienten mit Leberzirrhose eingesetzt werden: Colestyramin wird als sicher eingestuft, für Colesevelam sind keine zusätzlichen Risiken bekannt. Die Stati­ne Simvastatin, Pravastatin und Rosu­vastatin sollten nicht im Stadium Child-Pugh C und in den Stadien A und B nur mit angepasster Dosis eingesetzt werden. Atorvastatin wird in allen Stadien als unsicher bewertet, Ezetimib in den Stadien Child-Pugh B und C. Zu Fenofibrat erlaubt die Datenlage keine Bewertung.

Protonenpumpeninhibitoren

Nur Esomeprazol kann mit reduzierter Dosis in allen drei Stadien der Leberzirrhose eingesetzt werden. Omeprazol gilt in Stadium Child-Pugh C als unsicher, Lansoprazol und Pantoprazol in allen Stadien.

Andere

Weitere als sicher eingestufte Arzneistoffe sind Lactulose, Prednisolon und Prednison. Auch für Metoclo­pramid, Ranitidin, Macrogol und Bisacodyl gibt es keine Hinweise auf zusätzliche Risiken. Azathioprin hat bei Leberzirrhose ein höheres Risiko für hämatologische Nebenwirkungen. Bude­sonid wird in allen Stadien als unsicher eingeschätzt, Domperidon nur in Stadium Child-Pugh C. Für Acamprosat und Mycophenolatmofetil kann für das Stadium Child-Pugh C wegen mangelnder Daten keine Einschätzung vorgenommen werden. Für Senna und die Antazida liegen für alle Stadien zu wenig Daten vor.

Fazit

Die veränderte Pharmakokinetik und -dynamik bei Patienten mit Leber­zirrhose hat Auswirkungen auf den Einsatz vieler Arzneimittel. 14% der von der niederländischen Arbeits­gruppe untersuchten Wirkstoffe wurden als generell unsicher bei Leber­zirrhose eingeschätzt, 26% in bestimmten Stadien. Bei 31% ist eine ­Dosisanpassung erforderlich. In den Niederlanden wurden diese Empfehlungen in die Verordnungssoftwaresysteme integriert. Ein Teil der Ergebnisse wurde auf Englisch veröffentlicht (www.drugsinlivercirrhosis.org). Weitere Empfehlungen sind auf Niederländisch publiziert. |

Literatur

Stammschulte T et al. Niederländische Empfehlungen zur sicheren Anwendung von Arzneimitteln bei Leberzirrhose. Arzneiverordnung in der Praxis, 27. Januar 2020. www.akdae.de

Child-Pugh-Kriterien. DocCheck Flexikon. https://flexikon.doccheck.com; Abruf am 18. Februar 2020

Geneesmiddelen bij levercirrose (Safe medication use in liver cirrhosis). Health Base Foundation. www.geneesmiddelenbijlevercirrose.nl/zorgverleners; Abruf am 18. Februar 2020

Apothekerin Sarah Katzemich

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