AvP-Insolvenz

Im Insolvenz-Strudel

Die Pleite des Apothekenrechenzentrums AvP erschüttert die Branche

eda | Über all die Jahrzehnte haben Apothekenrechenzentren funktioniert und das Vertrauen der angeschlossenen Apotheken genossen. Niemand hinterfragte das System, nur wenige Inhaberinnen und Inhaber setzten sich kritisch mit den Verträgen auseinander. Im September wurde eindrucksvoll deutlich: Wenn Rechenzentren wirtschaftlich ins Wanken geraten und sogar zahlungsunfähig werden, ist das eine Bedrohung für die einzelne Apotheke bis hin zur flächendeckenden Versorgung. Der AvP-Fall schlug ein wie ein Meteorit. Welches Ausmaß an Schäden zu erwarten ist, kann bisher nur vage formuliert werden.

Gerade eben noch waren zahlreiche Apothekerinnen und Apotheker von der missglückten IT-Umstellung bei der Apobank geplagt, die zur Verzögerung von Geldeingängen und Überweisungen geführt hatte. Dann kam es plötzlich zu ähnlichen Problemen bei der Auszahlung von Abrechnungsgeldern beim Rechenzentrum AvP.

Es ist Anfang September 2020 als sich Apothekeninhaber in den sozialen Medien darüber unterhalten, dass sie auf Abschlagszahlungen des Rechenzentrums warten – noch relativ unaufgeregt und sachlich. Es ist üblich, dass die Geldbeträge je nach verhandelter Kondition zu unterschiedlichen Zeiten die Konten der AvP-Kunden erreichen und hinzu kommen die Erfahrungen mit der Apobank in der Zeit davor. Nur wenige beginnen sich ernsthafte Sorgen zu machen.

Doch als sich die Beschwerden häufen, als immer mehr Kunden merken, dass weder der Außendienst noch die Firmenzentrale von AvP zu erreichen sind, beginnt die Stimmung allmählich zu kippen.

Es ist Mathias Wettstein, Vorstand der AvP-Gruppe, der Anfang September über ein Branchenportal zunächst noch Hoffnung schürt: Ein Serverumzug hätte zu den Auszahlungsverzögerungen geführt. Die Abschläge würden in den darauffolgenden Tagen auf die Konten der Apotheken überwiesen.

Banken kündigten Kredit

Was zu dem Zeitpunkt in den rund 3000 öffentlichen Apotheken niemand weiß: Auf den Konten von AvP fehlen Gelder in dreistelliger Millionenhöhe. Am 4. September kündigte ein Bankenkonsortium den für AvP so wichtigen Kredit, damit die Apotheken pünktlich ihre Abschlagszahlungen erhalten. So war AvP von heute auf morgen zahlungsunfähig.

Zeitgleich erlangte die Finanzdienstleistungsaufsicht „BaFin“ Kenntnis über die Kündigung des Konsortialkredits und wies am 10. September den Geschäftsführer des für die öffentlichen Apotheken zuständigen Tochterunternehmens, der AvP Deutschland GmbH, an, „bis zur Klärung der insolvenzrechtlichen Situation dafür Sorge zu tragen, dass keine gläubiger- bzw. insolvenzmasseschädlichen Auszahlungen seitens des Instituts vorgenommen werden“. Als sogenannter „schwacher“ Sonderbeauftragter der BaFin wurde ein Mitarbeiter der Deutschen Bundesbank bestellt. Dieser sollte die Einhaltung der Anordnung überwachen.

Wettstein wies seinen Geschäftsführer jedoch an, trotz der BaFin-Anordnung Abschlagszahlungen an die Apotheken vorzunehmen. Als dieser sich weigerte, wurde ein anderer Mitarbeiter beauftragt. Insgesamt sollten rund 183 Millionen Euro überwiesen werden – letztlich wurden nur rund 127 Millionen Euro an Abschlagszahlungen realisiert.

Aufgrund dieser Vorkommnisse und Verstöße gegen die Anordnung, bestellte die BaFin am 13. September einen neuen, „starken“ Sonderbeauftragten mit sämtlichen Aufgaben und Befugnissen eines Geschäftsleiters. Als sich für diesen Sonderbeauftragten in den Folgetagen herausstellte, dass die AvP Deutschland GmbH insolvenzreif war, beantragte er mit Schreiben vom 15. September beim Amtsgericht Düsseldorf die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens.

Schwarze Kasse, Luftbuchungen, fingierte Rechnungen

Das Insolvenzverfahren wurde am 1. November eröffnet. In seinem Gutachten beschreibt der Insolvenzverwalter sehr detailliert, wie aus seiner Sicht die wirtschaftlichen Schwierigkeiten zustande kamen, in die das Unternehmen geriet und die zur jetzigen Situation führten. Offenbar resultieren diese aus vorsätzlichen bis kriminellen Handlungen vonseiten der Unternehmens- und Geschäftsführung.

Demnach hatte es innerhalb der AvP-Unternehmensgruppe seit „geraumer Zeit“ finanzielle Unregelmäßigkeiten gegeben. Nach außen gelangt waren diese im Jahr 2018, als es zu strafrechtlichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Düsseldorf gegen einen Geschäftsführer bei AvP kam. Diesen vorausgegangen waren auffällige Überweisungen von Konten der AvP Deutschland GmbH auf ein bei der Stadtsparkasse Düsseldorf geführtes Konto der Dialog im Gesundheitswesen GmbH. Der Geschäftsführer leitete zeitweise auch diese Schwestergesellschaft innerhalb der AvP-Gruppe. Das Konto fand wiederum in keinen Büchern Erwähnung und die Gelder wurden für keines der Unternehmen in der AvP-Gruppe betriebsbezogen verwendet.

Vielmehr nutzte der Geschäftsführer das Konto für private Zwecke – also gewissermaßen als „schwarze Kasse“. Dies ergaben eigene Ermittlungen der Stadtsparkasse Düsseldorf, woraufhin man am 19. August 2018 Geldwäscheanzeige erstattete. Die staatsanwaltlichen Ermittlungen wurden erst mehr als ein halbes Jahr später öffentlich, als am 11. April 2019 Geschäftsräume der AvP Deutschland GmbH und der Dialog im Gesundheitswesen GmbH durchsucht wurden. Die Ermittler brachten zutage, dass zwischen 2009 und 2018 rund 1,8 Millionen Euro von den Abrechnungskonten in die „schwarze Kasse“ abgezweigt wurden. Der Geschäftsführer soll sich ab 2010 bis zur Auflösung des Kontos im Jahr 2018 an rund 1,6 Millionen Euro bedient haben. Nachträglich abgeschlossene Darlehensverträge dienten der Vertuschung.

Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf bestätigte auf Anfrage, am 12. August 2020 Anklage gegen „ein Mitglied des AvP-Managements“ erhoben zu haben. Der Fall gehe zurück auf eine Geld­wäscheanzeige vom 19. August 2018. Damit ist klar, dass es sich um den angestellten Geschäftsführer der AvP Deutschland GmbH und der Dialog im Gesundheitswesen GmbH handeln muss. Ihm wird vorgeworfen, Unternehmensgelder veruntreut zu haben. Konkret soll es um 800.000 Euro gehen, die er sich zu Privatzwecken entnommen hat. Die Corona-Pandemie hätte den Beginn eines Gerichtsverfahrens seit August bisher hinausgezögert, so der Sprecher der Staatsanwaltschaft.

„Verbund Starke ­Apotheken“

Statt in Schockstarre zu verfallen, nahm Apothekeninhaberin Beatrice Guttenberger aus Ochsenfurt ihr Schicksal selbst in die Hand und gründete den „Verbund Starke Apotheken“. Sie will den Betroffenen, aber auch der gesamten Branche ein neues Sprachrohr bieten, um die Politik für die Belange der Vor-Ort-Apotheken zu ­gewinnen. Bis Ende Januar sollen sich mindestens 1900 Apotheken finden, damit das Projekt tatsächlich durchstarten kann.

Forderungen aus Rabattverfall?

Die Vorgeschichte zur AvP-Pleite endet nicht mit der öffentlichen Anklage gegen den Geschäftsführer, denn der Fehlbetrag, um den es aktuell geht, ist laut Gutachten weitaus größer.

Nachdem bei AvP fehlerhafte Jahresabschlüsse für 2018 und 2019 korrigiert bzw. neu aufgestellt wurden, kristallisierte sich heraus, dass über Jahre hinweg Forderungen aus sogenannten Rabattverfallen (Verfall des Kassenabschlags bzw. des Apothekenrabatts) gebucht wurden, ohne dass diese von den Krankenkassen tatsächlich gezahlt wurden. Für den Zeitraum zwischen 2013 und 2019 beläuft sich die Summe laut Gutachten auf 50 Millionen Euro. Weshalb AvP die Ansprüche gegenüber den Kassen nicht geltend gemacht hat, bleibt im Gutachten unklar. Doch Branchenvertreter äußern sich auf Nachfrage der Redaktion skeptisch: Rabattverfalle aufgrund unpünktlicher Krankenkassenzahlungen kommen praktisch nicht vor. Daraus ist zu schließen, dass man bei AvP ­dieses eher seltene Ereignis offenbar systematisch ausnutzte, um etwas anderes zu verheim­lichen.

Ob der Insolvenzverwalter im laufenden Verfahren überhaupt noch Gelder aus diesem (vermeintlichen) Rabattverfall erfolgreich einfordern kann, muss man vor diesem Hintergrund noch weitaus skeptischer sehen. Denn in seinem Gutachten beziffert er die offenen Forderungen aus Rabattverfall auf bis zu 137 Millionen Euro. Falls sich diese Forderungen als ganz oder teilweise uneinbringlich herausstellen, könnte der Fehl­betrag schlimmstenfalls auf mindestens 200 Millionen Euro anwachsen.

Wie es jetzt für die betroffenen Apotheken weitergeht

Seit dem 1. November ist das Insolvenz­verfahren bei AvP eröffnet. Für die betroffenen Apotheken hieß das insbesondere, dass sie ihre Forderungen gegen AvP anmelden mussten. Bei den öffentlichen Apotheken entspricht die Höhe der fehlenden Abrechnungsgelder für den Monat August im Durchschnitt mindestens dem Jahresgewinn. Unter ihnen existieren Betriebe, bei denen sich aufgrund spezialisierter Versorgungsformen besonders drastische Finanzlöcher ergeben haben – etwa bei den Zytostatika herstellenden Apotheken. Durch die in diesem Segment herrschenden Kosten- und Vergütungsstrukturen ist es für sie noch aussichtsloser, die Umsatzausfälle aus eigener Kraft zu kompensieren.

Als eine erste (und sehr wahrscheinlich auch einzige) Hilfsmaßnahme hat die Bundesregierung Schnell­kredite der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) mit günstigen Zins­konditionen den betroffenen Apotheken in Aussicht gestellt. Ausdrücklich werden aber auch noch weitere politische Maßnahmen geprüft. Vor allem die Opposition drängt auf gesetzgeberische Konsequenzen und hinterfragt die Rolle der Wirtschaftsprüfer und der BaFin in diesem Zusammenhang. |

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