Apothekenreform

Gesetz beschlossen – Ergebnis offen

Das Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz ist 2020 auf seine Zielgerade eingebogen

tmb | Die Apotheker warteten seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zur Preisbindung für Rx-Arzneimittel bei grenzüberschreitender Lieferung vom Oktober 2016 auf eine wirkungsvolle Reaktion der Politik. Nachdem 2019 in zähem Ringen der Entwurf für ein Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz (VOASG) entstanden war, wurde dies erst im November 2020 verabschiedet. Doch die Umsetzung bleibt spannend. Ob das gewünschte Ergebnis erreicht wird, bleibt umstritten.

Der EuGH hatte 2016 entschieden, dass die Preisbindung für Rx-Arzneimittel beim Versand aus dem Ausland nicht mehr gilt, und damit unterschiedliche Wettbewerbsbedingungen geschaffen. Denn im Inland gilt die Preisbindung weiterhin und sie steht auch nicht zur Disposition, weil sie die Finanzierung der flächendeckenden Versorgung sicherstellt. Diese Grundlage des Systems wird jedoch durch das Gerichtsurteil untergraben. Als Reaktion entstanden zunächst Pläne, den Versand von Rx-Arzneimitteln zu verbieten. Der bis März 2018 amtierende Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe konnte dies nicht durchsetzen und sein Nachfolger Jens Spahn lehnt dies ab. Er hatte stattdessen zunächst begrenzte Boni vorgeschlagen, später ein Boni-Verbot. Dieses soll im Sozialrecht verankert werden, um es möglichst der Zuständigkeit des europäischen Rechts zu entziehen. Damit kann es jedoch nur für GKV-Versicherte gelten. Das Bundeskabinett hatte am 17. Juli 2019 einen Entwurf für ein solches VOASG beschlossen. Doch die Verfechter des Rx-Versandverbots und des VOASG ­argumentierten weiterhin, dass der jeweils andere Ansatz europarechtlich nicht haltbar sei. Daher drängte Spahn, den Gesetzentwurf mit der EU-Kommission abzustimmen, obwohl ein Notifizierungsverfahren nicht vorgesehen war. Darum wurde das VOASG bis Ende 2019 nicht in den Bundestag eingebracht. Doch einige unumstrittene Inhalte des Entwurfs wurden bereits im zweiten Halbjahr 2019 in anderen Gesetzen oder Verordnungen umgesetzt. Anfang 2020 standen ­außer dem Boni-Verbot folgende geplante Regelungen aus: die Einführung honorierter pharmazeutischer Dienstleistungen in Apotheken, das Zuweisungs- und Makelverbot für ­Rezepte, insbesondere für E-Rezepte, und eine Regelung für automatisierte Abgabestationen, deren Formulierung kontrovers interpretiert wurde. Dies war die Ausgangslage am Jahresbeginn 2020.

Mehr Geld für Notdienste und BtM

Anfang 2020 traten zwei Neuerungen zugunsten der Apotheken in Kraft, die ursprünglich Bestandteil des VOASG-Entwurfs waren und die im Oktober 2019 in eine Verordnung zur Änderung der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) und der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) ausgelagert wurden. Damit stiegen der Zuschlag für den Notdienstfonds von 16 auf 21 Cent pro Rx-Packung und die Dokumentationsgebühr für Betäubungsmittel und T-Rezepte von 2,91 auf 4,26 Euro. Diese Leistungen werden damit zwar besser honoriert, aber bezogen auf die gesamten Kosten der Apotheken kompensierte die Erhöhung nicht mal die zum Jahresbeginn 2020 um 1,9 Prozent gestiegenen Tarifgehälter (DAZ 4/22).

Bühler im Bundestag

Im Januar wurde bekannt, dass das Bundesgesundheitsministerium (BMG) schon im November 2019 ein Gutachten zur Preisbindung beim IGES-Institut in Auftrag gegeben hatte (AZ 3/1). Außerdem wurde der im Vorjahr mit seiner äußerst erfolgreichen Petition für ein Rx-Versandverbot bekannt gewordene Pharmaziestudent Benedikt Bühler erneut aktiv. Bei seiner Präsentation im Petitionsausschuss des Bundestages wollte er sich auf drei Rechtsgutachten stützen, die die ABDA zum Rx-Versandverbot in Auftrag gegeben hatte. Die ABDA hatte nur Zusammenfassungen veröffentlicht, verweigerte Bühler die Herausgabe der Vollversionen und verwies dazu auf die Beschlusslage, das Rx-­Boni-Verbot im VOASG konstruktiv zu begleiten. Einige Mitgliedsorganisationen forderten die ABDA dagegen auf, die teuer bezahlten Gutachten herauszugeben, statt sie dem Bundestag vorzuenthalten. Außerdem habe die ABDA das Rx-Versandverbot als Handlungsoption für den Fall eingestuft, dass das VOASG nicht ausreichend wirke (AZ 4/1, DAZ 4/9 und AZ 5/1). Am 27. Januar präsentierte Bühler sein Anliegen im Petitionsausschuss, unterstützt vom Apothekenrechts­experten Dr. Morton Douglas. Berufspolitiker der Apotheker waren nur als Besucher dabei. Bühler argumentierte engagiert für das Rx-Versandverbot. Er betonte die Arzneimittelsicherheit und die Kontrollen der EU-Versender. Spahn erklärte, Apothekenschließungen würden nicht mit dem Versand zusammenhängen, und warb für die Stärkung der Apotheken durch das VOASG. Zu den Gutachten verwies Spahn auf widersprüchliche Aussagen verschiedener Juristen. Die Bundesregierung verfolge die Gleichpreisigkeit als milderes Mittel im Vergleich zum Rx-Versandverbot (DAZ 5/9).

Am 30. Januar legte das BMG den Entwurf für ein Patientendaten-Schutzgesetz (PDSG) mit Regelungen für die ­Telematikinfrastruktur vor (siehe „Schlaglichter der Gesundheitspolitik“) – auch mit einem Makelverbot, das im VOASG geplant worden war. Dies umfasst ein sozialrechtliches Zuweisungsverbot für Ärzte gemäß § 31 Abs. 1 SGB V und eine Ausdehnung des Abspracheverbots für Ärzte und Apotheker gemäß § 11 ApoG auf E-Rezepte und ausländische Versender. Die Apotheker forderten jedoch, das Makelverbot auf Dritte auszudehnen, damit es seinen Zweck erfüllen könne. Denn es gehe insbesondere um Plattformen (AZ 6/1 und DAZ 6/12). Dies erklärte die ABDA auch in einem Positionspapier zum E-Rezept (DAZ 7/10). Das Verbot müsse „technisch abgesichert“ werden. Die Versicherten sollten über eine einheitliche App auf das E-Rezept zugreifen und die Daten sollten nicht an Drittanbieter weiter­geleitet werden können (AZ 22/1, zum ­E-Rezept siehe „Schlaglichter der ­Gesundheitspolitik“).

Zähes Warten und schwindende Zuversicht

Unterdessen ging die Diskussion über die Gleichpreisigkeit weiter, insbesondere zur Frage, ob die geplante sozialrechtliche Regelung auf Rx-Arzneimittel außerhalb der GKV übertragen werden kann. Ende Februar machten zwei Entscheidungen des Bundesgerichtshofs das Problem besonders deutlich. Danach müssen PKV-Versicherte ihren Versicherungen solche Rx-Boni, die keine Barrabatte sind, nicht angeben (DAZ 9/10). In der DAZ wurden die wesentlichen Argumente für die Gleichpreisigkeit erneut zusammengetragen. Dabei wurde betont, dass Wettbewerb beim Apothekenverkaufspreis für Arzneimittel jede andere Honoraridee für Apotheken auch im Dienstleistungsbereich aushebeln würde. Denn für die Apotheke zählt die Summe aller Einkünfte. Bei Preiswettbewerb würde damit auch der Staat seine Gestaltungsmöglichkeiten für die Arzneimittelversorgung aufgeben (DAZ 12/58).

Im Laufe des März geriet das VOASG durch die Corona-Pandemie zeitweilig aus dem Blickfeld. Ein Plan des BMG, Arzneimittelausgabeautomaten in Kliniken in Modellprojekten zuzulassen, wurde schnell wieder aufgegeben (DAZ 18/15 und AZ 20/1). Da die Apotheken in der Krise ihre unersetzliche Position für die ortsnahe Versorgung besonders eindrucksvoll verdeutlicht haben, kam bei einigen Apothekern neue Hoffnung auf ein Rx-Versandverbot auf. Anfang Mai lobte Spahn die Apotheker und ihre Teams bei einem Online-Gespräch mit Gabriele Regina Overwiening, der einzigen Kandidatin für die ABDA-Präsidentenwahl im Dezember. Doch Spahn bekräftigte seine Pläne für das VOASG und kündigte baldige neue Gespräche in Brüssel an (AZ 20/1 und 8). Mitte Juni berichtete Spahn, die Gespräche verliefen „gut und konstruktiv“ (DAZ 25/9). Doch die CSU-Bundestagsabgeordneten Emmi Zeulner und Wolfgang Stefinger forderten, wenn die Arzneimittelpreise nicht mit milderen Mitteln angeglichen werden könnten, müsse der Rx-Versand verboten werden. Auch Karin Maag (CDU), gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, und Georg Kippels (CDU) forderten das Rx-Versandverbot für den Fall, dass die EU-Kommission das Rx-Boni-Verbot kippen sollte (AZ 24/1). Zeulner erklärte, es lohne sich, bis zum Schluss für das Rx-Versandverbot zu kämpfen (AZ 26/1 und 8). Anfang Juli wurde jedoch die erste Lesung des VOASG für den 11. September angekündigt und die ABDA forderte in einer Resolution, das Gesetzgebungsverfahren 2020 abzuschließen (AZ 28/1 und 8). Sie ging damit nicht auf die erneuten Forderungen nach dem Rx-Versandverbot ein. Mitte August wurde durch eine Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion an die Bundesregierung bekannt, dass das BMG seit Sommer 2019 mit der EU-Kommission neun ­Gespräche auf Leitungsebene über das VOASG geführt hatte. Doch ein Ergebnis lag nicht vor (AZ 34/1).

Das Bundeskabinett beschloss am 19. August eine Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrats vom September 2019, in der sich der Bundesrat für ein Rx-Versandverbot ausgesprochen hatte. Die Bundesregierung führte dagegen erneut „rechtliche Bedenken“ an (DAZ 35/9). Dagegen konstatierten die Apothekenrechtsexperten Dr. Elmar Mand und Prof. Dr. Hilko Meyer in der Zeitschrift „Arzneimittel&Recht“ bemerkens­werte Schwächen im VOASG-Entwurf. Sie kritisierten die Streichung der grenzüberschreitenden Preisbindung in § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG und den großen Interpretationsspielraum der sozialrechtlichen Preisbindung. Da sie auf die Preisbindung im AMG verweist, könnte argumentiert werden, dass die neue Regel gerade nicht für das Ausland gelten solle. Außerdem ermögliche die Geltung nur für Sachleistungen abweichende Regelungen in Einzelverträgen, und die Gesetzesbegründung schaffe einen Wertungswiderspruch, weil sie statt auf die allgemeine Daseinsvorsorge nur auf das Sachleistungsprinzip gerichtet sei (DAZ 37/9).

IGES-Gutachten

Am 9. September wurde das „Ökonomische Gutachten zum Apothekenmarkt“ veröffentlicht, das das BMG beim IGES-Institut in Auftrag gegeben hatte. Der erste Teil des Gutachtens beschreibt das Apothekensystem und seine wirtschaftliche Lage anhand weitgehend bekannter Daten. Neu war eine bemerkenswerte Analyse zur Erreichbarkeit von Apotheken auf der Grundlage realer Wegstrecken und Fahrzeiten. Demnach erreichen 98 Prozent der Einwohner mit dem Auto innerhalb von zehn Minuten eine Apotheke. Doch zu Fuß kann die Erreichbarkeit kritisch sein und eine genauere Analyse zeigt, dass die Versorgung vielerorts von nur einer Apotheke abhängt – im Gutachten wird diese Erkenntnis aber nicht herausgearbeitet. Der zweite Teil des Gutachtens besteht aus einer abstrakten modelltheoretischen Analyse mit ebenso theore­tischen Schlussfolgerungen zu den Folgen des Preiswettbewerbs mit ausländischen Versendern. Durch das ­E-Rezept erwarten die Autoren eine „neue Wettbewerbslandschaft“ mit mehr Folgen für die Apotheken als durch Eingriffe in die Preisregulierung. Denn das E-Rezept vereinfache den Zugang zum Versand. Um juristische Aspekte ging es im Gutachten nicht. Die Gutachter leiteten auch ­keine Handlungsempfehlungen ab (AZ 38/1 und DAZ 38/20). Regierungspolitiker sahen im Gutachten überwiegend eine Bestätigung für das VOASG (AZ 38/8).

Am 10. September begrüßte die ABDA in einer Stellungnahme erneut das VOASG, forderte aber, die Übertragung der Preisbindung auf das Ausland in § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG zu erhalten. Die Preisbindung müsse auch für Selbstzahler gelten. Außerdem forderte die ABDA einen Zuschlag von 43 Cent statt 20 Cent pro Rx-Packung für die Finanzierung neuer pharmazeutischer Dienstleistungen und eine klare Abgrenzung zwischen Versand und Botendienst. Demnach soll das Aufstellen von „Bestellboxen“ von Versandapotheken eng beschränkt werden, und der Botendienst soll nur durch „eigenes“ Personal der Apotheken versehen werden (AZ 38/1).

VOASG im Bundestag

Als zusätzlichen Punkt nahm das BMG ein dauerhaftes Botendienst­honorar von 2,50 Euro plus Mehr­wertsteuer für Lieferungen von Rx-Arzneimitteln an GKV-Patienten in das VOASG auf – als Ersatz für das Botendiensthonorar von 5 Euro, das in der Pandemie kurzfristig eingeführt worden war (AZ 36/1). Dies war zuvor vielfach diskutiert worden (siehe „Schlaglichter der Gesundheits­politik“). Bei der ersten Lesung des VOASG am 11. September im Bundestag waren alle Redner einig, dass die Apotheken gerade in der Corona-Krise gezeigt hätten, wie wichtig sie für die flächendeckende Versorgung und als niedrigschwellige Anlaufstelle im Gesundheitswesen sind. Union und SPD betrachteten das VOASG als europa- und verfassungsrechtlich sicher. Spahn betonte, wie wichtig die Digitalisierung sei, aber es müsse klare Regeln geben. Er versprach: „Kein Wildwest mehr beim Bonus“ – vor allem in der GKV. Sabine Dittmar, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, betonte, vier Jahre nach dem EuGH-Urteil hätten keine signifikanten Marktverschiebungen stattgefunden. Der Versand habe nur ein Prozent Rx-Marktanteil, weil die Bürger ihre Vor-Ort-Apotheken schätzen. Edgar Franke (SPD) beschrieb das Rx-Versandverbot als „von gestern“, aber das Boni-Verbot im Sozialrecht sei ein „innovativer Vorschlag“. Zeulner beschrieb das Rx-Versandverbot weiter als Königsweg, aber auch die sozialrechtliche Lösung sei „sehr charmant“. Petra Sitte (Linke) mahnte, die „Rekord-Petition“ mit über 400.000 Unterschriften für das Rx-Versandverbot nicht zu übergehen. Auch Paul Viktor Podolay (AfD) sprach sich für das Rx-Versandverbot aus. FDP und Grüne betrachteten weder das Rx-Versandverbot noch das VOASG als geeignet. Christine Aschenberg-Dugnus, gesundheitspolitische Sprecherin der FDP, sah im VOASG einen „Taschenspielertrick“. Es sei EU-rechtswidrig und könne zu Schadensersatzforderungen gegen Deutschland führen. Auch Kordula Schulz-Asche (Grüne) bezweifelte, dass das VOASG vor dem EuGH Bestand haben werde (DAZ 38/9).

Letzte Änderungen und Verabschiedung

Damit lief das parlamentarische Verfahren für das VOASG ohne eine Bewertung durch die EU-Kommission an. Doch am 6. Oktober wurde ein Brief von EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton an Spahn bekannt. Darin bedankte sich Breton für eine Studie (gemeint war wohl die Studie des IGES-Institutes), die zum besseren Verständnis des Arzneimittelmarktes beitrage. Sie zeige die Bedeutung der Digitalisierung. Außerdem lobte Breton die Einführung des E-Rezepts. Der Brief eröffnete viel Interpretationsspielraum, aber Breton nutzte die Gelegenheit nicht, um das VOASG zu kritisieren. Die EU-Kommission hat also nicht protestiert. Dies wurde als Zustimmung interpretiert. Spahn erklärte, er erwarte „keine Verkündung“ aus Brüssel. Das Gesetz werde wahrscheinlich vor dem EuGH landen, aber er sei zuversichtlich (AZ 42/1 und 8).

Der CSU-Bundestagsabgeordnete Stephan Pilsinger forderte schärfere Kontrollen der Arzneimittellieferungen von ausländischen Versendern. Die Krankenkassen sollten nur bei Einhaltung aller Vorschriften an die Versender zahlen dürfen. Dabei ging es insbesondere um Temperaturkontrollen (DAZ 43/10). Pilsinger forderte „gleich lange Spieße“ für Versender und Vor-Ort-Apotheken. Daraufhin wurden Regelungen ergänzt, die klarstellen, dass die qualitätssichernden Regeln für Verpackung und Transport auch die EU-Versender betreffen. Außerdem wurde die Regel zu automatisierten Ausgabestationen überarbeitet. Die Arzneimittel aus diesen Stationen sind demnach für jeden Empfänger ­getrennt zu verpacken und zu beschriften (DAZ 44/14). Mit diesen Änderungen beschloss der Bundestag das VOASG am 29. Oktober. Zur fehlenden Gleichpreisigkeit bei Privatversicherten erklärte Maag, diese hätten keine Vorteile von Boni, weil die Versicherer nur den tatsächlich verauslagten Preis zahlten. Dittmar betrachtete das VOASG nur als „einstweiligen Schlussstrich“ unter die Debatte. Sie gehe davon aus, dass der EuGH das letzte Wort sprechen werde (AZ 45/1). Letztlich wurden folgende Regelungen beschlossen (DAZ 45/10):

  • Gemäß § 129 Abs. 3 SGB V dürfen Apotheken Rx-Arzneimittel als Sachleistung an GKV-Patienten nur abgeben, wenn der Rahmenvertrag für sie gilt. Dabei müssen sie die AMPreisV einhalten.
  • Im Rahmenvertrag sind Sanktionen vorzusehen, bei groben oder wiederholten Verstößen bis 50.000 Euro pro Verstoß, aber höchstens 250.000 Euro bei zusammenhängenden ­Fällen.
  • Ein Verstoß gegen das heilmittel­werberechtliche Zugabeverbot liegt auch vor, wenn die Zuwendung entgegen der sozialrechtlichen Preisbindung erfolgt.
  • Die bisherige Übertragung der arzneimittelpreisrechtlichen Preisbindung auf ausländische Versender in § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG wird gestrichen.
  • GKV-Versicherte erhalten einen Anspruch auf pharmazeutische Dienstleistungen, die vertraglich auszuhandeln sind. Zur Finanzierung werden zusätzliche 20 Cent pro Rx-Packung taxiert, dies beginnt jedoch erst ein Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes.
  • Ab Anfang 2021 erhalten die Apotheken 2,50 Euro plus Mehrwertsteuer für Botendienste mit Rx-Arzneimitteln für GKV-Patienten.
  • Es wird klargestellt, dass die Transportanforderungen der ApBetrO auch für ausländische Versender gelten.
  • Automatisierte Abgabestationen von Vor-Ort-Apotheken sind nur in den Betriebsräumen zulässig und müssen durch die Apotheke bestückt werden, nachdem Bestellung und Beratung stattgefunden haben und das Rezept abgezeichnet wurde. Unter diesen Bedingungen sind auch Abgabestationen von Versandapotheken zulässig.

Beschlossen, aber nicht beendet

Am 27. November stimmte auch der Bundesrat zu. ABDA-Präsident Friedemann Schmidt erklärte, das VOASG könne bei den Apothekern „für neue Zuversicht“ sorgen (AZ 49/8). Doch unter den Apothekern ging die Diskussion weiter. Bei mehreren Kammerversammlungen Ende November übten Berufspolitiker teilweise heftige Kritik. Der bayerische Kammerpräsident Thomas Benkert bemängelte, dass die Gleichpreisigkeit nur 90 Prozent des Rx-Bereiches umfasse und dass § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG gestrichen werde. Die nordrheinische Kammerjustiziarin Bettina Mecking bezweifelte, dass das Boni-Verbot im VOASG gut aufgehoben sei. Nur wenn sich Wettbewerbsrechtler den Passus zu eigen machten, wäre die Kammer klageberechtigt. Dagegen bewerteten die niedersächsische Kammerpräsidentin Cathrin Burs und der bayerische Verbandsvorsitzende Dr. Hans-Peter Hubmann das VOASG unter den gegebenen Bedingungen als Erfolg (AZ 48/1).

Keine Apothekertage 2020

tmb | Die Rubrik über Apothekertage entfällt in diesem Heft. Wegen der Pandemie fanden im Jahr 2020 weder der Deutsche Apothekertag noch Apothekertage auf Landesebene statt. Die Absage des Deutschen Apothekertages war allerdings umstritten. Angesichts der zahlreichen berufspolitischen Fragen und der Weichenstellungen für das E-Rezept forderten viele einen virtuellen Apothekertag. Die ABDA argumentierte jedoch, dass die für den Apothekertag typischen Diskussionen nur persönlich möglich seien.

Am 15. Dezember trat das VOASG in Kraft. Doch vermutlich wird das Boni-Verbot ein Thema bleiben. Denn ausländische Versender hatten schon mehrfach zu verstehen gegeben, dass sie die Zulässigkeit der neuen Vorschrift auf dem Rechtsweg klären lassen würden.

Zugleich sind die Apotheker gespannt, wie die lange erwarteten honorierten pharmazeutischen Dienstleistungen gestaltet werden können. Welche Dienstleistungen angeboten werden sollen, war der Berufsöffentlichkeit jedoch bei der Verabschiedung des VOASG nicht bekannt. Die ABDA hielt die Ergebnisse der dies­bezüglichen Arbeitsgruppe geheim, damit die möglichen Angebote nicht vor Inkrafttreten des VOASG „zerredet“ werden. Diese Geheimhaltung hatte bereits 2019 irritiert. Im Laufe von 2020 nahm die Kritik daran zu, auch bei Berufspolitikern. Denn so konnten die Apotheker keine Ange­bote vorbereiten und weder Politiker noch Patienten konnten mit konkreten Möglichkeiten motiviert ­werden. |

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1 Kommentar

Botendienstgebühr nur für Rx

von Dirk Krüger am 04.01.2021 um 16:37 Uhr

Die "Verstetigung" der Botendienstgebühr ist, wenn auch mit 2,50 € nicht kostendeckend, so doch die erste seit langem erfolgte Verbesserung der Apothekenhonorierung. Was mir jetzt erst bewusst wurde, ist die Tatsache, dass sie nur für die Belieferung mit Rx-Arzneimitteln berechnet werden darf. Diese Gebühr von dem Status "Verschreibungspflicht" abhängig zu machen, erscheint mir unlogisch und nicht nachvollziehbar. Meiner Meinung nach müsste die Möglichkeit der Berechnung der Botendienstgebühr von der Erstattungsfähigkeit eines verordneten Arzneimittels abhängig gemacht werden. Bekanntermaßen gibt es erstattungsfähige Non-Rx- Präparate auf Grund einer OTC-Ausnahmeliste. Weiterhin sind Non-Rx-Präparate auch für Kinder und Jugendliche bis zum 12. Geburtstag erstattungsfähig. Der Drops ist zwar gelutscht, aber mich interessiert, ob unsere Interessenvertretung das auf dem Schirm hatte und - wenn auch offensichtlich erfolglos - interveniert hat. Oder ist diese inkonsequente, in sich meiner Meinung nach nicht logische, mithin in meinen Augen willkürliche "Grenze" - so wie mir - nicht aufgefallen? Oder wurde sie nicht als solche gesehen?

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