Arzneimittel und Therapie

Fluoxetin enttäuscht nach Schlaganfall

Mehr Nebenwirkungen als Nutzen

Bleibende Behinderungen sind eine gefürchtete Spätfolge von Schlaganfällen. Bis vor Kurzem wurde vermutet, dass die Einnahme von Fluoxetin die motorischen Fähigkeiten nach einem Schlaganfall verbessern könnte. Zwei aktuelle Studien konnten dies jedoch nicht bestätigen – so führte die Einnahme lediglich zu mehr Nebenwirkungen.

Fluoxetin ist ein Antidepressivum aus der Gruppe der selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) und ist zugelassen zur Behandlung von Zwangsstörungen, Episoden einer Major Depression und Bulimie als Ergänzung zur Psychotherapie. Im Jahr 2011 konnte in einer französischen Studie an über 100 Patienten mit schwerer halbseitiger Lähmung gezeigt werden, dass die Einnahme von Fluoxetin möglicherweise die motorischen Fähigkeiten nach einem Schlaganfall verbessern kann. Diese Vermutung stützte sich auf die Annahme, dass Fluoxetin die Entzündungsreaktionen im Gehirn begrenzen und die Entstehung neuer Neurone anregen kann. Diese Hypothese konnte nun durch zwei randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Studien widerlegt werden. Die Ergebnisse der beiden Studien wurden in einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie und der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft vorgestellt.

Foto: Nedjo – stock.adobe.com

Häufiger Knochenbrüche

In der schwedischen EFFECT-Studie wurde an 1500 Schlaganfall-Patienten die Wirksamkeit von Fluoxetin auf die motorischen Fähigkeiten untersucht. Der Studienzeitraum war von Oktober 2014 bis Juni 2019. Die Studienteilnehmer wurden 1 : 1 randomisiert. 750 Teilnehmer erhielten einmal täglich 20 mg Fluoxetin für sechs Monate, der Rest bekam ein Placebo. Primärer Endpunkt war der funktionelle Status, gemessen an der modifizierten Rankin-Skala, die das Ausmaß der Behinderung nach einem Schlaganfall beschreibt. Es konnte zwischen beiden Gruppen kein Unterschied festgestellt werden – Fluoxetin zeigte keinen wirksamen Effekt (adjustierte Odds Ratio [OR] = 0,94, 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,78 bis 1,13; p = 0,42). Die Inzidenz an Depression war wie zu erwarten in der Fluoxetin-Gruppe niedriger als in der Placebo-Gruppe (54 vs. 81). Jedoch traten unter Fluoxetin vermehrt Knochenbrüche (28 vs. 11) und Hyponatriämien (11 vs. 1) auf.

Zu ähnlichen Ergebnissen kam auch die AFFINITY-Studie, die an 43 Stroke Units in Australien, Neuseeland und Vietnam durchgeführt wurde. In der Studie erhielten 624 Schlaganfall-Patienten einmal täglich 20 mg Fluoxetin, die anderen 638 Teilnehmer ein Placebo. Hier konnte ebenfalls nach sechs Monaten kein Effekt gezeigt werden – der funktionelle Status war in beiden Gruppen ähnlich (aOR = 0,94, 95%-KI: 0,76 bis 1,15; p = 0,53). Auch in dieser Studie war die Einnahme von Fluoxetin mit mehr Nebenwirkungen verbunden; es traten vermehrt Stürze (20 vs. 7), Knochenbrüche (19 vs. 6) und epileptische Anfälle (10 vs. 2) auf. Die Ergebnisse zeigen, dass die Therapie mit Fluoxetin nicht zur Verbesserung des funktionellen Outcomes nach einem Schlaganfall beitragen kann. Die Einnahme führt zu mehr Nebenwirkungen – eine Empfehlung kann daher nicht ausgesprochen werden.

Weitere Rehabilitations­forschung notwendig

In der Pressemitteilung nimmt Professor Dr. Wolf-Rüdiger Schäbitz, Pressesprecher der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft, Stellung zu den Ergebnissen der beiden Studien: „So gesehen ist es enttäuschend, dass beide Studien negative Ergebnisse erbrachten. [...] Im Bereich der Schlaganfallrehabilitation muss weiter geforscht und investiert werden. Nur so können erfolgversprechende Konzepte zur Verbesserung funktioneller Fähigkeiten nach Schlaganfällen wie medikamentöse Therapien, Stimulationsverfahren oder Verfahren der virtuellen Realität den Durchbruch schaffen.“ |

Literatur

Kwakkel G, Meskers C GM, Ward NS. Safety and efficacy of fluoxetine on functional recovery after acute stroke (EFFECTS): a randomised, double-blind, placebo-controlled trial. Lancet Neurol. 2020; doi.org/10.1016/S1474-4422(20)30219-2

Kwakkel G, Meskers C GM, Ward NS. Safety and efficacy of fluoxetine on functional outcome after acute stroke (AFFINITY): a randomized, double-blind, placebo-controlled trial. Lancet Neurol.2020; doi.org/10.1016/S1474-4422(20)30207-6

Presseinformation DGN und DSG. Glücklose „Glückspille”: Fluoxetin führte nicht zur Verbesserung funktioneller Fähigkeiten nach einem Schlaganfall, verfügbar unter https://nachrichten.idw-online.de/2020/07/31/gluecklose-glueckspille-fluoxetin-fuehrte-nicht-zur-verbesserung-funktioneller-faehigkeiten-nach-schlaganfall, Abruf am 16. September 2020

Chollet F et al. Fluoxetine for motor recovery after acute ischaemic stroke (FLAME): a randomized placebo-controlled trial. Lancet Neurol. 2011; 10(2):123-30

Geisslinger G, Menzel S, Gudermann T, Hinz B, Ruth P. Mutschler Arzneimittelwirkungen. 11. Auflage. Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH; 2019

Fachinformation Fluoxetin

Apothekerin Dr. Martina Wegener

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