Arzneimittel und Therapie

(Un)sichere Hormontherapie

Langzeitdaten zum Brustkrebsrisiko bringen überraschende Erkenntnisse

Die Wechseljahre gehen oft mit unangenehmen Begleiterscheinungen wie Hitzewallungen, Schlaf­störungen und anderen die Lebens­qualität einschränkenden Beschwerden einher. Viele Frauen fragen sich dann, ob eine Hormontherapie für sie infrage kommt – gleichzeitig haben sie Angst vor einem möglicherweise gesteigerten Brustkrebsrisiko. Welche Faktoren können das Risiko einer Tumorerkrankung unter einer Hormontherapie begünstigen? Und können Estrogene vielleicht sogar vor Krebserkrankungen schützen?

Das erhöhte Brustkrebsrisiko unter einer Hormontherapie (HET) zur Behandlung menopausaler Beschwerden ist seit vielen Jahren bekannt und wurde unter anderem in groß angelegten epidemiologischen Studien und Metaanalysen untersucht. So wurde beispielsweise 2019 in einer Metaanalyse das erhöhte Brustkrebsrisiko von Frauen, die eine Hormontherapie anwenden, bestätigt [1]. Darüber hinaus zeigten die Ergebnisse, dass das Risiko nach Absetzen der Hormone noch zehn Jahre oder länger erhöht sein kann, wenn sie länger als fünf Jahre angewendet wurden. Die Publikation dieser Daten führte zu einer Änderung der entsprechenden Fachinformationen [2].

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Die abnehmende Produktion von weiblichen Geschlechtshormonen geht mit den typischen Wechseljahrsbeschwerden wie Hitzewallungen, Stimmungsschwankungen und Schlafstörungen einher. Eine Hormontherapie soll dem entgegenwirken.

Lokale Estrogen-Anwendung unbedenklich

Nun liefert eine neue, in England durchgeführte Untersuchung ein klareres und detaillierteres Bild darüber, bei welchen Frauen ein erhöhtes Brustkrebsrisiko besteht, wenn sie verschiedene Arten der Hormontherapie anwenden [3]. Ausgewertet wurden die Daten von zwei Fall-kontrollierten Studien mit 98.611 Frauen im Alter zwischen 50 und 79 Jahren, bei denen zwischen 1998 und 2018 eine Brustkrebserkrankung diagnostiziert worden war. Die Kontrollgruppe bestand aus 457.498 Frauen. 34% der Frauen mit Brustkrebs hatten eine Hormontherapie erhalten, in der Kontrollgruppe waren es 31%. Insgesamt betrachtet war eine Hormontherapie mit einem erhöhten Brustkrebsrisiko assoziiert (Odds Ratio [OR] = 1,21). Das erhöhte Risiko war vornehmlich der Kombinationstherapie (OR = 1,26), in geringerem Ausmaß der reinen Estrogen-Substitution (OR = 1,06) geschuldet. Die lokale, vaginale Anwendung Estrogen-haltiger Produkte führte zu keinem erhöhten Risiko.

Verschiedene Faktorenerhöhen das Risiko für Tumoren

Das Risiko erhöhte sich mit der Dauer der Hormontherapie. Die erhöhten Risiken nahmen nach Abbruch der Behandlung wieder ab und verschwanden für Estrogen-Anwenderinnen und für Kurzzeit-Anwenderinnen kombinierter Behandlungen vollständig. Unter einer Therapie mit dem synthetischen Steroid Tibolon (z. B. Liviella®) stieg das Risiko mit der Dauer der Anwendung, sank nach Absetzen der Therapie jedoch wieder vollständig ab. Eine Subgruppen-Analyse befasste sich mit der Frage, ob die einzelnen Kom­ponenten einer Hormontherapie das Brustkrebsrisiko beeinflussen. Im Hinblick auf den Gestagen-Anteil bei der kombinierten Therapie war das Risiko unter Norethisteron am höchsten und unter Dydrogesteron am geringsten. Auch das Alter der Frauen beeinflusste das Risiko, denn mit zunehmendem Alter stieg das Risiko sowohl unter der Mono- wie auch unter der Kombinationstherapie.Die Studie bestätigt somit ein erhöhtes Brustkrebsrisiko unter einer Hormontherapie. Sie stuft jedoch das Brustkrebsrisiko unter einer längerfristigen Hormonanwendung geringer ein als die 2019 publizierte Metaanalyse. -Eine weitere Studie, die im JAMA veröffentlicht wurde, kommt zu einem anderen spannenden Ergebnis: Nach der Neuauswertung der Daten von zwei großen randomisierten Studien konnte ein möglicher protektiver Effekt von einer Estrogen-Monotherapie auf die Entstehung von Brustkrebs festgestellt werden [4].

„Women’s Health Initiative“- Studien erneut im Fokus

Zur Erinnerung: 2013 hatten zwei placebokontrollierte Studien der WHI (Women’s Health Initiative) mit 27.347 Teilnehmerinnen im Alter zwischen 50 und 79 Jahren über die Auswirkungen einer Hormontherapie im Hinblick auf das Brustkrebsrisiko berichtet. Diesen Studien zufolge erhöhte die Substitution von Estrogen plus Gestagen das Risiko für Mammakarzinome, wohingegen eine reine Estrogen-Substitution (bei Frauen ohne Gebärmutter) das Risiko ver­ringerte. An der ­ersten Studie (CEE-MPA-Studie) hatten 16.608 Frauen mit intaktem Uterus teilgenommen, rund die Hälfte von ­ihnen hatte täglich 0,625 mg konjugierte equine ­Estrogene (CEE) plus 2,5 mg Medroxy­progesteronacetat (MPA), die andere Hälfte Placebo erhalten. Die CEE-MPA-Studie wurde nach median 5,6-jähriger Einnahmezeit 2002 gestoppt.

Bei der zweiten Studie (CEE-Studie) mit 10.739 Frauen ohne Uterus hatte die Hälfte von ihnen täglich 0,625 mg konjugierte Estrogene über durchschnittlich 7,2 Jahre erhalten, die andere Hälfte ein Placebo. Der primäre Endpunkt der Studien war die Brustkrebsinzidenz, sekundärer Endpunkt die Brustkrebssterblichkeit.

Follow-up von mehr als 20 Jahren

Mehr als 20 Jahre danach wurden die Daten dieser beiden Studien jetzt erneut ausgewertet, um festzustellen, ob die Langzeitdaten zu demselben Ergebnis führen.

Unter kombinierter Estrogen-Gestagen-Einnahme (CEE-MPA-Studie) manifestierte sich der bereits bekannte Trend. So erkrankten in der Verum-Gruppe 584 Frauen (jährliche Erkrankungsrate 0,45%) an einem Mammakarzinom versus 447 unter Placebo (jährliche Erkrankungsrate 0,36%). Das entspricht einer signifikanten Risikozunahme von 28% (Hazard Ratio [HR] = 1,28; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 1,13 bis 1,45; p < 0,001). Im Hinblick auf die Brustkrebsmortalität zeigte sich kein signifikanter Unterschied (71 Todesfälle vs. 53 Todesfälle (HR = 1,35; 95%-KI: 0,94 bis 1,95; p = 0,11). Unter einer reinen Estrogen-Therapie (CEE-Gruppe) erkrankten 238 Frauen an einem Mammakarzinom (jährliche Rate 0,30%), unter der Placebogabe waren es 296 Frauen (jährliche Rate 0,37%). Das entspricht einer Risikoreduktion von 22% (HR = 0,78; 95%-KI: 0,65 bis 0,93; p = 0,005). Auch im Hinblick auf die Brustkrebsmortalität zeigte sich ein signifikanter Unterschied: So starben 30 Frauen der Estrogen-Gruppe an ihrer Brustkrebserkrankung vs. 46 Frauen der Placebogruppe (HR = 0,60; 95%-KI: 0,37 bis 0,97; p = 0,04).

Estrogene zur Prävention eines Mammakarzinoms?

Die Langzeitergebnisse der CEE-MPA-Studie stimmen mit den Resultaten weiterer Beobachtungsstudien überein. Die Ergebnisse zur Monotherapie mit Estrogenen aus der CEE-Studie bringen hingegen neue Erkenntnisse: Zum ­ersten Mal konnte eine signifikante ­Reduktion der Brustkrebsmortalität durch eine medikamentöse Intervention erzielt werden. Den Studienautoren zufolge könnte erwogen werden, ob bei Frauen mit einem hohen Brustkrebsrisiko und entferntem Uterus eine Estrogengabe zur Karzinomprävention eingesetzt werden könnte. Derzeit werden bei bestimmten Risikopatientinnen ­Tamoxifen, Raloxifen oder Aromatase-Hemmer zur Prävention verordnet, ­wobei den bisherigen Studien zufolge diese Wirkstoffe zwar die Brustkrebsinzidenz, aber nicht die Brustkrebssterblichkeit senken konnten. |

Literatur

[1] Collaborative Group on Hormonal Factors in Breast Cancer. Type and timing of menopausal hormone therapy and breast cancer risk: individual participant meta-analysis of the worldwide epidemiological evidence. Lancet. 2019 Sep 28;394(10204):1159-1168.

[2] Hormontherapie: PRAC schließt die Überprüfung neuer Informationen über das bekannte Brustkrebsrisiko ab. Informationen des BfArM, www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Pharmakovigilanz/DE/RI/2020/RI-HRT.html, Abruf am 10. November 2020

[3] Vinogradova Y et al. Use of hormone replacement therapy and risk of breast cancer: nested case-control studies using the QResearch and CPRD databases.BMJ 2020; 371 doi: 10.1136/bmj.m3873

[4] Chlebowski RT et al. Association of Menopausal Hormone Therapy With Breast Cancer Incidence and Mortality During Long-term Follow-up of the Women’s Health Initiative Randomized Clinical Trials. JAMA. 2020;324(4):369–380. doi:10.1001/jama.2020.9482

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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