Arzneimittel und Therapie

Bei wem man Antibiotika ­reduzieren kann

Alter, Vorerkrankungen und Anwendungsgebiet sind entscheidend

Antibiotika-Resistenzen stellen eine zunehmende Bedrohung dar. Zu den erforderlichen Maßnahmen gehört, neben der Suche nach neuen Wirkstoffen und einem deutlich reduzierten Antibiotika-Einsatz bei landwirtschaftlichen Nutztieren, auch ein rationaler und verantwortungsvoller therapeutischer Einsatz beim Menschen. Oft werden Antibiotika jedoch in großen Mengen oder ohne eindeutige Indikation eingesetzt, wie Erhebungen aus dem Vereinigten Königreich (United Kingdom, UK) aufzeigen: Ein Großteil der Antibiotika-­Verschreibungen erfolgt nach dem Prinzip „just in case“ (für alle Fälle, vorsichtshalber), also ohne klare Indikation. Mehr als drei Viertel der Antibiotika-Verschreibungen in UK erfolgen in der ambulanten Primärversorgung, wobei oftmals auch harmlose Atemwegsinfekte die Mehrzahl der Verschreibungen begründen. Breit eingesetzt werden Antibiotika darüber hinaus bei Harnwegs­infekten und Hautinfektionen.

Was ist zu viel und was ist zu wenig?

Indem man versucht, die Anzahl von Antibiotika-Verschreibungen zu verringern, sollen Resistenzentwicklungen vermindert werden. Der mögliche Benefit muss jedoch gegen das indi­viduelle Patientenrisiko kritischer bakterieller Infektionen, insbesondere der Entwicklung einer Sepsis, abgewogen werden. Allein in England kommt es jährlich zu mehr als 200.000 Sepsis-bedingten Krankenhauseinweisungen, mit bis zu 59.000 Todesfällen. Es stellt sich deshalb die Frage, bei welchem Patienten Antibiotika bedenkenlos reduziert werden können und wo man Vorsicht walten lassen muss. In einer Kohortenstudie untersuchten UK-Forscher nun die genaueren Zusammenhänge von Antibiotikagebrauch, dem Anwendungsgebiet (Atemwegs- vs. Harnwegs- vs. Hautinfektion), Patientenpopulation und dem Auftreten einer Sepsis. Hierfür wurden die Daten aller Patienten von 706 Allgemeinarztpraxen aus den Jahren 2002 bis 2017 ausgewertet. Insgesamt konnten so 66,2 Millionen Personenjahre nachverfolgt werden. Im Beobachtungszeitraum traten 35.244 erstmalige Sepsisfälle auf. Unter einer Antibiotika-Therapie erwies sich die Wahrscheinlichkeit, eine Sepsis zu entwickeln, als verringert. Weiterhin stellten die Wissenschaftler fest, dass mit zunehmendem Alter das Risiko, eine Sepsis zu entwickeln, stieg. Aber auch die Gebrechlichkeit der Patienten wirkte sich als ein Risikofaktor aus: So wies ein 55 Jahre alter gebrechlicher Mann ein ähnlich hohes Risiko auf, eine Sepsis zu er­leiden, wie ein 85-Jähriger, der nicht gebrechlich war. Hinsichtlich der ­Anwendungsgebiete waren alters­unabhängig Harnwegsinfekte mit dem höchsten Risiko einer Sepsis-Entwicklung verbunden, gefolgt von Hautinfektionen und dann erst den Atemwegsinfekten. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass die nun quantifizierten Risiken einer potenziellen Sepsis genutzt werden können, um Antibiotika-Verschreibungen bei Patienten mit einem niedrigeren Grundrisiko verringern zu können. |

Literatur

Gulliford MC et al. Probability of sepsis after infection consultations in primary care in the United Kingdom in 2002-2017: population-based cohort study and decision analytic model. PLOS Medicine 2020;17(7):e1003202

Apotheker Dr. Peter Meiser

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