Arzneimittel und Therapie

(Un)bedenkliche Haarfärbemittel

Neue Daten zum privaten Gebrauch entkräften Sorge um mögliches Tumorrisiko

Ob blond, rot, braun, schwarz oder gar bunt: In der Vergangenheit wurde häufig davor gewarnt, dass Haarefärben das Risiko für Tumoren begünstigen könnte. Neueste Daten von mehr als 117.000 Frauen mit einem Beobachtungszeitraum über 36 Jahre deuten jedoch jetzt darauf hin, dass wohl von keinem erhöhten Risiko ausgegangen werden muss – zumindest für bestimmte Tumoren.

Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) hat bereits 1993 die berufliche Exposition zu Haarfärbemitteln bei Friseuren als wahrscheinlich kanzerogen eingestuft. Unklar war jedoch, wie riskant der private ­Gebrauch von Haarfärbemitteln ist. Amerikanische Epidemiologen haben dazu eine prospektive Kohortenstudie veröffentlicht.

Foto: Subbotina Anna – stock.adobe.com

Aromatische Amine unter Verdacht

Viele Farbstoffe basieren auf einer ­aromatischen Aminstruktur. So auch permanente Haarfärbemittel, die etwa 80 Prozent aller Haarfarben auf dem europäischen Markt ausmachen. Eine permanente Haarfärbung enthält eine aromatische Verbindung als Entwickler (z. B. p-Phenylendiamin oder 2,5-Diaminotoluol) mit wenigstens zwei elektronengebenden Gruppen in para- oder ortho-Stellung. Außer Aminogruppen können das auch Hydroxygruppen sein. Darüber hinaus wird ein Kupplungsreagenz (z. B. Resorcin, m-Aminophenol, 2-Amino-3-hydroxypyridin) benötigt, das meist auch eine aromatische Struktur hat und über eine elektronengebende Gruppe in meta-Stellung verfügt. Für die Aktivierung des Entwicklers wird der Mischung separat verpacktes Wasserstoffperoxid hinzugefügt. Die Reaktion findet bei alkalischem pH-Wert statt, um ein Aufquellen der Haare zu fördern. Die kleinen Moleküle des Entwicklers und Kupplers dringen in das feuchte Haar ein und reagieren dort zu farbigen Di- oder Trimeren, die dem Haar bis zu mehreren Wochen Farbe verleihen. Einige aromatische Amine wirken jedoch mutagen und krebserregend im Tierversuch, so auch 2,4-Diaminoanisol und 2,4-Di­aminotoluol, die bis in die 1980er-Jahre in Haarfärbemitteln zum Einsatz kamen. Nach der EU-Kosmetikverordnung sind beide Substanzen heute verboten. Erlaubt ist dagegen ein naher Verwandter, 2,5-Diaminotoluol, das nach bisherigen Erkenntnissen nicht krebserregend, dafür aber sensibilisierend wirkt, ähnlich wie auch p-Phenylendiamin. Dunklere Farben enthalten in der Regel höhere Farbstoff-Konzentrationen als helle Farben. Die Expositionsdauer der Kopfhaut beträgt etwa 30 Minuten während einer Färbung, nach Abschluss der Färbung sind die Farbstoffe im Haar eingeschlossen, und von ihnen wird keine Gefahr mehr erwartet. Ob Menschen, die sich regelmäßig den Ausgangsstoffen aussetzen, ein erhöhtes Krebsrisiko haben, bleibt eine berechtigte Frage.

Jede dritte Frau färbt mindestens einmal im Leben ihr Haar

Im Rahmen der „Nurses Health Study“ werden in den USA seit 1976 regelmäßig Gesundheitsdaten von Krankenschwestern erhoben. Gut 117.000 Teilnehmerinnen gaben unter anderem Auskunft über ihren Gebrauch von Haarfärbemitteln. Forschern der Harvard Medical School standen also umfangreiche Datensätze aus 36 Jahren Beobachtungszeit zur Verfügung. Während dieser Zeit registrierten sie insgesamt 20.805 solide Tumore, 1807 hämatopoetische Krebsfälle, 22.560 Basalzellkarzinome und 2792 Plattenepithelkarzinome. Außerdem traten 4860 Krebs-assoziierte Todesfälle auf. Gut 32 Prozent der Frauen gaben an, mindestens einmal in ihrem Leben eine permanente Haarfärbung verwendet zu haben. Frauen mit heller Haarfarbe nutzten häufiger permanente Haarfärbungen als Frauen mit dunklem Haar. Teilnehmerinnen, die angaben, sich jemals die Haare gefärbt zu haben, waren häufiger Raucherinnen und tranken vergleichsweise mehr Alkohol.

Farbige Trends von der Antike bis heute

Foto: Swapan – stock.adobe.com

Schon bei den alten Ägyptern war neben der Frisur eine schöne Haarfarbe stets gern gesehen. Um schöne Rot- oder Schwarztöne zu erhalten, wurden natürliche Farbstoffe wie Henna (Lawsonia inermis) oder Indigoblätter (Indigofera tinctoria) verwendet. Aufgestreuter Goldstaub diente dazu, die Haare blond erscheinen zu lassen. Erste graue Strähnen überfärbten sie mit einem Mix aus in Öl gekochtem Stierblut und Schildpatt (Darmera peltata). Die alten Römer nutzten dagegen verweste Blutegel, die sie mit Essig und Pflanzenteilen gute zwei Monate ziehen ließen. Die römischen Damen bevorzugten Blond, welches sie durch eine aufgetragene Mixtur aus Quittensaft, Seife und Buchenasche zu erreichen suchten. Oft wurde das Blond jedoch teuer erkauft, denn vielen der Damen fielen nach der Anwendung die Haare aus. Nachdem die Haare im Mittelalter vorwiegend unter Perücken versteckt worden waren, wurden sie zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit verschiedenen Metallsalzen eingefärbt: So konnte mit Silbernitrat ein dunkelbrauner bis schwarzer Farbton, mit Kupfersulfat hellbraun und mit Kobaldnitrat rotbraun erreicht werden. Hautreizungen waren da keine Seltenheit. In den Zwanziger- und Dreißigerjahren wurde es dann üblich, dass Wasserstoff zum Blondieren verwendet wurde. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg kamen die ersten Haarfärbemittel mit pflegenden Substanzen auf den Markt.

Risiko für bestimmte Krebsarten steigt

Eine erhöhte Krebs-Mortalität unter Frauen, die permanente Haarfärbungen nutzten, konnten die Wissenschaftler um Prof. Eva Schernhammer nicht nachweisen. Für einige Krebsarten entdeckten sie allerdings eine positive Assoziation. Das Risiko, an Brustkrebs (Estrogen-Rezeptor negativ, Progesteron-Rezeptor negativ und Hormon-Rezeptor negativ) oder Eierstockkrebs zu erkranken, war in der vorliegenden Kohorte für Nutzerinnen permanenter Haarfärbungen dosisabhängig erhöht. Außerdem war das Risiko für ein Hodgkin-Lymphom unter Frauen mit natürlich dunklem Haar erhöht. Frauen mit natürlich hellem Haar hatten dagegen ein erhöhtes Risiko für Basalzellkarzinome. Einige aromatische Amine sind bekannt dafür, beim Menschen Blasenkrebs auszulösen. In der vorliegenden Studie konnte ein solcher Zusammenhang mit Aminen in Haarfärbemitteln nicht beobachtet werden. Für einige Krebsarten (Lungen- und Hirntumore, Leukämie) fanden die Epidemiologen ein verringertes Risiko unter Frauen, die sich die Haare färbten.

Verzerrende Faktoren

Trotz der großen Studienpopulation, der langen Beobachtungszeit und der Berücksichtigung einer Vielzahl möglicher verzerrender Faktoren weist die Studie einige Schwächen auf, die in weiteren Untersuchungen adressiert werden sollten.

So lassen sich die Befunde nicht auf die Gesamtbevölkerung der USA verallgemeinern, da nur Frauen mit Berufen im Gesundheitswesen befragt wurden und 96 Prozent von ihnen kaukasischer Abstammung waren. Angestellte aus Gesundheitsberufen könnten beim Umgang mit Chemikalien gewohnheitsmäßig mehr Sicherheitsvorkehrungen treffen als die Allgemeinbevölkerung und so eine ge­ringere Exposition erfahren. Über die Verwendung anderer Haarpflegeprodukte durch die Teilnehmerinnen lag zudem keine Information vor.

Haarfarben im Wandel der Zeit

Außerdem dürfte sich die Zusammensetzung von permanenten Haarfärbeprodukten während des Untersuchungszeitraums verändert haben. So wurde 2,4-Diaminoanisol, das von der Internationalen Agentur für Krebsforschung als möglicherweise karzinogen für den Menschen klassifiziert ist, in den 1980er-Jahren nach einer Warnung der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) durch andere Stoffe ersetzt. Einige Substanzen mit möglicherweise kritischen Eigenschaften, die in den USA noch genutzt werden, sind in Europa nicht mehr erhältlich. Die Beobachtung, dass dunkelhaarige Frauen nach der Verwendung permanenter Haarfärbungen ein erhöhtes Risiko für Hodgkin-Lymphome haben (Hazard Ratio = 3,89, 95%-Konfidenzintervall: 1,61 bis 9,40), bleibt mit Vorsicht zu genießen, da sie auf einer kleinen Fallzahl beruht. Das verringerte Risiko für Lungen- und Hirntumore widerspricht früheren Studien und sollte auf seine Plausibilität überprüft werden. Andere Befunde, wie das erhöhte Risiko für Basalzell- und Ovarialkarzinome, stimmen mit älteren Studien überein.

Genauere Untersuchungen sind notwendig, um unerkannte Risiko- und Störfaktoren sowie verantwortliche Substanzen zu identifizieren. |

Literatur

Gustavo Briand. Das Haar in Alten Zeiten. https://thehistoryofthehairsworld.com/haar_alten_zeiten_2.html, Abruf am 15. Oktober 2020

Haarfarbe. Informationen der Zarenga GmbH, www.friseur-fragen.de/wissen/impressum, Abruf am 15. Oktober 2020

NTP (2011) 2,4-Diaminotoluene. Report on carcinogens : carcinogen profiles 12:131–132

Marquardt H, Schäfer SG, Barth H (2019) Toxikologie

Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über kosmetische Mittel

Vogel TA, Prins TM, Dijkstra A, Coenraads P-J, Schuttelaar MLA (2017) The attitude of patients with p-phenylenediamine or 2,5-toluenediamine contact allergy to hair dyeing. Contact dermatitis 76:358–361. doi:10.1111/cod.12713

Zhang Y, Birmann BM, Han J, Giovannucci EL, Speizer FE, Stampfer MJ, Rosner BA, Schernhammer ES (2020) Personal use of permanent hair dyes and cancer risk and mortality in US women; Prospective cohort study. BMJ (Clinical research ed.) 370:m2942. doi:10.1136/bmj.m2942

Ulrich Schreiber, M.Sc. Toxikologe

Das könnte Sie auch interessieren

Brustkrebs, Eierstockkrebs, Basalzellkarzinom

Erhöhtes Krebsrisiko durch Haarefärben?

Eine Punktmutation bremst die Melaninsynthese

Naturblond

Gesundheitsgefahren durch Tattoos, Permanent Make-up und Detätowierung

Ornamente mit Risiken

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.