Interpharm online 2020

Angriff auf die Nieren

Nierenpatienten erkennen und problematische Wirkstoffe meiden

pj | Bei der Auswahl und Dosis­findung von Arzneistoffen müssen die Nierenfunktion des Patienten und das mögliche Vorliegen von Risikofaktoren berücksichtigt werden. Dr. med. Christian Fechtrup und Ina Richling, Pharm.D., erläuterten, welche klinischen Parameter herangezogen werden, wie ein Nieren­patient in der Apotheke erkannt wird und was bei der Selbstmedikation zu beachten ist.

Die physiologische Nierenfunktion nimmt ab dem vierten Lebensjahrzehnt kontinuierlich ab, was sich in anatomischen und funktionellen Veränderungen manifestiert. Besonders auffallend sind eine sinkende Durchblutung und die abnehmende Filtrationsleistung der Nieren um 8 bis 10% der Ausgangsleistung pro Lebensjahrzehnt. Ferner besteht ein Beziehungsgeflecht zwischen Niere und Herz, so erhöht etwa eine abnehmende Nierenfunktion das Mortalitätsrisiko bei Patienten mit HFrEF (Herzinsuffizienz mit reduzierter linksventrikulärer Ejektionsfraktion) um das knapp Vierfache. Altersbedingte Veränderungen an den Nieren treten bei Patienten mit Begleiterkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes, allgemeiner Gefäßsklerose und Einschränkung der Herzleistung beschleunigt auf.

Foto: DAZ/Alex Schelbert

Die Apothekerin Ina Richling und der Arzt Dr. Christian Fechtrup erläuterten gemeinsam, welche Arzneistoffe die Nieren schädigen können und dass ein Medika­tionsmanagement ein Ausweg ist.

Nierenfunktion einschätzen

Ein Parameter zur Einschätzung der Nierenfunktion ist die glomeruläre Filtrationsrate (GFR). Sie gibt das Gesamtvolumen des Primärharns an, das von den Glomeruli beider Nieren in einer definierten Zeiteinheit gefiltert wird. Sie wird mittels einer Markersubstanz (Kreatinin) ermittelt, die weder sezerniert noch rückresorbiert wird. In der Praxis wird die Kreatinin-Clearance (Plasmavolumen, das pro Zeiteinheit von Kreatinin befreit wird; Einheit ml/min) als Maß für die glomeruläre Filtrationsrate bestimmt. Dies kann über verschiedene Methoden erfolgen, so durch das Sammeln eines 24-Stunden-Urins (spielt im klinischen Alltag keine Rolle) oder durch Schätzformeln. Die beste Formel zur Schätzung der Nierenfunktion ist die CKD-EPI-Formel. Sie schätzt die glomeruläre Filtrationsrate, normiert auf eine Standard-Körperoberfläche (relative eGFR in ml/min/1,73 m²) und wird in der Regel auf den Laborberichten angegeben. Da sie auf eine Standard-Körperoberfläche normiert ist, muss sie bei größeren Abweichungen wie z. B. Übergewicht entnormiert werden. Eine weitere Möglichkeit ist die Anwendung der Cockcroft-Gault-Formel (ermittelt die Kreatinin-Clearance in ml/min), bei der das Gewicht des Patienten bekannt sein muss. Sind Dosierungsempfehlungen aufgrund einer eingeschränkten Nierenfunktion erforderlich, so sind diese in den entsprechenden Fachinformationen aufgeführt. Zu beachten ist hierbei, dass sich die Angaben sowohl auf die relative eGFR wie auch auf die Kreatinin-Clearance beziehen können.

Risikofaktoren und renale Elimination berücksichtigen

Ob bei der Dosisfindung eine Anpassung des Arzneistoffs erforderlich ist, hängt nicht nur von der Nierenfunktion, sondern auch von zahlreichen weiteren Risikofaktoren ab. Dazu gehören das Alter (häufig wird empfohlen, ab dem 65. Lebensjahr die Dosierung vieler Arzneimittel um 10%, ab dem 75. Lebensjahr um 20% zu reduzieren), Diabetes, Herzinsuffizienz, vaskuläre Erkrankungen, erfolgte Nierentransplantation, Erkrankung an einem multiplen Myelom, Vorliegen einer Sepsis, Pharmakotherapie mit mehreren nephrotoxischen Wirkstoffen sowie Volumenmangel. Welche Wirkstoffe müssen nun in reduzierter Dosis eingesetzt oder gänzlich vermieden werden? Bei Vorliegen eines Risikofaktors ist eine Dosisanpassung erforderlich, wenn ≥ 25% der absorbierten Dosis unverändert im Urin ausgeschieden werden, was bei rund 30% der Arzneistoffe der Fall ist. Eine Dosis­anpassung an die Nierenfunktion wird vor allem dann wichtig, wenn die Kreatinin-Clearance des Patienten < 50 ml/min liegt und der Q0-Wert (= extrarenal ausgeschiedener bioverfügbarer Dosisanteil bei normaler Nierenfunktion) des Arzneimittels < 0,5 liegt. Ein Beispiel: Für Metoprolol ist der Q0-Wert = 1, der Wirkstoff wird also gänzlich extrarenal ausgeschieden, eine Dosisanpassung ist nicht erforderlich. Für Aciclovir liegt der Q0-Wert bei 0,25, das heißt, der Wirkstoff wird überwiegend renal ausgeschieden. Somit müssen bei Vorliegen einer Nierenschädigung die individuelle Eliminations­kapazität und darauf fußend die einzusetzende Dosis berechnet werden. Dies erfolgt unter Zuhilfenahme der Dettli-Formel (Erniedrigung der Erhaltungsdosis des Arzneimittels um den Faktor der individuellen Ausscheidungskapazität). Q0-Werte sind z. B. unter www.dosing.de einzusehen.

Der Nierenpatient in der Apotheke

Wie erkennt man nun einen Nieren­patienten in der Apotheke? Es handelt sich häufig um multimorbide, ältere Patienten, die an Diabetes mellitus und/oder Hypertonie erkrankt sind. Ein weiterer Hinweis ist eine verringerte Dosisreduktion mancher Arzneistoffe, wie etwa bei den neuen oralen Antikoagulanzien (NOAK). Des Wei­teren weisen Verordnungen über Phosphat-/Kalium-Binder, Bicarbonat, Vitamin-D-Analoga, Eisen-Substitution und Erythropoetin, Calcimimetika oder hochdosierte Schleifendiuretika auf eine Nierenerkrankung hin. Ein klinisches Zeichen für eine fortgeschrittene Nierenerkrankung kann eine arteriovenöse Fistel (Dialyse-Shunt) sein. Kommt nun ein potenzieller Nierenpatient mit Wünschen zur Selbstmedikation in die Apotheke, ist bei bestimmten Wirkstoffen Vorsicht geboten. So etwa bei NSAR, Aluminium-, Magnesium- oder Natrium-haltigen Antazida, Antihistaminika, Pseudoephedrin/Phenylephrine, Laxanzien mit Magnesium oder bei Calcium-Präparaten. Dasselbe gilt für manche Phytopharmaka, die Artemisia absinthium, Ephedra, Cranberry oder Weidenrinde enthalten. In diesen Fällen muss nach Alternativen gesucht werden. Beim Wunsch nach einem Schmerzmittel kommt etwa Paracet­amol in Betracht; eventuell auch die topische Anwendung eines NSAR. |

 

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