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Etwas Licht ins Dunkel

Was steckt hinter den Aurobindo/Puren-Rückrufaktionen?

hb | Die jüngste Flut von Chargen-Rückrufen von Arzneimitteln des indischen Generikaherstellers Aurobindo sowie dessen Tochter Puren sorgt in deutschen Apotheken für Stirnrunzeln und Verunsicherung. Wie sind diese Rückrufe einzuordnen? Handelt es sich um ein systembezogenes Problem oder schlichtweg um „Schlamperei“ bei speziellen Herstellern? Eine kleine Analyse des Falls soll etwas Licht in dieses Dunkel bringen.
Foto: Screenshot

Die Rückrufe beziehen sich jeweils auf bestimmte Chargen einer ganzen Reihe von Wirkstoffen. Der Grund ist mehr oder weniger überall der gleiche. Es geht um nicht aktualisierte Packungsbeilagen hinsichtlich anwendungssichernder Hinweise (Nebenwirkungen, Warnhinweise) aufgrund diverser konkret benannter „Umsetzungsbescheide des BfArM“ infolge von „PSUSAs“ bzw. „Durchführungsbeschlüssen der Kommission“. Was hat es damit auf sich?

Um den Fall besser einordnen zu können, soll im Folgenden ein kursorischer Überblick über die Vorgaben zur „Pflege“ der Produktinformationen zu einem Arzneimittel (Kennzeichnung, Packungsbeilage, Fachinformation) und die europäischen Verfahren auf dem Gebiet der Arzneimittelsicherheit gegeben werden.

Inhaber von Arzneimittelzulassungen sind dazu verpflichtet, die Produkt­informationen stets auf dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand zu halten. Änderungen müssen bei den Zulassungsbehörden angezeigt werden und gegebenenfalls eine behördliche Prüfung durchlaufen. Damit wird gewährleistet, dass die Zulassung immer auf dem neuesten Stand ist. Häufig betreffen Änderungen die Angaben zu Arzneimittelrisiken. Diese werden heute weit überwiegend im Kontext des Pharmakovigilanzssystems der EU beurteilt und danach in allen Mitgliedstaaten einheitlich umgesetzt.

Pharmakovigilanz ist heute „europäisch“

Die Instrumente zur Risikoerfassung und -abwehr in der Europäischen Union orientieren sich neben der Schwere des Risikos auch an der Zulassungsart. Nationale Stufenplanverfahren gehören heute weitgehend der Vergangenheit an. In den überwiegenden Fällen muss wegen des „Gemeinschaftsinteresses“ ein europäisches Risikoverfahren („referral“) eingeleitet werden, und zwar immer dann, wenn ein gut begründeter Verdacht auf ein schwerwiegendes neues Risiko vorliegt, voraussichtlich eine größere Änderung der Zulassung vorgenommen wird oder wenn die betroffenen Arzneimittel in mehreren Mitgliedstaaten auf dem Markt sind. Letzteres trifft heute auf fast alle Generika zu.

Europäische Risikoverfahren: Wer trifft die Entscheidung?

Die „erste Instanz“ in dem Verfahren ist der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC) bei der EMA. Er gibt eine abschließende Empfehlung (PRAC Recommendation) ab, die zum Beispiel den Widerruf der Zulassungen, die Anordnung von Sicherheitsstudien oder auch eine Änderung der Produktinformationen betreffen kann. Die Empfehlung wird nachfolgend je nach Verfahrensart im europäischen Zu­lassungssystem an den Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) beziehungsweise an die Koordinierungsgruppe für dezentrale und Anerkennungsverfahren (CMDh) übermittelt. Bei zentralen Zulassungen schließt die Europäische Kommission das Verfahren mit einem Durchführungsbeschluss (EC Decision) ab. Bei nationalen Zulassungen steht am Ende ein Standpunkt des CMDh (CMDh Position) bzw. ebenfalls ein Durchführungsbeschluss der Kommission, wenn es im CMDh keine einstimmige Entscheidung gibt. Die deutschen Zulassungsbehörden setzen im Rahmen der europäischen Risikobewertungsverfahren mit ihren Bescheiden also entweder einstimmige Beschlüsse der Koordinierungsgruppe der Arzneimittelbehörden (CMDh) oder Durchführungsbeschlüsse der EU-Kommission, jeweils auf der Basis von PRAC-Empfehlungen um.

Routinepharmakovigilanz und PSUR-Berichterstattung

Daneben gibt es im europäischen Pharmakovigilanzsystem die Schiene der Routine-Pharmakovigilanz. Hier steht die regelmäßige Bewertung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses eines Arzneimittels über seinen gesamten Life-cycle hinweg im Vordergrund. Das zentrale Instrument dafür sind die periodischen Sicherheitsberichte für Arzneimittel (PSURs), die die Arzneimittelhersteller in regelmäßigen Abständen bei den Arzneimittelbehörden vorlegen müssen. Bei Arzneistoffen mit einem konsolidierten Sicherheitsprofil (sog. well-established-use-Arzneimitteln) und bei Generika kann die regelmäßige Berichterstattung entfallen, es sei denn, sie wird per Auflage angeordnet. Die EMA veröffentlicht eine Liste, in der die Einzelheiten dazu verbindlich festgelegt sind (European Union Reference Date-List, EURD-Liste). Vor einigen Jahren haben die Behörden damit begonnen, die PSURs zu Arzneistoffen der verschiedenen Hersteller in einem Bewertungsbericht gemeinsam abschließend zu beurteilen (Single Assessment) Hierzu werden in der EURD-Liste einheitliche Einreichungstermine und PSUR-Zyklen festgelegt.

Was ist das PSUR Single Assessment (PSUSA)?

Das PSUR Single Assessment (PSUSA) wird ebenfalls durch den Pharmako­vigilanzausschuss bei der EMA durchgeführt und wie bei einen Risikoverfahren mit einer PRAC-Empfehlung abgeschlossen. Das weitere Prozedere verläuft ebenfalls analog. Das PSUSA-Verfahren sowie die hieraus möglicherweise resultierenden Maßnahmen, wie sie auch in den Umsetzungsbescheiden zu den Aurobindo/Puren-Zulassungen angeordnet wurden, sind im Vergleich zu Maßnahmen nach einem Risikoverfahren in der Regel eher als niedrigschwellig einzustufen. Dennoch repräsentieren PSUSA-Ergebnisse den aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand zu einem Wirkstoff, den die Zulassungsinhaber in den Produktinformationen entsprechend reflektieren müssen. Seit dem Start des PSUSA-Verfahrens wurden bereits knapp 300 Single Assessments von Wirkstoffen/Kombinationen, teilweise gesondert nach Applikationsarten, durchgeführt, die zum Teil eine Vielzahl von Präparaten in den EU-Mitgliedstaaten betreffen. Man kann also durchaus von einem „Massengeschäft“ reden. Nähere Informationen dazu finden sich auf der Webseite des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) unter dem Stichwort „PSUR Single Assessment“.

Was passiert nach dem Bescheid?

Umsetzungsbescheide des BfArM infolge von PSUSA-Ergebnissen werden von den Pharmaunternehmen nicht etwa einfach umgesetzt. Die erforderlichen Änderungen müssen bei der Zulassungsbehörde im Einzelnen angezeigt werden, damit die Zulassung auf den neuesten Stand gebracht werden kann. Wird ein PSUSA-Verfahren mit einem bindenden Durchführungsbeschluss der Europäischen Kommission abgeschlossen, der bereits die Übersetzung der Texte in die einzelnen EU-Sprachen enthält, so beträgt die Frist zur nationalen Umsetzung 30 Tage. Das bedeutet, dass die Mitgliedstaaten die betroffenen Unternehmen innerhalb dieser First dazu aufgefordert haben müssen, die Maßnahmen umzusetzen. Wird ein Verfahren mit einem einstimmigen Beschluss des CMDh abgeschlossen, so werden die Zulassungsinhaber von den Zulassungsbehörden aufgefordert, die Änderungen für ihre betroffenen Produkte innerhalb einer bestimmten Frist zu übernehmen.

Nationale Umsetzung und Anpassung des Bestandsmarktes

Bei nationalen Zulassungen, die ein europäisches dezentrales oder ein Anerkennungsverfahren durchlaufen haben und damit europäisch harmonisiert sind, wie fast alle Generika, sind die Änderungsverfahren außerordentlich komplex. Trotzdem muss dafür gesorgt werden, dass alle Länder, in denen die Präparate in Verkehr sind, mitziehen und das auch noch möglichst gleichzeitig – eine große Herausforderung für alle Beteiligten.

Im nächsten Schritt prüfen die Bundesoberbehörden, ob die Unternehmen die Änderungsanzeigen fristgerecht eingereicht haben und schreiben säumige Zulassungsinhaber gegebenenfalls noch einmal an. Wie lange dürfen die Hersteller sich nun Zeit lassen, bis das jeweilige Arzneimittel im Einklang mit der geänderten Zulassung nur noch mit den neuen Produkt­informationen in den Verkehr gebracht wird? Und wie steht es mit der An­passung des Bestandsmarktes? Hier endet die Zuständigkeit der Zulassungsbehörden, und die Länder­behörden kommen ins Spiel. Zwar sollten die Maßnahmen so schnell wie möglich umgesetzt werden, aber ein flächendeckender Rückruf ist auch bei sicherheitsrelevanten Änderungen nicht unmittelbar angezeigt. Hierbei sollte auch bedacht werden, dass eine solche Maßnahme zu Lieferengpässen/Versorgungsengpässen führen könnte und welches Risiko dann höher zu bewerten wäre. Wer sich jedoch zu viel Zeit läßt, muss damit rechnen, dass die Landesbehörden einschreiten.

Beispiele für die Aurobindo/Puren-Rückrufe

Nun zurück zu dem Fall Aurobindo/Puren. Hier zunächst einige Beispiele für die Hintergründe zu den Rückrufen. Alle gehen, wie bereits eingangs erwähnt, auf nicht befolgte Umsetzungsbescheide nach PSUSA-Verfahren, das heißt auf Ergebnisse der Routinepharmakovigilanz zurück:

  • Bei dem Candesartan-bzw. Cande­sartan/Hydrochlorothiazid-Rückruf geht es um die Aufnahme der Nebenwirkung „Diarrhö“ bzw. „Durchfall“ in die Fachinformation bzw. in die Packungsbeilage (BfArM-Bescheid vom 26. November 2018, PSUSA/00000527/201704).
  • Bei Docetaxel, Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung sollte in die Fachinformation ein neuer Warnhinweis auf sich möglicherweise entwickelnde Überempfindlichkeitsreaktionen während der Therapie aufgenommen und die Patienten in der Packungsbeilage darauf aufmerksam gemacht werden (BfArM-Bescheid vom 21. Dezember 2017, PSUSA/00001152/201611).
  • Hinsichtlich des Rückrufs von Oxycodonhydrochlorid-haltigen Präparaten hatte das PRAC festgestellt, dass die Angaben in den Produkt­informationen in den Mitgliedstaaten in Bezug auf die Warnung vor endokrinen Wirkungen und das Risiko eines Arzneimittelentzugssyndroms bei Neonaten inkonsistent sind und einen einheitlichen Text für die Angaben vorgegeben. Die Zulassungsinhaber sollten sicherstellen, dass die Produktinformationen aller Oxycodon-haltigen Produkte angemessen aktualisiert werden (BfArM-Bescheid vom 27. Februar 2019, PSUSA/00002254/201804).
Foto: imago images/Volker Preußer

Die Regierung von Oberbayern hat bei Puren Pharma anlassbezogene Inspektionen durchgeführt und 17 Rückrufe veranlasst.

Warum aber nun diese Fülle von Rückrufen ausgerechnet bei Aurobindo/Puren? Auf Nachfrage bei der Regierung von Oberbayern, die für die Überwachung der Firmen zuständig ist, wurde folgende Stellungnahme abgegeben:

„Die Regierung von Oberbayern hat bei anlassbezogenen Inspektionen bei den pharmazeutischen Unternehmern Puren Pharma GmbH & Co. KG und Aurobindo Pharma GmbH im Dezember 2019 festgestellt, dass verschie­dene Arzneimittel in den Verkehr gebracht wurden, obwohl die in den Packungen enthaltenen Gebrauchsinformationen nicht den in der Zulassung enthaltenen Gebrauchsinformationen entsprachen. Der Anlass der Inspektionen waren entsprechende Mängel, die während einer vorangegangenen Inspektion der Firma Puren Pharma GmbH & Co. KG im November 2019 festgestellt wurden.

Daraufhin wurden bis einschließlich heute insgesamt 17 Rückrufe initiiert, davon betrafen zehn die Firma Aurobindo Pharma GmbH und sieben die Firma Puren Pharma GmbH & Co. KG. Von den Rückrufen sind insgesamt zwölf Wirkstoffe betroffen. Zuvor gab es einzelne Fälle von Rückrufen aufgrund von Feststellungsbescheiden des BfArM.

(Anm.: Feststellungsbescheide ergehen, wenn ein pharmazeutisches Unternehmen auf die Zulassung, die von einem Verfahren betroffen ist, verzichtet hat oder die Zulassung aus sonstigen Gründen erloschen ist, die Präparate aber noch verkehrsfähig sind. Die Arzneimittel dürfen dann nicht mehr in Verkehr gebracht werden, weil die Risikominimierungsmaßnahme wegen des Wegfalls der Zulassung regulatorisch nicht mehr umgesetzt werden kann.)

Das BfArM leitet Umsetzungs- und Feststellungsbescheide inklusive der Durchführungsbeschlüsse der EU-Kommission und Verteilerlisten an die Landesbehörden weiter, die für die betroffenen pharmazeutischen Unternehmer zuständig sind. Weitere Informationen wurden bisher in der Regel nicht vom BfArM an die Regierung von Oberbayern gesendet.

Die Rückrufe betreffen ausschließlich Arzneimittel, die in den Verkehr gebracht wurden, obwohl die in den Packungen enthaltenen Gebrauchsinformationen nicht den in der Zulassung enthalten Gebrauchsinformationen entsprachen. Arzneimittel dürfen grundsätzlich nur für das Inverkehrbringen freigegeben werden, wenn sie mit der aktuell gültigen Zulassung übereinstimmen.“

Zu der Frage, ob die Regierung von Oberbayern Kenntnis davon hat, wie die anderen Landesbehörden solche Fälle handhaben, wird mitgeteilt, dass sie dazu keine Informationen habe. |

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