Die Seite 3

Eine Minute vor Zwölf

Dr. Thomas Müller-Bohn, DAZ-Redakteur

Das Vor-Ort-Apothekenstärkungsgesetz (VOASG) kommt in den Bundestag. Fast vier Jahre nach dem EuGH-Urteil, das ausländische Anbieter von der deutschen Rx-Preisbindung ausnimmt, ist das eine sehr späte Antwort. Doch ob das VOASG die passende Reaktion darstellt, bleibt weiter zu bezweifeln. Die Apothekenrechtsexperten Dr. Elmar Mand und Prof. Dr. Hilko Meyer sehen im Gesetz viel Interpretationsspielraum und erwarten daraufhin neue Verfahren. Sie sehen im Wortlaut sogar die Gefahr, ausländische Anbieter könnten trotz gegenteiliger Absicht des Gesetzgebers von der „neuen“ Preisbindung ausgenommen werden. Möglicherweise könnten auch Einzelverträge von Krankenkassen weitere Umgehungen öffnen. Die Analyse ist dringend zur Lektüre zu empfehlen und sie öffnet Spielraum für weitere Gedanken (S. 9).

Als zentraler Aspekt erweist sich die schon oft diskutierte und im VOASG vorgesehene Streichung des § 78 Absatz 1 Satz 4 AMG, der die Preisbindung auf das Ausland überträgt. Bisher galt die lange absehbare deutsche EU-Ratspräsidentschaft als Motiv, den Ärger mit der EU über diese Regelung auszuräumen und den Satz zu streichen. Doch voraussichtlich wird das VOASG kaum in Kraft treten, bevor die Präsidentschaft zum Jahreswechsel endet. Dann wäre der Weg für die Bundesregierung frei, vor dem EuGH für die hierzulande bewährte Preisbindung zu streiten. Dann hätte sich das lange Warten sogar gelohnt. Die Pandemie dürfte zusätzliche Argumente für den Gesundheitsschutz liefern. Mit einer Zustimmung des EuGH wäre die Preisbindung langfristig gesichert. Zugleich könnte Gesundheitsminister Spahn als Erfolg verbuchen, eine Lösung ohne das von ihm abgelehnte Rx-Versandverbot gefunden zu haben.

Mit der anstehenden Bundestagssitzung ist es jetzt eine Minute vor Zwölf, um den entscheidenden Satz im AMG zu halten und die Chance auf ein neues EuGH-Urteil zu wahren. Die Apotheker sollten sich nicht von der Kopplung an die neuen Dienstleistungen blenden lassen und vor allem die Abgeordneten sollten die Inhalte des VOASG einzeln bewerten und bearbeiten. Bei den seit vielen Jahren angedachten honorierten pharmazeutischen Dienstleistungen, die vielen Patienten nutzen würden, gibt es keinen Grund zu warten. Doch die Preisbindung sollte als zentrale Säule des Apothekensystems nicht durch ein rechtlich fragliches Kon­strukt weiter geschwächt werden. Stattdessen gilt es, diejenigen Chancen zu nutzen, die zumindest keinen zusätzlichen Schaden anrichten.

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