Schwerpunkt Verblistern

Zwei Seiten einer Medaille

Vor- und Nachteile der patientenindividuellen Verblisterung

Patienten in unterschiedlichen Lebenssituationen können von einer Verblisterung durch die Apotheke profitieren. Es gibt viele Gründe, die für eine patientenindividuelle Medikamentendosierung sprechen. Neben den Vorteilen kann die Neuverpackung von Arzneimitteln allerdings auch Risiken bergen. Durch Anpassung der Organisationsstrukturen und durch detaillierte Vorgaben ist es möglich, diese möglichst gering zu halten. | Von Manuela Queckenberg

Ziel der Arzneimitteltherapiesicherheit ist es bekanntlich, unerwünschte Arzneimittelereignisse – insbesondere durch Medikationsfehler – zu verhindern. Wichtige pflegebezogene Medikationsfehler, die auftreten können, sind

  • 1. Verabreichung des falschen Medikaments,
  • 2. Gabe der falschen Dosis,
  • 3. Einnahme zum falschen Zeitpunkt.

Vor allem geriatrische Menschen sind oft multimorbid und benötigen daher viele unterschiedliche Medikamente. Die Patienten sind mit der Vielzahl der Arzneimittel und ihren Einnahmevorschriften überfordert. Hinzu kommt, dass sich das Aussehen der Arzneimittelverpackungen und auch der Arzneimittel selbst oft ändert, wenn sich beispielsweise Rabattverträge geändert haben und der Patient sein Präparat nun von einem anderen Hersteller erhält. Eine unbewusste Doppeleinnahme kann die Folge sein, wenn zwei gleiche Präparate unterschied­licher Hersteller irrtümlich als zwei unterschiedliche Arzneimittel ange­sehen werden.

Es kommt vor, dass Medikamente zur falschen Zeit eingenommen werden oder auch nur „bei Bedarf“, obwohl das Arzneimittel als Dauermedikation verordnet wurde. Notwendige Zeitabstände zur Mahlzeit oder anderen Arznei­mitteln sind manchmal nicht bekannt oder werden nicht berücksichtigt. Diese und andere folgenreichen Fehler in Bezug auf die Einnahmezeitpunkte der Arzneimittel können durch ein Vorab-Portionieren vermieden werden.

Auch wenn Patienten selbst oder ihre Angehörigen in der Lage sind, die Medikamente gemäß des Medikationsplans vorzubereiten, fehlt ihnen doch das pharmazeutische Fachwissen und damit das Wissen um die physikalisch-chemische Stabilität der Wirkstoffe. Nicht alle Arzneimittel, die von Patienten selbst oder ihren Angehörigen vorbereitet werden, sind auch außerhalb ihrer Originalverpackung stabil. Lichtempfindliche Wirkstoffe können sich unter Lichteinfluss schon nach kurzer Zeit zersetzen. Die Kapseln oder Tabletten einer bereitgestellten Wochenration können damit schon im Wochenverlauf an Wirkung verlieren. Daneben kann es durch hygroskopische Hilfs- oder Wirkstoffe zum Aufquellen oder Verklumpen von Medikamenten kommen. Andere, für denselben Einnahmezeitpunkt mitverpackte Präparate können so in ihrer Beschaffenheit ebenfalls beeinträchtigt werden und das Risiko für Wechselwirkungen der zusammen verpackten Medikamente steigt. Übernimmt die Apotheke die Neuverpackung der Medikamente, werden Stabilitäts- und Wechselwirkungsaspekte berücksichtigt, die Qualität des Arzneimittels bleibt erhalten.

Foto: imago images/Petra Schneider

Geriatrische Patienten können aufgrund ihres kognitiven Zustands und der Polymedikation mit den Einnahmevorschriften ihrer Arzneimittel überfordert sein.

Einnahmesicherheit bei pro­fessionell versorgten Patienten

Auch im professionellen ambulanten oder stationären Bereich der Pflege ist das Problem falsch verabreichter Medikamente nicht unbekannt. Ausschließlich Pflegefachkräfte dürfen Arzneimittel für Patienten und Bewohner bereitstellen, das ist üblicherweise auch gewährleistet. Nicht alle jedoch sind im Bereich der Arzneimitteltherapie gut geschult. Grundsätzlich sollten wichtige Grundregeln beim Stellen beachtet werden, trotzdem sieht es in der Praxis manchmal anders aus. Durch Personalmangel, beispielsweise aus Krankheitsgründen, kann es vorkommen, dass die Mitarbeiter während des Stellens gestört werden oder unter Zeitdruck stellen müssen, manchmal wird auch nachts gestellt. Konzentra­tionsmangel provoziert Fehler, und gerade im Vergleich zur maschinellen Verblisterung ist die Fehlerquote der menschlichen Arbeit immer höher.

Eine Studie, die 2007 in drei Kölner Pflegeheimen stattfand, kam zu einer Fehlwurfrate manuell gestellter Arzneimittel von 1,3 Prozent bezogen auf alle überprüften Arzneimittel, resp. 7,3 Prozent bezogen auf die überprüften Tagesdosetten. In allen Fällen wurde manuell durch pharmazeutisches Personal gestellt. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Bewohner mindestens eine falsche Medikation während des Stu­dienzeitraums (acht Wochen) erhielt, lag bei 53 Prozent. Hauptfehler waren eine ungenaue Tablettenteilung, fehlende Medikamente, überzählige Medikamente, falscher Einnahmezeitpunkt, beschädigte Medikamente, falsche Dosierung und die Gabe eines falschen Medikaments. 65,6 Prozent der ermittelten Medikationsfehler wurden dabei als mittelschwer eingestuft. Geht man davon aus, dass das pharmazeutische Personal bei der Arbeit nicht durch Bewohner gestört wurde und sich damit auf das Portionieren der Arzneimittel konzentrieren konnte, ist anzunehmen, dass bei dem Stellen durch Pflege­personal (eventuell sogar in der Nacht), die Fehlerquote noch höher einzustufen wäre. Maschinelle Verblisterung kann hier zu entscheidend besseren Ergebnissen führen.

Patientenindividuell verpackte Arzneimittel helfen darüber hinaus, die Adhärenz zu verbessern: die vorbereitete Arzneimittelportion kann einfach eingenommen werden, es gibt keine Probleme beim Heraussuchen der Präparate oder bei der Entnahme der Medikamente aus der Verpackung. Viele Präparate sind nur schwer dem Originalblister zu entnehmen. Je nach Zustand des Patienten ist eine Ein­nahme direkt aus der Verpackung dann nicht oder nur mit großem Aufwand möglich, im ungünstigsten Fall wird das Medikament dann nicht eingenommen. Gerade aber bei multi­morbiden und chronisch Kranken ist die Adhärenz in Bezug auf die Arznei­mittel­einnahme besonders wichtig. Wird die Einnahme der Medikamente erleichtert, steigt die Adhärenz. Mit der verbesserten Adhärenz steigt auch der Therapieerfolg.

Der Faktor Zeit

Die Zeit in der Pflege ist knapp. Pflege­kräfte müssen häufig unter Zeitdruck arbeiten. Übernimmt die Apotheke das Portionieren der Medikamente, wird Arbeitszeit eingespart, die in die Pflege und Betreuung der Bewohner oder Patienten investiert werden kann. Zeitressourcen werden frei, die sonst zum Stellen der Medikamente benötigt wurden. Je nach Größe der Wohnbereiche der Pflegeheime kommen so mehrere Stunden wöchentlich anderen Bereichen der Pflege zugute. Hinzu kommt, dass das Rezeptmanagement (im pflegerischen Kontext manchmal auch als Medikamenten­management bezeichnet), d. h. die Bestellung neuer Verordnungen beim Arzt, für die portionierten Medikamente ebenfalls an die versorgende Apotheke delegiert wird. Durch eine Reichweitenberechnung wird dort ermittelt, wann eine neue ärztliche Verordnung nötig ist. Neue Rezepte werden im Auftrag des Patienten bzw. des Pflegeheims durch die Apotheke in der Arztpraxis rechtzeitig angefordert. Lediglich die Verordnungen von Arzneimitteln der Bedarfsmedikation oder von Medikamenten, die nicht vorab gestellt werden können (oder dürfen) müssen dann noch durch Angehörige oder das Pflege­personal rechtzeitig bestellt werden. Das auf Apotheken übertragene Stellen und Verblistern der Arzneimittel führt zu einer deutlichen Entlastung und Zeitersparnis für die Pflegekräfte, bei gleichzeitig erhöhter Versorgungsqualität. Patientenindividuelle Medikamentenportionierung durch die Apotheke ist somit eine Möglichkeit, die Sicherheit der Medikamentengabe durch die Vermeidung von Konzentrationsfehlern zu garantieren. Die letztendliche Verantwortung für das Verabreichen der Arzneimittel an den Bewohner bleibt dennoch bei den Pflegefachkräften.

Neuverpackung als Risiko

Zugelassene Arzneimittel erfüllen die Grundanforderungen Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und pharmazeutische Qualität. Auch patientenindivi­duell verpackte Arzneimittel müssen diese Anforderungen erfüllen. Das bedeutet, dass Arzneimittel immer eine ausreichende Stabilität aufweisen müssen, um neuverpackt werden zu können. Nicht jedes zugelassene Fertigarzneimittel ist damit auch automatisch für eine Neuverpackung geeignet. Manchmal sind zusätzliche stabilitätssichernde Maßnahmen erforderlich. Die neuverpackende Apotheke muss in diesem Zusammenhang entsprechende Einstufungen vornehmen. In Pflegeeinrichtungen dürfen Betäubungsmittel aufgrund der Dokumentationspflicht und aufgrund besonderer Aufbewahrungsvorschriften grundsätzlich erst unmittelbar vor Vergabe vorbereitet werden. Gleiches gilt für die nicht-kalkulierbare Gabe der Bedarfsmedikation oder für spezielle Arzneiformen. Eine einheitliche Vorbereitung der Medikamente ist somit nicht möglich, allerdings müssen die meisten dieser Einschränkungen auch dann beachtet werden, wenn Pflegekräfte im Heim Medikamente stellen.

Das in der Zulassung hinterlegte Primärpackmittel bietet dem jeweiligen Arzneimittel optimalen Schutz und sichert so seine Qualität. Bei Neuverpackung kann sich die Stabilität des Arzneimittels verändern, denn sie ist üblicherweise nur für die Originalverpackung untersucht. Verpackungsmaterialien zur Neuverpackung sind aber Primärpackmittel für unterschiedliche Medikamente, die zusammen verpackt werden. Individuelle Bedürfnisse von Arzneistoffen werden zunächst einmal nicht berücksichtigt. Daher muss bei jedem Arzneimittel vorbereitend ab­geklärt werden, ob und unter welchen Bedingungen die Qualität des neuverpackten Medikaments erhalten bleibt. Als neues Primärpackmittel müssen Verpackungsmaterialien zur Neuverpackung per se in jedem Fall höchste Qualitätsansprüche erfüllen.

Zum Weiterlesen

Blister oder Dosette – immer gut dosiert!

Arbeitszeit einsparen, Patientensicherheit erhöhen und Rezeptmanagement vereinfachen:

Das sind klare Vorteile für das Pflegeheim, wenn die versorgende Apotheke Arzneimittel für die Bewohner stellt oder verblistert. Profitiert die Apotheke genauso?

Für die Antwort brauchen Sie grundlegende Informationen:

  • Rechtliche Voraussetzungen und Vorgaben
  • Technische Möglichkeiten und ­Risiken
  • Anforderungen an QMS, Personal und Arbeitsschutz
  • Blisterfähigkeit und „Stellbarkeit“
  • Datenerhebung, Organisation und Ablauf

Musterformulare zum Download komplementieren das Infopaket.

Egal ob Sie ins Stellen und Verblistern neu einsteigen oder sich weiterentwickeln und Abläufe auf den Prüfstand stellen wollen, hier sehen Sie klarer!

Von Manuela Queckenberg
Stellen und ­Verblistern
Patientenindividuelle Neuver­packung von Arzneimitteln

2018
XII, 119 S., 38 farb. Abb., 11 farb. Tab., Formulare auf Online-PlusBase , 17,0 × 24,0 cm
Kartoniert, 39,80 Euro
ISBN 978-3-7692-6985-7
Deutscher Apotheker Verlag

 

Von Manuela Queckenberg
Pflichtschulung Stellen und Verblistern
nach § 34 ApBetrO

2017
IV, 86 S., 36 farb. Abb., Spiralblock mit Tischaufsteller. Mit Anbindung an Online-PlusBase, 21,0 × 29,7 cm
Spiralbindung, 49,80 Euro
ISBN 978-3-7692-6902-4
Deutscher Apotheker Verlag
 

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Arbeiten am offenen Produkt

Bei der Neuverpackung von Arzneimitteln für unterschiedliche Einnahmezeitpunkte wird das Fertigarznei­mittel seiner Primärverpackung entnommen. Man arbeitet also am offenen Produkt. Wie immer, wenn mit unterschiedlichen Substanzen umgegangen wird, besteht das Risiko, dass – durch direkten Kontakt der unverpackten Arzneimittel oder indirekt durch Nutzung gleicher Gerätschaften – Wirk- und Hilfsstoffspuren des einen auf das andere Arzneimittel übertragen werden. Diesen Vorgang bezeichnet man als Kreuzkontamination (Cross-Contamination).

Bei den Arzneimitteln eines Patienten scheint dies auf den ersten Blick unproblematisch zu sein, nimmt er diese Medikamente doch sowieso ein. Allerdings kann aufgrund von Wechselwirkungen die Arzneimittelwirkung verändert sein. Wirkungsabschwächung, aber auch Wirkungsverstärkung kann man in diesem Zusammenhang manchmal beobachten. Was im Körper des Patienten möglich ist, kann auch schon bei der gemeinsamen Aufbewahrung auftreten. Zusammen für ­einen Einnahmezeitpunkt verpackte Arzneimittel können in der Neuver­packung interagieren, neben optisch erkennbaren Aufquellungen und Verfärbungen sind dann aber auch andere physikalisch-chemische Veränderungen der Arzneimittel möglich, die auf den ersten Blick nicht zu identi­fizieren sind.

Werden Arzneimittelspuren auf Arzneimittel unterschiedlicher Patienten übertragen, könnten vorhandene Allergien oder Unverträglichkeiten zu unerwünschten Arzneimittelereignissen führen. Besonders hoch ist die Gefahr der Kreuzkontamination bei nicht-überzogenen Arzneiformen mit hohem Abrieb. Bei der maschinellen Verblisterung fallen Arzneimittel elektronisch gesteuert über Schächte in die Verpackungseinheit. Dabei kann es zu Übertragungen von Arzneistoffspuren auf andere Arzneimittel eines anderen Patienten kommen. Durch validierte Reinigungsprozeduren und definierte Arbeitsabläufe kann das Kreuzkontaminationsrisiko minimiert, jedoch nicht vollständig be­seitigt werden. |

Literatur

Gerber A et al. Quantification and Classification of Errors Associated with Hand-Repackaging of Medications in Long-Term Care Facilities in Germany. American Journal of Geriatric Pharmacotherapy, Oct 2008

Kieschnik H, Mybes U. Organisation der Medikamentenversorgung für Bewohner/-innen. Kuratorium Deutsche Altenpflege, Köln 1999

Lauterbach K, Lüngen M, Gerber A. Auswirkungen des Einsatzes von individualisierten Blistern auf Kosten und Qualität der Arzneimitteltherapie. Studien zu Gesundheit, Medizin und Gesellschaft 2006; Köln: Ausgabe 05/2006 vom 05.07.2006

Lauterbach K, Lüngen M, Gerber A, Kohaupt I, Büscher G. Quantifizierung der Fehlwurfrate beim Stellen fester oraler Darreichungsformen in drei Pflegeheimen, Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie, Universität Köln

Rose, Erzkamp: Medikamentenmanagement oder Medikationsmanagement, www.deutscheapotheker-zeitung.de/daz-az/2016/daz-17–2016/medikamentenmanagement-odermedikationsmanagement (Zugriff 26.12.2017)

Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO). Bundesgesetzblatt. Berlin

 

Dieser Beitrag ist ein modifizierter Auszug aus „Stellen und Verblistern – Patientenindividuelle Neuverpackung von Arzneimitteln“, erschienen 2018 im Deutschen Apotheker Verlag.

 

Autorin

Manuela Queckenberg, Fachapothekerin für theoretische und praktische Ausbildung, Ernährungsberatung, Prävention und Gesundheitsförderung. Filialleiterin einer öffentlichen Apotheke mit Schwerpunkt Heimversorgung und angegliedertem ambulanten Pflegedienst, langjährige Tätigkeit als Dozentin und Autorin, u. a. von „Pflichtschulung Stellen und Verblistern“ (2017) sowie „Stellen und Verblistern“ (2018), erschienen im Deutschen Apotheker Verlag.

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