Arzneimittel und Therapie

Grippeschutz für Kinder als Kassenleistung

STIKO plant mögliche Überarbeitung ihrer Impfempfehlung

cel/mab | Bislang werden nur Erwachsene ab 60 Jahren standardmäßig gegen Influenza geimpft. Da Säuglinge besonders anfällig für influenzabedingte Komplikationen sind, überlegt die Ständige Impfkommission jetzt, ob sie die Empfehlung für eine Influenzaimmunisierung auf Kleinkinder ausweiten soll.

In Deutschland ist die jährliche In­fluenza-Impfung standardmäßig für Erwachsene ab 60 Jahren empfohlen. Eine Impfung für Kinder ist laut den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut (RKI) nicht vorgesehen, es sei denn, es liegt eine „erhöhte gesundheitliche Gefährdung infolge ­eines Grundleidens“ – zum Beispiel Asthma, Diabetes, angeborene oder erworbene Immunschwächen – vor. In diesem Fall empfiehlt die STIKO auch für Kinder, und dann ab einem Alter von sechs Monaten, den saisonalen Grippeschutz. Das Robert Koch-Institut begründet dies damit, dass eine ­Influenza-Erkrankung bei gesunden Kindern oder bei Erwachsenen unter 60 Jahren in der Regel ohne schwerwiegende Komplikationen verläuft.

Mögliche Impfempfehlung für Kinder wegen COVID-19?

Was in anderen Ländern wie den USA und einigen europäischen Ländern bereits Standard ist, wurde im März 2020 auf die Agenda der 95. Sitzung der STIKO gesetzt. Hier wurde das Thema „Standard-Influenzaimpfempfehlung für Kinder“ als „prioritär angesehen“. Hängt die Priorisierung vielleicht mit der SARS-CoV-2-Epidemie zusammen? Zwar schützt eine Influenzaimpfung nicht vor Corona-Infektionen, doch könnte sie, wie auch ein Pneumo­kokkenschutz, Komplikationen bei COVID-19-Erkrankungen verringern, so die Einschätzung von Experten, wie dem Chefvirologen der Berliner Charité, Professor Christian Drosten. Auf Nachfrage äußert sich die STIKO, dass die Empfehlung zu einer Influenza-Kinderimpfung nichts mit SARS-CoV-2 zu tun hat und dass das Thema schon deutlich länger betrachtet wird. Allerdings liefert das Sitzungsprotokoll der STIKO durchaus Hinweise, dass die Teilnehmer diesen Aspekt beleuchteten, zumindest hinsichtlich der Entlastung der Gesundheitssysteme: Durch eine generelle Influenza-Impfempfehlung für Kinder können ältere Personen indirekt geschützt werden und über die damit verbundene mögliche Reduktion von Influenzafällen in der Saison 2020/21 das Gesundheitssystem bei einer voraussichtlich weiterhin bestehenden Zirkulation von SARS-CoV-2 entlastet werden. Die Datenlage be­züglich des Ausmaßes eines Gemeinschaftsschutzes durch eine Kinderimpfung ist jedoch unklar. Verfügbare Daten sollen zusammengestellt werden und dann von der Arbeitsgemeinschaft Influenza (AGI) diskutiert werden. Wann eine standardmäßige Grippeschutzempfehlung seitens der STIKO kommt und für welche pädiatrische Altersgruppe, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschätzen.

Ein Piks zum ­Geburtstag

Eine amerikanische Studie hat untersucht, ob das Geburtsdatum des Kindes einen Einfluss auf die Influenza-Durchimpfungsrate hat. Insgesamt wurden knapp 1,2 Millionen Kinder in die Studie einbezogen. Tatsächlich wurden mehr Kinder gegen Influenza immunisiert, wenn sie im September bis Dezember geboren waren, also in dem Zeitraum, in dem der neue jährliche Influenza-Impfstoff auf den Markt kommt. Die Forscher stellten fest, dass die jährlich anstehenden Untersuchungen meist mit dem Geburtstag des Kindes zusammenfielen. Wenn ein neuer Impfstoff verfügbar war, wurde die Untersuchung vermutlich gleich mit der Impfung verbunden.

Atemwegssymptome fehlen bei Säuglingen häufig

Eine Anfang September 2019 in Lancet Child & Adolescent Healthmit veröffentlichte Studie kam zu dem Ergebnis, dass Influenza bei Säuglingen bislang massiv unterschätzt wurde. Bestimmte Faktoren machen unter Einjährige besonders anfällig für influenzabedingte Komplikationen. Denn: Erkranken Säuglinge an Grippe, ist das in der Regel die erste Influenzainfektion überhaupt, die sie durchmachen. Und das unter erschwerten Bedingungen: Das Immunsystem kleiner Babys ist noch unreif, Atemwege und Lunge sind noch nicht vollständig entwickelt. Was die Situation nach Ansicht der Experten zusätzlich verschärft, ist, dass sich Symptome bei Säuglingen von den klassischen Influenzasymptomen bei älteren Kindern unterscheiden. So fehlen bei Babys häufig Atemwegssymptome. Das erschwert es den Ärzten, eine richtige Diagnose zu stellen. Laut der Untersuchung war die Zahl der unter einjährigen Kinder, die mit Influenza in ein Krankenhaus eingeliefert wurden, mindestens doppelt so hoch, wie man bislang dachte. In den ersten sechs Lebensmonaten wird der Säugling, wenn die Schwangere gegen Influenza geimpft wurde, durch maternale Antikörper geschützt. In dieser Indikation hat bislang nur Sanofi Daten geliefert, und in Deutschland ist nur Vaxigrip Tetra® zugelassen. |

 

Literatur

Sitzungsprotokoll der 95. Sitzung der STIKO, März 2020, www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/STIKO/Protokolle/Sitzung_95.pdf?__blob=publicationFile, Abruf am 16. Juli 2020

Thompson MG et al. Underdetection of laboratory-confirmed influenza-associated hospital admissions among infants: a multicentre, prospective study. The Lancet 2019. doi:10.1016/S2352-4642(19)30246-9

Worsham C et al. Birth Month and Influenza Vaccination in Children. NEJM 2020. DOI: 10.1056/NEJMc2005928

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