Arzneimittel und Therapie

Theorie trifft auf Praxis

Empagliflozin im „Real-World-Test“

Zulassungsstudien werden häufig unter künstlichen Bedingungen durchgeführt, die sich in der Realität kaum aufrechterhalten lassen. Mit der Markteinführung neuer Wirkstoffklassen stellt sich die Frage nach der Übertragbarkeit der Zulassungsdaten auf den therapeutischen Alltag. Diese Erkenntnis­lücke hat jetzt eine aktuelle Studie für den SGLT2-Hemmstoff Empagliflozin zu schließen versucht.

SGLT2-Inhibitoren hemmen selektiv den Natrium-Glucose-Cotransporter 2 (SGLT2) im proximalen Nierentubulus, so dass ein Großteil der filtrierten Glucose nicht reabsorbiert wird. Durch Steigerung der renalen Ausscheidung wird so die Plasmaglucosekonzentra­tion gesenkt. Seit erstmaliger Zulassung von Empagliflozin (z. B. Jardiance®) im Jahre 2014 sind die Verschreibungszahlen stetig gestiegen. Wie bei der Einführung jeder neuen Wirkstoffklasse stellt sich auch für SGLT2-Hemmstoffe die Frage, inwieweit sich die Zulassungsdaten zu Wirksamkeit und Sicherheit in die therapeutische Praxis übertragen lassen. Dänische Forscher sind dieser Fragestellung nun in einer in JAMA Network Open publizierten Studie nachgegangen, indem sie „Real-World-Daten“ von neu auf Empagliflozin eingestellten Patienten mit den Ein- und Ausschlusskriterien sowie den therapeutischen Effekten der zulassungsrelevanten Phase-III-Studien verglichen haben. In der Querschnittsstudie wurden Diagnosen, Verschreibungs- sowie Labordaten der Einwohner Norddänemarks erhoben. 7034 Patienten, die im Zeitraum Januar 2014 bis Dezember 2018 erstmalig Empagliflozin verordnet bekommen hatten, wurden in die Analyse eingeschlossen.

Als Zielparameter wurde der Anteil an Patienten definiert, die nicht den Einschlussvorgaben der randomisierten klinischen Prüfungen genügten, sowie die absolute Reduktion des HbA1c-Spiegels nach sechs Monaten Empagliflozin-Therapie.

Foto: BullRun – stock.adobe.com

Theoretisch sollten sich die Erkenntnisse von Phase-III-Studien später im therapeutischen Alltag widerspiegeln, praktisch tun sie das nicht immer.

Mehr als die Hälfte ­studienuntauglich

In der Tat stellte sich heraus, dass 3878 (55,1%) der evaluierten Patienten nicht den vordefinierten Bedingungen der Zulassungsstudien entsprachen. Neben bestehenden Vorerkrankungen (15,3%) und der gleichzeitigen Verwendung von in der Studie nicht erlaubten Antidiabetika (27,8%) wären viele Patienten (25,2%) auch aufgrund des vorspezifizierten HbA1c-Eingangswertes (7,0 bis 10,0%) von einer Studienteilnahme ausgeschlossen worden. Nach sechs Monaten Therapie wurde eine mittlere Reduktion des HbA1c-Spiegels um 0,91 Prozentpunkte (95%-Konfidenzintervall (KI): -0,94% bis -0,87%) festgestellt. Ähnliche Resultate wurden auch in den Zulassungsstudien erhalten. Die Gruppe der Patienten, die nicht den vordefinierten Bedingungen der Zulassungsstudien entsprachen, wies im Mittel mit 8,5% einen höheren HbA1c-Eingangswert auf als der Anteil, der den Spezifikationen der Studie entsprach (HbA1c: 8,2%). Die HbA1c-Reduktion unter Empagliflozin war in der „untauglichen“ Gruppe aber sogar etwas stärker ausgeprägt im Vergleich zur Patientengruppe, die die Einschlussbedingungen erfüllte (-1,01%, 95%-KI: -1,07% bis -0,95% versus -0,78%, 95%-KI: -0,82% bis -0,74%).

Die Studienautoren halten folglich fest, dass sich die Zulassungsdaten von Empagliflozin hinsichtlich der HbA1c-Senkung auch in den therapeutischen Alltag übertragen lassen. Dennoch offenbart die Erhebung nochmals eines deutlich: Mehr als die Hälfte der in der realen Welt auf Empagliflozin eingestellten Patienten wäre aufgrund vordefinierter Ein- und Ausschlusskriterien nicht in die ausschlaggebenden Wirksamkeits- und Sicherheitsstudien des Wirkstoffes eingeschlossen worden. Die Erhebung von Real-World-Daten ist daher ein wichtiges Werkzeug, um Erkenntnislücken in der klinischen Routine zu schließen. |

Literatur:

Munk NE et al. Differences Between Randomized Clinical Trial Participants and Real-World Empagliflozin Users and the Changes in Their Glycated Hemoglobin Levels. JAMA Netw Open 2020; 3(2):e1920949

Apotheker Dr. Peter Meiser

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