Arzneimittel und Therapie

Nierenschonendes Thermogel

Neue Zytostatikazubereitung gegen Urothelkarzinome

mp | Patienten mit Urothelkarzinom des oberen Harntraktes bleibt als Therapie bisher nur die radikale Entfernung von Niere und Harnleiter. Neue Untersuchungen kündigen eine Alternative an: Die Testsubstanz UGN-101, ein chemotherapeutisch einsetzbares Thermogel, erwies sich als wirksam.

Das Urothelkarzinom des oberen Harntraktes ist eine selten auftretende Krebserkrankung und wird meist bei Patienten über 70 Jahren diagnostiziert. Bei der Standard-Behandlung werden Niere und Harnleiter radikal operativ entfernt (Nephroureterektomie). Der Eingriff provoziert eine Niereninsuffizienz, die bei vielen Patienten in einer Nierenersatztherapie mündet. Zusätzlich verschlechtern sich Folgeerkrankungen. Obwohl sich Zytostatika wie Mitomycin oder Gemcitabin bei Urothelkarzinomen als wirksam erwiesen, stellt die richtige Formulierung des Arzneimittels eine Herausforderung dar. Am Zielort der Zytostatika, dem Harntrakt, können nur schwer wirksame Wirkstoffkonzentrationen erzielt werden, weil der Urinfluss verdünnend wirkt.

In der nicht verblindeten klinischen Phase-III-Studie OLYMPUS (Optimized Delivery of Mitomycin for Primary UTUC Study) wurden die Sicherheit und Wirksamkeit des Arzneimittels UGN-101 untersucht. Die Studie wurde in „The Lancet Oncology“ veröffentlicht. UGN-101 ist ein Mitomycin-haltiges Reverse-Thermal-Gel. Dieses Hydrogel ist bei Raumtemperatur flüssig und geliert bei steigenden Temperaturen zu einer halbfesten Arzneiform. Über einen Uretherkatheter kann das Arzneimittel in flüssiger Form verabreicht werden. Anschließend bildet sich bei Körpertemperatur ein halbfestes Gel. Der Urinfluss löst langsam das Gel-Depot auf, sodass das Gewebe über vier bis sechs Stunden gleichmäßig Mitomycin ausgesetzt wird.

Foto: Andrij Pogranitschnij - stock.adobe.com

UGN-101 wird per Ureterkatheter in die ableitenden Harnwege instilliert.

Wirksamkeit mit Tücke

In der OLYMPUS-Studie wurde UGN-101 bei 71 Patienten mit Urothelkarzinomen des oberen Harntraktes aus den USA und aus Israel angewendet. Im Durchschnitt waren die Patienten 70,4 Jahre alt. Über bis zu sechs Wochen wurde den Patienten einmal wöchentlich UGN-101 per Ureterkatheter verabreicht. Die maximal instillierte Menge der Testsubstanz betrug 15 ml. Pro Milliliter enthielt das Thermogel 4 mg Mitomycin. Die Studie wurde ohne Kontrollgruppe durchgeführt, da für Patienten dieses Tumortyps keine vergleichbare Chemotherapie zur Verfügung steht. Bei allen Studienteilnehmern wäre alternativ die radikale Nephroureterektomie indiziert gewesen. Aus ethischen Gründen ist bei Studien mit Tumorpatienten eine Placebo-Kontrolle nicht durchführbar. Als primärer Endpunkt der Studie wurde ein vollständiges Ansprechen auf die Therapie festgelegt. Dies lag vor, wenn ­sowohl durch endoskopische und zytologische Untersuchungen als auch ­mittels Entnahme von Gewebeproben (Biopsie) kein Karzinom mehr nach­gewiesen werden konnte. 42 der 71 Patienten zeigten ein vollständiges Ansprechen auf die Therapie (59%; 95%-Konfidenzintervall 47–71). Bei 14 von 26 Studienteilnehmern, die vollständig auf die Behandlung mit UGN-101 ansprachen, konnte auch nach ­einem Jahr noch dieses Ergebnis verzeichnet werden. Von 71 Patienten brachen 9 Patienten (13%) die Behandlung wegen unerwünschter Arzneimittelwirkungen ab. Bei 26 Patienten (37%) trat mindestens eine schwere Nebenwirkung auf, unter anderem Harnröhrenstriktur, Wassersackniere oder Urosepsis.

Die Studienautoren sehen den großen Vorteil von UGN-101 darin, dass es für Patienten mit Urothelkarzinom des oberen Harntraktes eine nieren­schonende Therapiealternative darstellt. Doch die Behandlung mit UGN-101 birgt auch Risiken: Das Reverse-Thermal-Gel wird regelmäßig unter Narkose per Urethroskopie appliziert. Untersuchungen weisen darauf hin, dass sich Narkotisierungen bei älteren Patienten schädlich auf die kognitiven Fähigkeiten auswirken können. Außerdem dürfen die Ergebnisse von OLYMPUS nicht unkritisch bewertet werden: Die Abwesenheit einer Kontrollgruppe birgt prinzipiell die Gefahr, dass Patienten für die Studie ausgewählt wurden, die eher auf die Behandlung ansprechen. Solchen Studien neigen häufig dazu, den Nutzen und die Schädigung einer Therapie überzubewerten. |

Literatur

Kleinmann N et al. Primary chemoablation of low-grade upper tract urothelial carcinoma using UGN-101, a mitomycin-containing reverse thermal gel (OLYMPUS). Lancet Oncol 2020; doi.org/10.1016/S1470-2045(20)30147-9

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