Arzneimittel und Therapie

Erneut NDMA in Metformin-Präparaten

FDA hat fünf Hersteller zu Rückrufen aufgefordert

dm | Die Nitrosamin-Krise brodelt weiter unter der Oberfläche: ­Während in Europa bislang kein Update zur ­NDMA-Problematik in Metformin erschienen ist, hat sich die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA erneut geäußert: Das vorläufige Urteil vom Februar ­wurde verschärft; fünf Firmen ­wurden aufgefordert, ihre Met­formin-Präparate zurückzurufen. Gelöst ist das „Rätsel“ von NDMA in Metformin damit aber noch nicht.
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Die US-amerikanische Arzneimittel­behörde FDA veröffentlichte Anfang Februar erste Labor-Ergebnisse zur Prüfung von Metformin auf das Nitros­amin N-Nitrosodimethylamin (NDMA). Daraus ging hervor, dass ­bislang nur in Metformin von Actavis NDMA gefunden wurde – in Mengen zwischen 0,01 und 0,02 µg. Damit lag die Menge unter der tolerierten täg­lichen Aufnahmegrenze von 0,096 µg. Zu diesem Zeitpunkt hatte die FDA keine Rückrufaktion von Metformin für die USA empfohlen. Die Untersuchungen galten aber noch nicht als abgeschlossen.

Zuvor war es nur in Singapur (drei Metformin-Präparate), der Schweiz und Kanada aufgrund einer Verun­reinigung mit NDMA zu Metformin-Rückrufen gekommen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hatte vergangenen Dezember betont, dass nur Spuren einer Verunreinigung mit NDMA in einer „geringen Anzahl von Metformin-haltigen Arzneimitteln außerhalb der Europäischen Union (EU)“ gefunden worden waren. Doch eine angespannte Liefersituation in Deutschland und die Metformin-Rückrufe in Kanada ließen erahnen, dass im Fall Metformin noch keine endgültige Entwarnung gegeben werden konnte. Zur Versorgungssituation von Metformin in Deutschland schrieb das BfArM am 14. Mai 2020: „Eine periodisch angespannte Situation ist unter anderem auf die Durchführung der auf europäischer Ebene vereinbarten Maßnahmen im Zusammenhang mit Nitrosaminverunreinigungen und den daraus ent­stehenden in Teilen zeitlichen Ver­zögerungen der Chargen­freigabe ­zurückzuführen.“

Zudem hatten auch die Corona-Einschränkungen Probleme gemacht. Weiterhin sollten dem BfArM zwischenzeitlich belastbare Angaben ­vorliegen, dass die Menge der in den Verkehr gebrachten Metformin-haltigen Arzneimittel im März ­deutlich erhöht wurde und in der ­Gesamtschau den Bedarf decken ­sollte. Weltweit wird weiterhin verstärkt auf Nitros­amine geprüft. Dies führte in den USA nun dazu, dass die Food & Drug Administration Ende Mai fünf Firmen dazu auf­forderte, ihre Metformin-Präparate „freiwillig“ ­zurückzurufen: Amneal Pharmaceuticals LLC und Apotex Corp sind der Aufforderung sofort nach­gekommen.

Nur Metformin mit verlängerter Wirkstofffreisetzung betroffen?

Als die FDA Anfang Februar ihre ­ersten Labor-­Ergebnisse zur Prüfung von Metformin auf NDMA veröffentlicht hatte, erwähnte sie, dass die Verunreinigung bislang nur in Fertigarzneimitteln, nicht aber im Wirkstoff selbst nachgewiesen wurde. Dies ist nun auch in den aktuellen Untersuchungen der FDA der Fall, die aber zu Rückrufen führten. Zudem sind wie bereits im Februar ausschließlich Metformin-Tabletten mit verlängerter Wirkstofffreisetzung betroffen. In ­diesem Zusammenhang erscheint die Analyse von Dr. Helmut Buschmann, Prof. Dr. Fritz Sörgel und Prof. Dr. ­Ulrike Holzgrabe aus DAZ 2019, Nr. 51, S. 36, erneut interessant: Ein Blick auf die chemische Struktur des Metformins zeigt, dass es auch während der Lagerung zu einer nachträglichen ­Bildung von Nitrosaminen im Fertigarzneimittel kommen kann. ­Unter bestimmten Lagerbedingungen kann es zudem in Abhängigkeit vom Blistermaterial zu unterschiedlichen Zersetzungskinetiken kommen. Diese nachträgliche NDMA-Bildung wurde auch bei Ranitidin beobachtet.

Wieder Warnung durch Valisure

Wie im Fall Ranitidin machte wieder die US-Versand-Apotheke „Valisure“ mit angeschlossenem Labor darauf aufmerksam, dass die Verun­reinigungen im Metformin bedeutender sein könnten, als aus den Prüfungen der FDA ­zunächst zu schließen war.

Nach Angaben von Valisure war es eine Einzelperson, die eine Metformin-Probe an das unabhängige Labor sendete und sich besorgt über deren Reinheit äußerte. Daraufhin untersuchte Valisure 38 Chargen von 22 Firmen, die das Unternehmen von ­Lieferanten ihrer Apotheke bezogen hatte. In 16 der 38 Chargen konnten NDMA-Mengen oberhalb des Grenzwerts nach­gewiesen werden – bis hin zu einer 16-fachen Erhöhung. Daraufhin reichte Valisure am 2. März 2020 (wie zuvor für Ranitidin) eine FDA-Bürger­petition ein.

Valisure erklärt sich die von den FDA-Ergebnissen abweichenden Befunde damit, dass die FDA auf freiwillige Proben der Industrie angewiesen sei, während Valisure Präparate am Ende der Lieferkette prüfen konnte. Die Hersteller hatten also keinen Einfluss auf die Tests von Valisure. David Light, Geschäftsführer von Valisure, warnt, dass die Situation einen über Jahre währenden Dominoeffekt nach sich ziehen könnte: Im Zusammenhang mit COVID-19 ginge eine expandierte Wirkstoffproduktion mit gleichzeitig weniger FDA-Prüfern vor Ort einher. Die potenziell schädlichen Arzneimittel wären über viele Jahre in der Versorgungskette; dazu komme, dass sich schwere Auswirkungen erst sehr spät bemerkbar machen.

FDA findet niedrigere NDMA-Werte in denselben Chargen

Die Versandapotheke, die sich um eine erhöhte Qualität der gelieferten Arzneimittel bemüht, wollte offenbar noch einen Schritt weitergehen und die eigenen Ergebnisse bestätigen. Dazu bat sie die Bevölkerung, Metformin-Tabletten im „Crowdsourcing“-Stil einzusenden. Nach Angaben von Valisure sei bei 46 der 128 Metformin-Proben aus 30 Staaten die von der FDA festgelegte NDMA-Menge überschritten worden. Die Ergebnisse wurden am 1. Juni 2020 auf dem Preprint-Server medRxiv.org veröffentlicht, verbunden mit der Forderung nach sofortigen Produktrückrufen. Wegen starker Schwankungen der NDMA-Konzentrationen zwischen den Arzneimitteln äußerte Valisure den Verdacht, dass kontaminierte Chargen mit sauberen vermengt worden sein könnten und so weiter in den USA vertrieben werden.

Am 28. Mai 2020 reagierte die FDA auf die Bürgerpetition von Valisure, in der ­bereits zu einem Chargenrückruf aufgerufen wurde. Auffällig ist, dass ­Valisure im Gegensatz zur FDA auch erhöhte NDMA-Werte in Metformin-Präparaten mit sofortiger Wirkstofffreisetzung gemessen hat. Auch in den Analysen von Valisure waren die Präparate mit verzögerter Wirkstofffreisetzung verstärkt betroffen. Die FDA fand laut einer aktuellen Stellungnahme N-Nitrosodimethylamin ausschließlich in Präparaten mit verzögerter Freisetzung. Dies könnte ein Grund sein, warum es in Deutschland bislang zu keinen Rückrufen kam, da hierzulande keine Metformin-Präparate mit verzögerter Freisetzung in der Lauer-Taxe gelistet sind. Auch in den USA werden sie laut FDA seltener eingesetzt als die Tabletten mit sofortiger Freisetzung.

Die FDA hat nach eigenen Angaben dieselben Chargen getestet, die laut „einem privaten Labor“ – wahrscheinlich Valisure – erhöhte NDMA-Mengen enthalten sollten. Dabei konnte die FDA die Ergebnisse für manche Chargen bestätigen, für andere nicht. Dafür detektierte die FDA NDMA in Chargen, in denen das private Labor nicht fündig geworden war. Insgesamt sollen die durch die FDA gemessenen NDMA-Werte jedoch niedriger gewesen sein. Ungeachtet dessen wurden Rückrufe durch die FDA veranlasst. Auf die Aufklärung der Hintergründe dieser uneinheitlichen Ergebnisse darf mit Spannung gewartet werden. |


Literatur

Blankenship K. FDA pushes metformin recalls for 5 drugmakers after carcinogen contamination. fiercepharma.com, 29. Mai 2020

Blankenship K. Are metformin recalls just the start? Valisure CEO calls for independent foreign drug tests amid COVID-19. fiercepharma.com, 3. Juni 2020

Bulletin zur Arzneimittelsicherheit. Informationen aus BfArM und PEI, Ausgabe 4, Dezember 2019, www.bfarm.de

Buschmann H et al. Nitrosamine in Metformin. DAZ 2019, Nr. 51, S. 36

Contamination Drives a More Concerted Approach to Genotoxins. www.pharmtech.com Stand 2. Mai 2020

FDA Alerts Patients and Health Care Professionals to Nitrosamine Impurity Findings in Certain Metformin Extended-Release Products. FDA News Release vom 28. Mai 2020, www.fda.gov

Laboratory analysis of metformin products. Veröffentlichung der U.S. Food & Drug administration (FDA). www.fda.gov, Stand: 5. Juni 2020

FDA Alerts Patients and Health Care Professionals to Nitrosamine Impurity Findings in Certain Metformin Extended-Release Products. FDA News Release vom 28. Mai 2020, www.fda.gov

Wu Q et al. Analysis of Crowdsourced Metformin Tablets from Individuals Reveals Widespread Contamination with N-Nitrosodimethylamine (NDMA) in the United States. MedRxiv 2020; doi:10.1101/2020.05.22.20110635

Study Of Crowdsourced Metformin Tablets From Individuals Reveals Widespread NDMA Contamination. www.valisure.com, Stand: 27. Mai 2020

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