Die Seite 3

Kontrolle und Strafe

Foto: DAZ/Kahrmann

Selbst bei offensichtlichen Regelverstößen im Straßenverkehr – man denke an Geschwindigkeitsüberschreitungen oder Rotlichtmissachtungen – kommt es regelmäßig zu Gerichtsverhandlungen, weil sich die Betroffenen zu Unrecht beschuldigt fühlen. Einerseits kann der Einspruch berechtigt sein, andererseits kann es um sehr kuriose Diskussionen gehen bezüglich der Messmethodik oder den Nuancen der jeweiligen Ampelfarbe. Die meisten dieser Auseinandersetzungen machen deutlich: Kontrolle und Strafe sind sehr brisante Angelegenheiten in unserem gesellschaftlichen Miteinander – egal, ob es um alltägliche Verkehrs­delikte geht oder um komplexe Dinge wie Inspektionen im Gesundheitswesen.

Apothekenrevisionen sind dafür ein Paradebeispiel (siehe Seite 60). Obwohl das Apothekenwesen vor allem bundesrechtlich organisiert ist, obliegt die Kontrolle den Ländern – was historisch dazu geführt hat, dass es einerseits hauptamt­liche Amtsapotheker und andererseits ehrenamtliche Pharmazieräte gibt. Die Frage, die sich aufdrängt: Hat sich eines der beiden Systeme bis heute wirklich bewährt? Warum gibt es keine Einheitlichkeit? Beim „Zyto-Skandal“ im nordrhein-westfälischen Bottrop vor wenigen Jahren zweifelte man an der (Fach-)Kompetenz der Apothekenkontrolleure aus den Ämtern. Hatten diese tatsächlich und zu jeder Zeit den Überblick und die Kenntnis über die Herstellung von Zytostatika in ihrem Bereich?

Und in Bundesländern wie Baden-Württemberg und Bayern hört man immer wieder von Fällen, bei denen sich Apothekeninhaber von ihren ehrenamt­lichen Kollegen gegängelt und schikaniert fühlen. „Unseren Totengräber erreichen Sie beim Regierungspräsidium Stuttgart“, stand vor einem Jahr auf ­einem Schild im Schaufenster einer Apotheke im Stadtteil Kaltental, die kurz zuvor nach dem Besuch eines ehrenamtlichen Pharmazierates und hauptamtlichen Vertreters des Regierungspräsidiums für immer geschlossen wurde.

Die Behörde erklärte damals, dass die Betriebsräume nicht mehr den aktuellen gesetzlichen Bestimmungen entsprochen hätten. Wie das Gespräch der Inhaberin mit ihren beiden männlichen Berufskollegen im Detail abgelaufen war, wollte sie den Pressevertretern nicht darstellen. Der Schock über das abrupte und unfreiwillige Ende ihrer Selbstständigkeit saß wohl zu tief.

Man könnte meinen, Arzneimittelsicherheit und Verbraucherschutz seien unverhandelbar und dass jeder Verstoß gegen die einschlägigen Vorschriften eindeutig belegbar sei. Die Fälle von gepanschten Zytostatika, verunreinigten Arzneimitteln und gefälschten Präpa­raten haben in jüngster Zeit den Ausschlag zu zahlreichen Gesetzesinitiativen und Reformen gegeben – stets im Bewusstsein der Öffentlichkeit. Doch die Wirklichkeit besteht nicht aus schwarz oder weiß und nur aus Vorsatz oder Fahrlässigkeit. Gerade die Grau­zonen gehören zu den Ermessensspielräumen der Behörden und genau an ­ihnen zeigt sich, ob man Vertrauen und Verständnis auch für unangenehme Entscheidungen aufbringen kann.

Die Corona-Krise hat in den letzten Wochen dazu geführt, dass in den meisten Bundesländern die routinemäßigen Apothekenrevisionen ausgesetzt waren. Dagegen wurden nicht wenige Apotheken erstmals von den Gesundheitsämtern kontaktiert, die darüber entscheiden mussten, ob ein Infektionsgeschehen im Team zur Schließung des ganzen Betriebs führt. Diese Tatsache brachte eine ganz neue Form der Verunsicherung in den Apotheken hervor (s. DAZ 2020, Nr. 16, S. 26). Das zeigt einmal mehr, dass mit Kontrolle und Strafe sehr sen­sibel umgegangen werden muss – ganz gleich, ob es sich um hauptamtliche Amtsapotheker oder um ehrenamtliche Pharmazieräte handelt.

Dr. Armin Edalat, Chefredakteur der DAZ

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