Pandemie Spezial

Flächendesinfektionsmittel aus der Apotheke

Ausnahmeregelungen sollen helfen, den immensen Bedarf zu decken

yd | Im Laufe der nächsten Wochen werden nach langem Stillstand Geschäfte, Friseure, Freizeiteinrichtungen und Co. in ganz Deutschland wieder geöffnet haben. Bis Mitte ­Juni sollen auch Kinder in Schulen und Kindergärten zurückkehren können. All das soll allerdings unter strengen hygienischen Auflagen erfolgen. Darunter versteht sich, ­neben Einrichtungs-bezogenen Abstands- und Kontaktregelungen, eine eingehende Flächendesinfektion. Entweder im ganzen Raum, mehrmals am Tag oder am Arbeitsplatz, nach jedem Kunden.

Um diesen immensen Bedarf an Flächendesinfektionsmitteln zu decken, hat die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) in Abstimmung mit dem Bundesgesundheitsministerium nicht nur eine Allgemeinverfügung zur Herstellung von Händedesinfektionsmitteln erlassen (s. a. DAZ 2020, Nr. 20, S. 30– 31), sondern auch eine Allgemeinverfügung zur Abgabe und Verwendung von Flächendesinfektionsmitteln. Sie reguliert die Ausnahmezulassungen nach Artikel 55 Abs. 1 der Biozid-Verordnung.

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Zur berufsmäßigen Verwendung

Dieser rechtliche Rahmen bietet nun Apotheken, der pharmazeutischen und chemischen Industrie sowie juristischen Personen die Möglichkeit, bestimmte Formulierungen mit Ethanol, Chloramin-T und Natriumhypochlorit als Wirkstoff herzustellen und an berufsmäßige Verwender abzugeben. Damit soll eine ausreichende Versorgung nicht nur von Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen oder Arztpraxen sichergestellt werden, sondern auch der allgemeine Gesundheitsschutz in Unternehmen gewährleistet werden. Die Abgabe und Verwendung sind hierbei ausdrücklich auf die berufsmäßige Verwendung beschränkt, die eingeschlossenen Rezepturen dürfen folglich nicht an private Verbraucher abgegeben werden. Mit dieser Einschränkung soll vor allem eine hinreichende Versorgung des allgemeinen Gesundheitswesens mit Desinfektionsmitteln gewährleistet werden. Eine Nachweis­erbringung ist allerdings nicht notwendig, es reicht eine mündliche Bestätigung des Kunden oder ein hinreichender Hinweis darauf, dass die Rezeptur eine berufsmäßige Verwendung zum Zweck hat. Weiterhin gilt für Biozidprodukte die REACH-Verordnung. So ist bei der Abgabe der unten auf­geführten Desinfektionsmittel ein ­Sicherheitsdatenblatt für den beruf­lichen Verwender bereitzustellen.

Die von der Allgemeinverfügung eingeschlossenen Rezepturen sind der ­Tabelle zu entnehmen.

Tab.: In der Allgemeinverfügung zur Abgabe und Verwendung von Flächendes­infektionsmitteln des BAuA gelistete Rezepturen
Rezeptur
Einwirkzeit
Ethanol1 80% (v/v) in wässriger Lösung zur Behandlung von Flächen bis 2 m2
15 min
Natriumhypochlorit2 0,5% (w/w) in wässriger Lösung
30 min
Chloramin-T3 2,5% (w/w) in wässriger Lösung
120 min
Rezepturen mit den genannten Wirkstoffen, die bereits biozidrechtlich zugelassen wurden (oder für die ein fristgerechter Zulassungsantrag gestellt wurde) und deren bakterizide, levurozide und begrenzt viruzide Wirkung nachgewiesen wurde.

1 1. Mindestreinheit 96% (v/v) vergällt oder unvergällt. Es ist vom Hersteller sicherzustellen, dass keine gefährlichen Verunreinigungen enthalten sind (z. B. keine CMR-Stoffe oberhalb 0,1%, hautsensibilisierende Stoffe etc.). Die Reinheit des Wirkstoffes ist über entsprechende Analysezertifikate des Herstellers zu belegen.

2. Rohalkohol/Destillate mit einer Mindestreinheit von 80%. Die Rezeptur ist so anzupassen, dass 80% des Wirkstoffs Ethanol im Desinfektionsmittel enthalten sind. Es ist vom Hersteller (z. B. Brennerei, Destillerie, Brauerei) sicherzustellen, dass keine gefährlichen Verunreinigungen enthalten sind (z. B. keine CMR-Stoffe oberhalb 0,1%, hautsensibilisierende Stoffe etc.).

2 Mindestreinheit entsprechend der Durchführungsverordnung (EU) 2017/1273. Die Konzentration an freigesetztem Aktivchlor muss ≤ 180 g/kg (d. h. ≤ 18% (Massenanteil)) sein.

3 Mindestreinheit 98% (w/w). Es ist vom Hersteller sicherzustellen, dass keine gefährlichen Verunreinigungen enthalten sind (z. B. keine CMR-Stoffe oberhalb 0,1%, hautsensibilisierende Stoffe etc.). Die Reinheit des Wirkstoffes ist über entsprechende Analysezertifikate des Herstellers zu belegen.

Kennzeichnung und Werbung

Die Werbung für vertriebene Flächendesinfektionsmittel muss deutlich erkennbar mit dem Hinweis versehen werden: „Biozidprodukte vorsichtig verwenden. Vor Gebrauch stets Etikett und Produktinformationen lesen.“ Sowohl bei der Werbung als auch bei der Kennzeichnung des Desinfektionsmittels dürfen keine irreführenden An­gaben gemacht werden, wie etwa „Biozidprodukt mit niedrigem Risikopotenzial“, „ungiftig“, „unschädlich“, ­„natürlich“, „umweltfreundlich“, „tierfreundlich“ oder ähnliche Hinweise. Eine individuelle Gestaltung des Etiketts durch die Apotheke ist möglich, allerdings müssen dabei die Vorgaben zur Kennzeichnung nach Artikel 69 der Biozid-Verordnung eingehalten werden. Diese enthält neben den üblichen Angaben zu Wirkstoff, Hersteller und Anwendung auch Hinweise zur Zulassung sowie dem sicheren Umgang und zur Entsorgung. Die Hinweise zu Umgang und Ent­sorgung erfolgen in der Regel durch eine Kennzeichnung nach EG-CLP-V (Gefahrstoffsymbol, Signalwort, H+P-Sätze). Statt der Zulassungsnummer soll auf die Allgemeinverfügung verwiesen werden: „BAuA AllgVg v. 02. April 2020“.

Zum Weiterlesen

Die Zulassung beschränkt sich ausschließlich auf die Flächendesinfektion. Ein Verfalldatum ist anzubringen. Die ABDA empfiehlt für alle von der Allgemeinverfügung erfassten Flächendesinfektionsmittel eine Haltbarkeit von 6 Monaten. Zudem ist es empfehlenswert, bei der Beratung auf RKI-Hinweise zu allgemeinen Schutzmaßnahmen einzugehen.

Die Kennzeichnungsvorschriften gelten nur für eine Abgabe an den Kunden, für die innerbetriebliche Nutzung ist eine interne Kennzeichnung von Gefahrstoffen ausreichend.

Die Produkte bedürfen keiner zusätzlichen Meldung bei der BAuA.

Für Wirkstoffe, die unter Übergangsregelungen fallen (z. B. Altwirkstoffe und andere Rezepturen auf der Basis von Ethanol und Chloramin-T), gelten etwas andere Regelungen. Diese müssen, falls sie zur Vermarktung bestimmt sind, nach der Biozid-Meldeverordnung angezeigt werden, dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) für die Giftinformationsdatenbank gemeldet werden und den Artikel 95 der Biozid-Verordnung erfüllen.

Zur Klärung weiterer Fragen sei auf die ABDA-Handlungshilfe „Herstellung von Desinfektionsmitteln in der Apotheke“ und den FAQ „COVID-19-Pandemie – Fragen zum Apothekenbetrieb“ verwiesen. Darüber ­hinaus informiert auch das BAuA mit ­einem FAQ-Katalog auf seiner ­Internetseite. |
 

Literatur

Allgemeinverfügung zur Zulassung Ethanol-haltiger, Chloramin-T-haltiger und Natriumhypochlorit-haltiger Biozidprodukte zur Flächendesinfektion und zur Abgabe an und Verwendung durch berufsmäßige Verwender aufgrund einer Gefahr für die Öffentliche Gesundheit der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Stand 2. April 2020

ABDA: FAQ COVID-19-Pandemie – Fragen zum Apothekenbetrieb www.abda.de Stand 4. Mai 2020

ABDA: Herstellung von Desinfektionsmitteln in der Apotheke www.abda.de Stand 4. Mai 2020

Erratum

In DAZ 2020, Nr. 20, S. 30 fehlt in Tabelle 1 unter spezielle Daten zur Viruswirksamkeit für die Rezeptur WHO I Original der Hinweis, dass sie auch gegen SARS-CoV-2 wirkt. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen. In der Online-Version ist die Tabelle korrigiert.

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