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Sozialrecht auf den Prüfstand!

Foto: DAZ/tmb

Dr. Thomas Müller-Bohn, Redakteur der DAZ

Mit den ersten Lockerungen der Corona-Maßnahmen weitet sich der Blick von den täglichen Herausforderungen zu den Lehren für die Zukunft, auch im Apothekenalltag. Auf den ersten Blick stellt sich die Frage, wie das Bundesgesundheitsministerium so schnell erkennen konnte, welche Regeln geändert werden mussten, um die Versorgung in den Apotheken wirksam zu erleichtern. Vorher hatten die Krankenkassen immer wieder betont, wie wichtig die Regularien seien. Angeblich gäbe es für die meisten Fälle keinen praktikablen Maßstab, um sinnvolle Regeln für die Versorgungsqualität von purer Bürokratie zu unterscheiden, hieß es von den Kassen. Sogar nach dem Ausbruch der Pandemie wurde zunächst noch um Detailregeln gefeilscht, die zeitweilig eingeschränkt werden könnten. Doch dann kamen schnell viel weitergehende Ausnahmen vom Ministerium. Seitdem läuft die Versorgung anders, aber ohne Einbußen bei der Qualität für die Patienten. Dabei ist die Frage nach den wirklich wichtigen Regeln ganz einfach zu beantworten, und dies hat überhaupt nichts mit Corona zu tun: Für eine gute Versorgung maßgeblich sind allein die arzneimittel- und apothekenrechtlichen Vorgaben, die seit jeher auch für privat Versicherte gelten. Die werden nämlich sehr gut versorgt, obwohl (oder vielleicht sogar: weil) das Sozialrecht für sie nicht gilt. Dies widerlegt die Behauptung, sozialrechtliche und vertragliche Details würden die Versorgungsqualität sichern. Vielmehr dient das Sozialrecht allein der Wirtschaftlichkeit der Krankenkassen. Das ist durchaus legitim, aber nur, wenn die Regeln wirklich Einsparungen bringen, der Aufwand in einem angemessenen Verhältnis dazu steht und die Qualität nicht leidet. Damit sollten sich alle Regeln erübrigen, bei denen der ärztliche Wille übergangen wird oder bei denen es nur darum geht, wie der verordnende Arzt seinen Willen formulieren muss. Denn Arzneimittel werden nicht billiger, weil der Arzt seine Verordnung auf mehrere Zeilen aufteilt oder irgendeinen Vermerk anbringt. Das bringt den Krankenkassen allenfalls eine Chance auf eine Retaxation. Damit erscheinen unzählige Detailregeln verzichtbar, und als relevantes Thema bleiben die Rabattverträge. Die sparen angeblich Milliarden Euro ein, aber diese Rechnung bezieht sich auf Listenpreise, die gerade wegen der Rabattverträge immer weniger aussagen. Außerdem müsste in einem fairen Vergleich geprüft werden, was gespart werden könnte, wenn es stattdessen andere Sparinstrumente gäbe. Ein neues Konzept könnte sich beispielsweise an Zielpreisen orientieren, die die ABDA schon vor vielen Jahren als Alternative vorgeschlagen hatte. Die Zeit könnte nun endlich reif für solche Ideen sein, die Apothekern mehr Auswahlmöglichkeiten bieten. Allerdings dürfte die Preisverantwortung für Lieferengpässe und andere Unwägbarkeiten dabei nicht auf die Apotheker abgewälzt werden. Die meisten Sparinstrumente im Arzneimittelmarkt nutzen sich irgendwann ab oder passen dann nicht mehr in die Zeit. Wenn künftig mehr Wert auf eine breitere Auswahl an Herstellern gelegt wird und mehr auf die Kompetenzen der Apotheker gesetzt wird, könnte die Zeit der Rabattverträge ablaufen. Die Apotheker sollten rechtzeitig ein praxisnahes Nachfolgekonzept ins Gespräch bringen. Vorläufig wird aber die Pandemie weiterhin an erster Stelle stehen. Darum haben wir auch in diesem Heft für Sie wieder ein „Pandemie Spezial“ mit praxisorientierten Beiträgen zum Alltag und einer grundsätzlichen Betrachtung zum Umgang mit dem Virus zusammengestellt.

Thomas Müller-Bohn

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