Interprofessionelle Zusammenarbeit

Im Netzwerk mit Selbsthilfegruppen

Jede zweite Apotheke ist an einer Kooperation interessiert

Zur Vorbereitung eines Workshops für Selbsthilfegruppen befragte das Wissenschaftliche Institut für Prävention im Gesundheitswesen ­(WIPIG) der Bayerischen Landesapothekerkammer im vergangenen Jahr seine Netzwerkmitglieder bezüglich ihrer Einstellung zur Selbsthilfe im Gesundheitswesen. | Von Helmut Schlager und Xenia Steinbach

Natürlich halten die Umfrageteilnehmer die Zusammenarbeit zu 100 Prozent für sinnvoll. Vor allem sind die bundesweit agierende „Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung der Selbsthilfe“ (NAKOS) aus Berlin als institutionelle Selbsthilfeeinrichtung den bayerischen Apothekern bekannt (17 Prozent) sowie mit gut 23 Prozent die bayernweit agierende „Selbst­hilfekoordination Bayern“ (SeKo). Kleinere regionale Institutionen wie die Kontakt- und Informationsstellen Selbsthilfegruppen (KISS) haben mit rund fünf Prozent einen nur geringen Bekanntheitsgrad, wohingegen die Selbsthilfekontaktstellen in den Regionen mit rund 60 Prozent den höchsten Bekanntheitsgrad aufweisen können.

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Hoch im Kurs: Diabetes, Krebs und Atemwegserkrankungen

Auf die Frage, ob die Apotheker auch selbst in den Gruppen oder entsprechenden Organisationen Mitglied sind, gaben rund 15 Prozent der Umfrageteilnehmer an, sich in Diabetes-, COPD-, Asthma-, KHK-Gruppen und einigen weiteren zu engagieren.

Im breiten Spektrum der Krankheiten, bei denen Apotheker eine Zusammenarbeit als sinnvoll erachten, liegt Diabetes mit einer Zustimmung von 63 Prozent ganz vorne, gefolgt von den Indikationen Alzheimer/Demenz (21 Prozent), Krebs (19 Prozent) sowie Schmerz und Migräne (16 Prozent). Parkinson, Sucht/Drogen, Rheuma und Depression liegen mit jeweils 14 Prozent auf den hinteren Rängen.

72 Prozent der Apotheker arrangieren sich zwar nicht in Kooperationsprojekten mit Selbsthilfegruppen, führten aber kleinere zeitlich begrenzte Aktionen auf den Feldern Diabetes, Krebs und Asthma/COPD durch. Rund ein Fünftel der Apotheker haben Kooperationen verschiedener Art. 44 Prozent davon sind auf Dauer angelegt, 66 Prozent der ­Projekte sind zeitlich beschränkt und punktuell anberaumt.

Wie findet die Kontakt­aufnahme statt?

In 72 Prozent der Fälle geht die Ini­tiative von den Selbsthilfegruppen aus, in 39 Prozent (Mehrfachnennungen möglich) von den Apotheken, aber auch Referentensuche, Aufrufe im Kollegenkreis oder Betroffene aus dem Familienkreis sowie schlicht und ergreifend „der Zufall“ mit 17 Prozent spielten eine Rolle beim Vernetzen.

Die Gründe für die Zusammenarbeit sind vielschichtig: Vermittlung von Patienten, regelmäßige oder punktuelle Vorträge, besondere Beratung, Aktionstage, Räumlichkeiten und Werbeflächen im Schaufenster der Apotheken. Öffentlichkeitsarbeit nach dem Motto „Tue Gutes und rede darüber!“ ist wichtig, Abb. 1 zeigt einen Überblick über die von den Apotheken eingesetzten Werbemaßnahmen.

Abb. 1:„Bewerben Sie Ihre Zusammenarbeit mit Selbsthilfegruppen? Wenn ja, wie?“

Motivation für die Netzwerkarbeit

Was kann Apotheken zur Netzwerkarbeit motivieren? Welche positiven Effekte hat die Zusammenarbeit? Hier wurden erhöhtes Ansehen (74 Prozent), Erfolgsberichte/Rückmeldungen (68 Prozent), Interesse der Patienten (56 Prozent), geringere Kosten für das Gesundheitssystem (32 Prozent), neue Kunden (16 Prozent) sowie weniger Beratungsaufwand (11 Prozent) angegeben. Den positiven Beweg­gründen stehen jedoch auch negative Aspekte gegenüber, wie ein unverhältnismäßiger Zeitaufwand, der von 32 Prozent der Teilnehmer beschrieben wird, sowie die manchmal zu hohen Ansprüche der Patienten und dass der Aufwand den (finanziellen) Nutzen übersteige, mit jeweils 11 Prozent.

Die Teilnehmer bewerten ihre Zu­sammenarbeit mit der Selbsthilfe vor Ort mit der Schulnote 2,9. Das ist sicherlich ausbaufähig. Betrachtet man die Gründe, warum mit bestimmten Selbsthilfegruppen gerne zusammengearbeitet wird und warum eben auch nicht, findet man wiederum vier wichtige Motivatoren, die in Abb. 2 dargestellt werden.

Abb. 2: „Warum arbeiten Sie mit bestimmten Selbsthilfegruppen zusammen?“

Stärkung oder Schwächung der Vor-Ort-Apotheken?

Aber es werden auch Gegenargumente genannt: Hierzu zählen „kein Kontakt“, „keine Zeit“, „zu spezifisch“ und „Versandhandel“. Die letzte Anmerkung ist von durchaus existentieller Natur. Die in der Vergangenheit von einigen wenigen Selbsthilfegruppen mit wenig Weitblick forcierte Zusammenarbeit mit ausländischen Arzneimittelversendern kommentierte ein Kollege wie folgt: „Wir Vor-Ort-Apotheker werden von der Politik nur ausgenutzt für Notdienst, Nachtdienst, Rezeptur, Defektur, ­Problemlösungen usw. und machen auch noch freiwillig Vorträge in den Selbsthilfegruppen. Das geht gar nicht. Deshalb mache ich auch nichts mehr für die Parkinson-Gruppe, die lassen sich ihre Medikamente aus Holland schicken und bei Fragen und Reklamationen stehen sie dann wieder in meiner Apotheke, nein danke.“

Dagegen können und sollten Netzwerke von Apothekern und Selbsthilfegruppen auf regionaler Ebene gemeinsam und für ein besseres Verständnis zusammenarbeiten! Stärkt die Gruppe die Präsenz-Apotheke vor Ort, stärkt sie ihre Region, ihre Heimat und ihre Mitglieder profitieren vom persönlichen Kontakt sowie der direkten, persönlichen und fachlich hochwertigen Versorgung aus einer Hand.

Honorierung und Organisation

77 Prozent der befragten Apotheker erhalten für ihren Aufwand in den Selbsthilfegruppen keine finanzielle Gegenleistung. Nur 14 Prozent erhalten Gelder direkt von den Selbsthilfegruppen, 9 Prozent von den Krankenkassen. 68 Prozent der Teilnehmer investieren durchschnittlich bis zu einer Stunde monatlich für die Zusammenarbeit mit den Selbsthilfegruppen, 26 Prozent zwei bis vier Stunden und 5 Prozent mehr als sieben Stunden. Dieser Zeitaufwand schließt die Vor­bereitung auf Vorträge nicht mit ein; die hierfür erforderliche Zusatzzeit beläuft sich auf durchschnittlich vier Stunden.

Das Sozialgesetzbuch V schreibt in § 20 h die Förderung der Selbsthilfe vor. Vor diesem Hintergrund können und sollten die Gruppen entsprechende Vorträge von Apothekern unbedingt honorieren.

Um solche und viele weitere Fragestellungen zu beantworten und Kontakte zu Gruppen zu vermitteln und zu koordinieren, wünschen sich 53 Prozent der Apotheker Ansprechpartner bei den Apothekerverbänden, 39 Prozent waren sich nicht sicher und nur 8 Prozent hielten dies nicht für erforderlich.

Abschließend geben 54 Prozent der Teilnehmer an, dass sie Interesse an einer Kooperation mit Selbsthilfe­gruppen in ihrer Nähe haben. |

Die Umfrage wurde im Rahmen des 12. Bayerischen Selbsthilfekongresses der SeKo Bayern im April 2019 durchgeführt. Das WIPIG befragte online seine Netzwerkmitglieder. Ein beson­deres Dankeschön ergeht für die Mitarbeit an diesem Projekt an Sonja Stipanitz, die Patienten- und Selbsthilfebeauftragte vom Bayerischen Landesapothekerverband.

Autoren

Dr. Helmut Schlager, Apotheker, seit 1999 für die Bayerische Landesapo­thekerkammer tätig

 

Xenia Steinbach, Apothekerin, seit 2018 für die Bayerische Landesapothekerkammer tätig

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