Arzneimittel und Therapie

Blutdruck-treibendes Cortison

Eine Glucocorticoid-Dauertherapie erfordert engmaschige Kontrollen

Hypertonien zählen zu den häufigsten Langzeitfolgen einer Corticoid-Therapie. Das belegt auch eine großangelegte epidemiologische Studie. Nach sieben Jahren der ­Cortison-Anwendung entwickelte ein Drittel der zu Behandlungsbeginn normotonen Patienten einen Bluthochdruck.

Auf der Basis von elektronischen Krankenakten analysierten Wissenschaftler der Universität Leeds im Rahmen einer retrospektiven Kohortenstudie in den Jahren 1998 bis 2017 die Daten von 71.642 Erwachsenen, die an einer chronisch-entzündlichen Erkrankung litten. Die Teilnehmer hatte man aus 389 Arztpraxen in ­England rekrutiert. Ihre häufigsten für die ­Glucocorticoid-Behandlung ausschlaggebenden Diagnosen waren chronisch-entzündliche Darmer­krankungen (CED) und rheumatoide ­Arthritis. Außerdem wurden Patienten mit systemischem Lupus erythematodes (SLE), ­Polymyalgia ­rheumatica, Riesenzell­arteriitis und Vaskulitis für die Datenerhebung mit herange­zogen. Die Glucocorticoid-­Dosierungen rechnete man jeweils in Prednisolon-Äquivalente um. Ziel der Studie war es, die Auswirkungen einer lang­fristigen Einnahme von oralen Glucocorticoiden auf die Hypertonie-Inzidenz zu untersuchen. Bisher lagen zu dieser Thematik ­widersprüchliche Ergebnisse vor.

Foto: thodonal – stock.adobe.com

Das Blutdruck-Management in der Apotheke ist ein wichtiger Teil der Patientenbetreuung. Indem man die Messung mit häus­lichen Blutdruckmessgeräten demonstriert oder Patienten an Blutdrucktagebücher heranführt, lassen sich Folgeschäden minimieren.

Rund jeder Dritte entwickelte Bluthochdruck

Während eines medianen Beobachtungszeitraums von 6,6 Jahren trat bei 24.896 Patienten (34,8%) eine Hypertonie auf. Sie wurde entweder durch den Arzt diagnostiziert oder aufgrund von mindestens drei aufeinander­folgenden Blutdruck-Messwerten über 140/90 mm Hg innerhalb von zwölf Monaten festgestellt. Die Neuerkrankungsrate lag

  • ohne Cortison-Behandlung bei 44,4,
  • bei einer kumulativen Dosierung unter 960 mg bei 45,3/1000 Patientenjahre,
  • bei einer kumulativen Dosierung zwischen 960 mg und 3055 mg bei 49,3/1000 Patientenjahre und
  • im Falle von kumulativen Dosierungen über 3055 mg bei 55,6/1000 Patientenjahre.

Damit stieg das Hypertonie-Risiko ­unter oralen Glucocorticoiden im Vergleich zur Nichtanwendung in den drei Dosisbereichen um 14%, 20% und 30%. Bei der Risikoberechnung wurden Störfaktoren wie das Alter, die Art der entzündlichen Erkrankung, weitere Krankheiten sowie die Anwendung parenteraler Glucocorticoide entsprechend berücksichtigt.

In Bezug auf die einzelnen Erkrankungen war ein Anstieg der Hypertonie-­Inzidenz mit Zunahme der kumula­tiven Dosis bei Patienten mit CED und Polymyalgia rheumatica nicht zu beobachten. Bei diesen beiden Erkrankungen lag die Inzidenz in allen Dosis­gruppen etwa gleich hoch. Die Tagesdosis der oralen Glucocorticoide stand nicht im Zusammenhang mit der Hypertonie-Inzidenz – außer bei der Vasculitis. Bei Patienten mit dieser Erkrankung gab es eine Art Dosis-Wirkungs-Beziehung: die Hypertonie-Inzidenz nahm mit steigender Tagesdosis zu.

Zu viel orales Cortison für Asthmatiker

Um schwere Verlaufsformen des ­Asthmas zu kontrollieren, werden nach wie vor orale Glucocorticoide in der niedrigsten effektiven Dosis verabreicht. Laut einer Untersuchung der „European Respiratory Society“, die 2019 veröffentlicht wurde, erhielt ca. ein Drittel der Asthmatiker, die orale Glucocorticoide einnahmen, eine zu hohe und damit schädliche Dosierung. Im Rahmen der Untersuchung konnten 2.312 niederländische Patienten ­befragt werden, deren Asthma bronchiale mit hochdosierten inhalativen Glucocorticoiden und langwirksamen β2-Sympatho­mimetika behandelt wurde. Erfragt wurden der Einsatz von oralen Glucocorticoiden, die Adhärenz und die Inhalationstechnik der Patienten. 29% der Befragten erhielten mit über 420 mg pro Jahr eine ­potenziell schädliche Dosierung an oralen Glucocorticoiden. Bei 78% ­dieser Patienten wurde eine mangelhafte Adhärenz bezogen auf inhalative Corticosteroide oder eine fehlerhafte ­Inhalationstechnik festgestellt. Diese Patienten würden durch eine effektivere Asthma-Schulung direkt profitieren, da man die Dosierung der nebenwirkungsreichen oralen Glucocorti­coide senken könnte. Die verbleibenden 22% der Patienten mit zu hohem oralem Corticoidbedarf würden von einem verstärkten Einsatz der in dieser Indikation zugelassenen Biologika (wie Omalizumab) profitieren.

Quelle: European Lung Foundation. One third of patients with severe asthma are taking ­harmful doses of oral steroids. ScienceDaily, 1 October 2019.

Limitationen der Studie

Mit einer epidemiologischen Studie lassen sich naturgemäß keine kau­salen Zusammenhänge feststellen. ­Zusätzlich nennen die Studienautoren weitere Limitationen ihrer Untersuchung. So wurden beispielsweise für die angewendeten Dosierungen die Verordnungsdaten zugrunde gelegt: Die Adhärenz der Patienten konnte dabei nicht festgestellt werden, diese war möglicherweise nicht optimal. Eventuell wurde auch die verabreichte Cortison-Menge insgesamt unterschätzt, da keine Informationen darüber vorlagen, ob Patienten mit CED, SLE oder Vasculitis bei notwendigen Klinikaufent­halten zusätzlich mit diesen Wirkstoffen behandelt worden waren.

Doch ungeachtet aller Limitationen lautet das Fazit der Studie: Bei der Kortison-Langzeitbehandlung sollte der Blutdruck engmaschig überwacht werden, um Hypertonien rechtzeitig behandeln zu können. |
 

Literatur

Mebrahtu TF et al. Oral glucocorticoids and incidence of hypertension in people with chronic inflammatory diseases: a population-based cohort study. CMAJ 2020;192(3):295-301

Apothekerin Dr. Claudia Bruhn

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