Feuilleton

Wo das Übel nicht weichen will und sehr große Not herrscht

Der Einsatz von Apothekern während der Cholera-Epidemie im 19. Jahrhundert

Von Christoph Friedrich | Während der gegenwärtigen Corona-Pandemie gehören Apotheker und ihre Teams zu den besonders beanspruchten Berufsgruppen. Beunruhigend ist, dass gegen eine Infektionskrankheit gekämpft werden muss, gegen die es noch kein wirksames Mittel gibt. Die großen Erfolge in der Arzneimittelentwicklung im 20. Jahrhundert mit Chemotherapeutika, Antibiotika und Virostatika haben uns vergessen lassen, dass dies früher anders war. Der Blick in die Pharmaziegeschichte zeigt, dass Apotheker während der Cholera-Epidemie 1831 beispielsweise in einer ähnlichen Lage waren.

Bevor die Cholera asiatica nach Europa gelangte, war sie in Asien, vor allem in Indien, schon lange verbreitet. 1830 erreichte sie Odessa und Moskau und im Frühjahr 1831 auch deutsche Ostseestädte wie Danzig und Königsberg. Hier erkrankten 2221 Personen, von denen 1327 starben. In Berlin waren es 2271, also knapp 1% der Bevölkerung, von denen mehr als die Hälfte verstarb. Insgesamt belief sich die Zahl der Toten in Preußen 1831/32 auf 42.000 Tote [1].

Briefe von Apothekern bieten einen authentischen Einblick in die Behandlung und ihren Kampf gegen diese Infektionskrankheit. Als Beispiel kann der Briefwechsel des Apothekers und Professors Johann Bartholomäus Trommsdorff (1770 – 1837) gelten, an dessen 250. Geburtstag wir uns in diesem Jahr erinnern. Im Juli 1831 berichtete sein ehemaliger Schüler, der Kaiserlich-Russische Zollapotheker in St. Petersburg, Wilhelm Ludwig: „Die Cholera herrschte hier […] sehr heftig, doch hatt die Wuth derselben nachgelaßen nachdem an 5000 Menschen ein Opfer derselben geworden sind, durch den großen Bedarf an Arzneimitteln wurden hieselbst manche Gegenstände zu einer Höhe hinauf getrieben, die fast unglaublich ist. So bezahlte man für Morphium aceticum 6 rth für die Drachme [3,75 g], für HB [Herba] Menthae crispae, pip[eritae] u Melisse mit Stielen u Wurzeln 22 G[old]groschen für das Pfund“ [2].

Foto: Institut für Geschichte der Pharmazie, Marburg

Porträt von Johann Bartholomäus Trommsdorff.

In Erfurt wurde im Juli 1831 eine Sanitätskommission eingerichtet, der auch Trommsdorff angehörte [3]. Im Juni 1832 schrieb dessen Schwiegersohn, der Bernburger Apotheker Ludwig Franz Bley (1799 – 1868), an ihn: „Seitdem Sie von jenem indischen unsaubern Gaste [der asiat. Cholera] belästigt werden, dessen beschleunigte Ankunft Europa dem Feldzuge der Russen nach Persien beizumessen hat, werden Sie bei Ihrer Cholera Commission […] gewiß recht viel Geschäfft haben u zu andern desto weniger Zeit erübrigen, u wenn nur damit dem Uebel gesteuert werden könnte, so würden Sie ein solches Opfer gewiß gern bringen, aber dem mögte allen Erfahrungen nach nicht so sein. Herzlich wollen wir wünschen daß Sie in Erfurt nicht die so traurigen Er­fahrungen der Bewohner von Halle machen mögen, wo das Uebel nicht weichen will u sehr große Noth herrscht wie ich kürzlich […] aus dem Mund mehrerer glaubwürdiger Männer von dort hörte“ [4].

Die Situation in Erfurt

Trommsdorff teilt im September 1831 seinem Sohn Hermann (1811 – 1884), der damals in Frankfurt am Main in der Apotheke Zum Schwanen arbei­tete, mit: „Daß die Cholera in Berlin ist, wirst du aus der Zeitung wißen. Sie rückt uns immer näher. Das beste Vorbeuungsmittel [!] ist wohl Furcht­losigkeit, frische Luft, Reinlichkeit und sehr strenge Mäßigkeit [...]. Die welche gleich Anfangs [...] schnell ein warmes Bad nahmen und warmen Pfeffermünzthee nebst Liquor ammonii acetici [Ammoniumacetatlösung], u andere schweißtreibende u tonische Mittel verbunden mit Opiaten gebrauchten, sind meist davongekommen“ [5].

In Erfurt hatte der Apotheker, Arzt, Regierungs- und Medizinalrat Johann Friedrich Christoph Fischer (1772 – 1849), der mit Trommsdorff zusammenarbeitete, 1831 seine „Noth und Hülfstafel, welche lehrt, was vor Ankunft eines Arztes mit einem Cholerakranken vorzunehmen sey […]“ veröffentlicht. Darin empfahl er, Arzneimittel wie geschnittene Mohnköpfe, Essig, Branntwein, Spanischen Pfeffer, Meerrettich-Wurzeln und Teedrogen wie Kamille, Pfefferminze und Holunder vorrätig zu halten [6]. Insbesondere der reichliche Genuss von Tee erwies sich als vorteilhaft. Der an der Cholera Erkrankte schied mit seinen reiswasserartigen Durchfällen z. T. bis zu 20 l Flüssigkeit am Tag aus. Die Flüssigkeitsverluste führen zu einer starken Exsikkose, die von Blutdruckabfall, langsamem Herzschlag und Anurie (Versagen der Harnausscheidung) begleitet war. Tee erwies sich auch deshalb als nützlich, da er mit kochendem Wasser zubereitet wurde und das Kochen darin enthaltene Bakterien beseitigte, ohne dass man diese Ursache bereits kannte. Die Mohnköpfe dürften gleichfalls eine positive Wirkung gehabt haben, enthielten sie doch Morphin, das eine stopfende Wirkung besitzt.

Foto: Institut für Geschichte der Pharmazie, Marburg

Trommsdorffs Schwan-Apotheke in Erfurt (rechts im Bild)

Panikkäufe und Versorgungsprobleme – schon damals

Schnell kam es zu Panikkäufen der empfohlenen Drogen. Johann Bartholomäus Trommsdorff bemerkte in einem Brief an seinen Sohn Hermann dazu: „Die Pfeffermünze macht sich sehr rar u theuer, ich reiche nicht aus, sieh zu, ob du von Frankfurter Materialisten oder dortigen Apothekern noch ein oder zwei Centr für mich kaufen kannst“ [7]. In einem Postscriptum, in dem an der Schrift erkennbar ist, wie wichtig und eilig Trommsdorff die Angelegenheit war, heißt es: „Sollte keine Pfeffermünze bei den Droguisten oder den Apotheken seyn, so sieh zu, ob du in benachbarten kleinen Orten etwas zusammenkaufen kannst, es sey wenig oder viel, denn ich komme nicht mit meinem Vorrathe aus“ [8]. Inzwischen waren die Preise auf das Doppelte gestiegen. Hermann teilte dennoch in seiner Antwort vom 15.9.1831 mit: „Es thut mir sehr leid, dir in diesem Augenblick Deinen Auftrag nicht besorgen zu können, da die Pfeffermünze wohl nirgends spärlicher sein kann, als gegenwärtig in unserer Gegend. [...] Von dem Tage an, als die Nachricht von dem Ausbruch der Cholera in Berlin hier eintraf, wurden die gegen dieselbe empfohlenen Mittel so sehr verlangt, dass nicht nur in einigen Tagen der Preis von mehreren Gegenständen aufs drei- und vierfache stieg“ [9].

Während sich die Lage in Frankfurt im Oktober 1831 entspannte, gab es in Erfurt Ende Mai 1831 die ersten Erkrankten. Trommsdorffs Brief an seinen Sohn schildert die Auswirkung auf die wirtschaftliche Lage: „Die Stadt hat aber einen ungeheuren Verlust dadurch erlitten, daß Sachsen zugleich Erfurt abgesperrt hat, und auch die benachbarten kleinen Fürsten, wodurch aller Verkehr aufgehoben. [...] Da hier nun keine Gesundheitsscheine mehr abgelassen werden, so ist der Handel ganz zerstört, u die Fabriken stehen still. Der Nachtheil, der daraus der Stadt erwächst, ist weit bedeutender als die Cholera selbst.“ [10] Wie Trommsdorff berichtet, stammten die Erkrankten „bis jetzt blos aus der ärmsten Classe, und vom Militair. Die Noth ist aber sehr groß, da der Handel stockt, die Fabriken wenig beschäfftigt, und viele ohne allen Verdienst sind“ [11]. Am 18. August 1832 – inzwischen waren zehn Tage nach dem letzten Auftreten eines Cholera-Falls vergangen – galt Erfurt als nicht mehr infiziert, und die Reisebeschränkungen wurden aufgehoben. Insgesamt waren 187 Bürger in Erfurt an der Cholera erkrankt, von denen 120 starben [12].

Wie häufig in Notzeiten gab es aber auch Betrüger, die sich an der Not der Menschen und deren Angst vor der Cholera zu bereichern suchten. Trommsdorff entlarvte ein in Erfurt auf den Markt gekommenes, sogenanntes „Cholera-Luftreinigungsmittel“, das nichts anderes als „verkohlte, mit Schwefelsäure getränkte Sägespäne, denen man etwas trockenen essigsauren Kalk zugesetzt hatte“, enthielt [13].

Foto: Institut für Geschichte der Pharmazie, Marburg

Aufsatz Trommsdorffs gegen ein betrügerisches Cholera-Mittel.

Beitrag zur Cholera-Prophylaxe

Der als Entdecker des Morphins in die Pharmaziegeschichte eingegangene Apotheker Friedrich Wilhelm Sertürner (1783 – 1841) hat 1831 drei Schriften verfasst, mit denen er einer weiteren Ausbreitung dieser Krankheit vorbeugen wollte. Darin gab er Ratschläge, wie man sich gegen die Cholera, die er „orientalische Brechruhr“ nannte, schützen konnte. So empfahl er erdig-alkalische Substanzen wie kohlensauren Kalk oder Bittererde. In seiner Schrift „Dringende Aufforderung an das Deutsche Vaterland, in Beziehung der orientalischen Brechruhr“ bezeichnete er als Ursache der Cholera ein „giftiges, belebtes, also sich selbst fortpflanzendes oder erzeugendes [...] Wesen“ in Vorahnung der Ent­deckung der Bakterien [14]. Er schlug vor, Seuchengebiete zu isolieren, nur abgekochtes Brunnenwasser zu verwenden und Lebensmittel mit Weingeist zu des­infizieren. Mit großer Weitsicht for­derte er, dass die europäischen Staaten zusammenarbeiten und Ärzte, Chirurgen sowie Chemiker bei der Arbeit unterstützen sollten. Die Wissenschaft­ler forderte er auf, mit mikroskopischen, chemisch-physikalischen und physiologischen Untersuchungen Übertragungswege zu analysieren [15].

Foto: Institut für Geschichte der Pharmazie, Marburg

Titelblatt einer Cholera-Schrift von F. W. Sertürner

Resümee

Der Blick in die Cholera-Geschichte zeigt, dass Apotheker auch damals alles taten, um die Verbreitung der Seuche zu verhindern, obwohl Kenntnisse über Ursachen und wirksame Mittel noch fehlten. Sie waren dabei bemüht, Arzneimittel wie Teedrogen trotz Preiswucher für ihre Patienten zur Verfügung zu stellen. Bemerkenswert ist, dass sich mit Friedrich Wilhelm Sertürner auch ein Apotheker über Ursachen, Entstehung und Bekämpfung Gedanken machte. Der Einsatz der Apotheker trug mit zum vorläufigen Ende der Cholera-Epidemie bei. |

Literatur

 [1] Vasold M: Grippe, Pest und Cholera. Eine Geschichte der Seuchen in Europa. Stuttgart 2008, S. 99–105.

 [2] Bettin H, Friedrich C, Götz W (Hrsg.): Der Briefwechsel von Johann Bartholomäus Trommsdorff (1770 – 1837), 7. Lieferung, Halle 2002 (Acta Historica Leopoldina; 18), S. 91f.

 [3] Götz W: Die Cholera-Epidemie in Deutschland 1831/32 – Auswirkungen auf die Arzneimittelversorgung im Spiegel der Korrespondenz von Johann Bartholomäus Trommsdorff (1770 – 1837). In: Meyer K, Müller-Jahncke W-D (Hrsg.): Apotheke und die Arzneiversorgung in Notzeiten. Stuttgart 1999, S. 51–62, hier S. 53.

 [4] Götz W (Hrsg.): Der Briefwechsel von Johann Bartholomäus Trommsdorff (1770 – 1837), 1. Lieferung, Halle 1987 (Acta Historica Leopoldina; 18), S. 80.

 [5] Bettin H, Friedrich C, Götz W (Hrsg.): Der Briefwechsel von Johann Bartholomäus Trommsdorff (1770 – 1837), 10. Lieferung, Halle 2007 (Acta Historica Leopoldina; 18), S. 189. Brief J. B. Trommsdorffs an seinen Sohn Hermann vom 10.9.1831; vgl. Lauterbach I R: Christian Wilhelm Hermann Trommsdorff (1811 – 1884). Zu Leben und Werk eines pharmazeutischen Unternehmers. Stuttgart 2000, S. 37.

 [6] Götz [wie Anm. 3], S. 54 f.

 [7] Bettin, Friedrich, Götz [wie Anm. 5], S. 189.

 [8] Bettin, Friedrich, Götz [wie Anm. 5], S. 190.

 [9] Brief H. Trommsdorffs an J. B. Trommsdorff vom 15.9.1831. In: Bettin, Friedrich, Götz [wie Anm. 5], S. 191.

[10] Brief J. B. Trommsdorffs an seinen Sohn Hermann vom 4.6.1832. In: Bettin, Friedrich, Götz [wie Anm. 5], S. 196.

[11] Brief Johann Bartholomäus Trommsdorffs an seinen Sohn Hermann vom 20.6.1832. In: Bettin, Friedrich, Götz [wie Anm. 5], S. 196 f.

[12] Götz [wie Anm. 3], S. 61.

[13] Trommsdorff J B: Untersuchung eines in den Handel gebrachten Universal-Luft­reinigungsmittels. In: Neues Journal der Pharmacie 24 (1832), 1. St., S. 147 – 150, hier S. 149.

[14] Sertürner F W: Dringende Aufforderung an das Deutsche Vaterland, in Beziehung der orientalischen Brechruhr. Göttingen 1831, S. 13.

[15] Kesselmeier M R: Friedrich Wilhelm Adam Sertürner (1783 – 1841). Apotheker und Forscher. Stuttgart 2008 (Quellen und Studien zur Geschichte der Pharmazie; 89) S. 164 – 166.

Autor

Prof. Dr. Christoph Friedrich studierte Pharmazie und Geschichte, Promotion 1983 und Habilitation 1987. Seit 2000 Leitung des einzigen Institutes für Geschichte der Pharmazie in Marburg.

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