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Beratung

Gefährlicher Schwebezustand

Nicht erkannte Netzhautablösung kann zur Erblindung führen

Zwischen dem 55. und 70. Lebensjahr ist das Risiko für eine Netzhautablösung besonders hoch. Gefährdet sind vor allem stark Kurzsichtige und Diabetiker. Aber auch im normalen Alltag oder beim Sport, zum Beispiel bei Ballsportarten, können Prellungen des Auges diese potenziell zur Erblindung führende Erkrankung auslösen. Durch regelmäßige Kontrolluntersuchungen beim Augenarzt kann sie frühzeitig erkannt und behandelt werden. Kunden, die in der Apotheke über ungewöhnliche Sehveränderungen berichten, sollten entsprechend aufgeklärt werden. | Von Claudia Bruhn

Bei der Netzhautablösung (Amotio retinae, Ablatio retinae) handelt es sich um eine seltene, aber schwerwiegende akute Erkrankung, die unbehandelt zur Erblindung des betroffenen Auges führen kann. Für die häufigste Form, die rhegmatogene (Riss-bedingte) Netzhautablösung, hat eine 2019 publizierte Metaanalyse eine Inzidenz von 13,3 Fällen pro 100.000 Einwohner in Europa ermittelt. Dies entspricht mehr als 10.500 Erkrankungsfällen pro Jahr in Deutschland.

Symptome sind meistens spezifisch

Bei einer Netzhautablösung ist die innere, lichtempfindliche Schicht der Retina (Neuroretina) nicht mehr mit ihrer Versorgungsschicht, dem retinalen Pigmentepithel verbunden (s. Abb. 1).

Abb. 1: Die innerste Schicht des Augapfels (Retina) enthält lichtempfindliche Sinneszellen (Stratum nervosum retinae, Neuro­retina) und das Pigmentepithel (Stratum pigmentosum retinae). An einigen Stellen besteht eine feste Verbindung zwischen Neuroretina und Pigmentepithel. In den anderen Bereichen übt das Pigmentepithel einen Sogeffekt auf die Neuroretina aus, der beide Teilschichten zusammenhält. Bei einer Netzhautablösung trennt sich die neurosensorische Netzhaut vom retinalen Pigmentepithel, die Retina erscheint dann weißlich-gelblich. Ein hohes Risiko für Sehverschlechterung besteht bei einer Netzhautablösung im Bereich der Macula, dem hinteren Bereich der Netzhaut mit sehr hoher Dichte an Fotorezeptoren.

Dies kann, je nach Ursache, zu unterschiedlichen Symptomen im betroffenen Auge führen, vor allem:

  • Gesichtsfeldeinschränkungen: Betroffene sehen einen Balken, eine schwarze Wand oder einen „fallenden Vorhang“,
  • „Rußregen“,
  • Lichtblitzen,
  • Flimmern (in dunkler Umgebung deutlicher als in heller) und/oder
  • verzerrter oder verschleierter Wahrnehmung von Gegenständen.

Wird eine Netzhautablösung nicht rechtzeitig erkannt und behandelt, kommt es nach etwa 48 Stunden in den betroffenen Bereichen zu einem teilweise irreparablen Funktionsverlust der Sehzellen.

Ursachen und Risikofaktoren

Nach ihrer Ursache lassen sich Netzhautablösungen grob in drei Gruppen einteilen. Es können jedoch auch mehrere (Risiko)faktoren an der Entstehung beteiligt sein, zum Beispiel Kurzsichtigkeit und höheres Lebensalter. Am häufigsten sind Menschen zwischen 55 und 70 Jahren betroffen.

Bei der rissbedingten Netzhautablösung (rhegmatogene Amotio retinae) entstehen in der Retina Risse oder kleine Löcher, durch die verflüssigter Glaskörper zwischen Neuroretina und Pigmentepithel eindringen kann. Dies führt zu einem Unterbrechen des Sogs zwischen beiden Schichten und zu einer Ablösung, die sich weiter ausbreiten kann. Begünstigt wird die Entstehung eines Netzhautrisses beispielsweise durch den Zug des Glaskörpers an der Netzhaut im Verlauf einer hinteren Glaskörperabhebung (s. Kasten „Einzelmücken oder Mückenschwarm?“). Bei Kurzsichtigen ist der Augapfel länger als bei Normalsichtigen. Außerdem sind die einzelnen Gewebsschichten, darunter auch die Netzhaut, dünner und daher etwas anfälliger für die Entstehung von Rissen oder Löchern.

Einzelmücken oder Mückenschwarm?

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Der sogenannte Rußregen oder auch Mückenschwarm ist ein typisches Symptom einer Netzhautablösung. Nur vereinzelte schwarze Punkte oder Fäden, die sich im Gesichtsfeld bewegen, haben jedoch meistens eine harmlose Ursache. Sie treten etwa ab dem 40. Lebensjahr auf, wenn der Glaskörper langsam zu schrumpfen beginnt. Er kann sich auch von der Netzhaut ablösen – diese sogenannte Glaskörperabhebung ist Teil des physiologischen Alterungsprozesses. In dessen Verlauf verdichten sich die Kollagenfasern des Glaskörpers, dessen Hauptbestandteil Wasser ist. Es entstehen Trübungen, die als Schatten oder „fliegende Mücken“ (Mouches volantes, Floaters) wahrgenommen werden. Diese Erscheinungen sind primär nicht krankhaft. Potenziell besteht aber das Risiko, dass der Glaskörper bei unvollständiger Ablösung Teile der Retina „mitzieht“ und eine Netzhautablösung die Folge ist. Vorsichtshalber sollte man deshalb auch harmlos erscheinende Sehveränderungen vom Augenarzt untersuchen lassen.

Bei der traktiven Netzhautablösung ziehen Narbenstränge die Netzhaut von ihrer Unterlage ab. Für diese Vorgänge sind insbesondere Diabetiker prädestiniert; denn eine diabetische Retinopathie führt zur Ausbildung von bindegewebigen Strukturen, die schrumpfen können und dabei die Neuroretina vom Pigmentepithel ablösen.

Eine exsudative Ablatio retinae entsteht beispielsweise bei Entzündungen der Netzhautgefäße, weil sich Flüssigkeit unter der Neuroretina ansammelt und eine Anhebung bewirkt. Auch ein Tumor im Augenbereich sowie Augenverletzungen wie Prellungen oder Einwirkungen eines Fremdkörpers können derartige Prozesse in Gang setzen.

So schnell wie möglich behandeln!

Die Behandlung einer Netzhautablösung erfolgt fast immer durch einen chirurgischen Eingriff unter Vollnarkose. Hat ein niedergelassener Ophthalmologe die Diagnose gestellt, müssen Betroffene so schnell wie möglich eine Augenklinik bzw. eine Rettungsstelle aufsuchen. Da eine Netzhautablösung immer als Notfall gilt, erfolgt eine stationäre Aufnahme. Die Behandlung wird als Notfalloperation oder als reguläre Operation zum nächstmöglichen Zeitpunkt durch­geführt. Wird eine Netzhautablösung rechtzeitig erkannt und therapiert, bestehen gute Chancen, dass sich die Neuroretina wieder an das Pigmentepithel anlegt und das Seh­vermögen erhalten bleibt.

Kombination verschiedener Techniken

Ja nach Ursache, Ausmaß und Lage der Netzhautablösung werden verschiedene Techniken eingesetzt, häufig in Kombination.

Vitrektomie. Bei dieser Methode wird die gallertartige Flüssigkeit des Glaskörpers abgesaugt und durch Silikonöl oder ein spezielles Gas (z. B. Schwefelhexafluorid, Perfluorethan, Perfluorpropan) ersetzt. Durch diese Silikonöl- oder Gastamponade legt sich die abgelöste Netzhaut wieder an und der Druck im Augapfel kann ein erneutes Ablösen verhindern. Das Gas wird vom Körper innerhalb von zwei Monaten vollständig resorbiert, das Silikonöl muss nach einigen Wochen wieder entfernt werden. Anschließend füllt sich der Hohlraum mit körpereigener Flüssigkeit, sodass weiterhin ein ausreichender Druck auf die Netzhaut besteht.

Cerclage/Plombe. Bei der Cerclage wird der Augapfel mit flexiblen Silikonbändern umgeben. Dies führt zum Ein­drücken („Dellung“), wodurch dem Glaskörperzug auf die Netzhaut entgegengewirkt wird. Das gleiche Ergebnis lässt sich durch Aufnähen eines speziellen Kunststoffpolsters (Plombe) auf den Augapfel erreichen. Cerclagen und Plomben werden heute nicht mehr entfernt.

Laser- bzw. Kryokoagulation. Bei diesen Verfahren werden in der Umgebung des operativ wiederangelegten Areals durch Laser bzw. einen Kältestift Narben erzeugt. Dadurch kann ein erneutes Ablösen der Neuroretina verhindert werden.

Nachsorge und Kontrolluntersuchungen

Nach der Operation erhalten die Patienten Augensalben bzw. -tropfen mit Glucocorticoiden und Antibiotika. Außerdem wird ein Abdecken des operierten Auges mithilfe einer Augenklappe empfohlen. Nach der Wiederanlage benötigt die Netzhaut einige Zeit zur Stabilisierung. Auf bestimmte Aktivitäten wie intensiven Sport oder Verreisen mit dem Flugzeug muss deshalb für einige Wochen nach der Operation verzichtet werden. Da die Rezidivrate hoch ist, sind regelmäßige Kontrolluntersuchungen – in der Regel halbjährlich – notwendig. Spezifische Interventionen, um die Gefahr einer erneuten Ablösung zu bannen, sind derzeit noch nicht bekannt, werden aber intensiv erforscht. Interessant sind in diesem Zusammenhang die Ergebnisse einer finnischen Studie aus 2018 [Loukovaara S et al. 2018]. Darin war eine Statin-Therapie (Wirkstoffe: Simvastatin, Atorvastatin und Rosuvastatin) zum Zeitpunkt der Behandlung einer Riss-bedingten Netzhautablösung mittels Vitrektomie mit einem um 28% niedrigeren relativen Risiko für eine erneute Operation assoziiert. Da es sich bei dieser Untersuchung um eine retrospektive Registerstudie handelt, lässt sich kein kausaler Zusammenhang zwischen der Einnahme von Simvastatin, Atorvastatin oder Rosuvastatin und einem verringerten Reoperationsrisiko nachweisen. Randomisierte klinische Studien wurden zu dieser Fragestellung noch nicht durchgeführt.

Nach einer erfolgreichen Operation richten Augenärzte bei Kontrolluntersuchungen den Fokus nicht nur auf die Netzhaut, sondern auch auf andere Augenstrukturen. So wird beispielsweise nach einer Vitrektomie der Zustand der Linse genau beobachtet. Denn bei etwa 70% der Patienten entwickelt sich nach diesem Eingriff ein Grauer Star, sodass nach einigen Monaten eine Kataraktoperation notwendig ist.

Kontrolle als wichtigste Präventionsmaßnahme

Einer der wichtigsten Risikofaktoren für Netzhautablösungen ist eine starke Kurzsichtigkeit (Myopie). Eine Myopie bis -3 Dioptrien (D) vervierfacht das Risiko, Werte darunter verzehnfachen es sogar. Aus diesem Grund empfehlen die ophthalmologischen Fachverbände Kurzsichtigen jeder Altersstufe bei Werten unter drei Dioptrien eine jährliche Netzhautvorsorge-Untersuchung. Weitere Risikofaktoren sind Katarakt-Operationen in der Vorgeschichte und eine positive Familienanamnese. Wurde ein Auge wegen einer Netzhautablösung behandelt, liegt das Risiko für das andere Auge, innerhalb von vier Jahren zu erkranken, zwischen 9 und 10%. Auch eine Nd-YAG-Laser-Kapsulotomie, die zur Behandlung eines Nachstars nach einer Katarakt-Operation eingesetzt wird, kann das Risiko für eine Netzhautablösung erhöhen. In allen genannten Fällen können regelmäßige augenärztliche Untersuchungen dazu beitragen, die Entstehung einer Netzhautablösung rechtzeitig zu erkennen.

Entwarnung für Fluorchinolone?

Für Antibiotika aus der Gruppe der Fluorchinolone wurden in den vergangenen Jahren einige, teils schwerwiegende Nebenwirkungen berichtet. Dazu zählen unerwünschte Wirkungen auf den Bewegungsapparat wie Sehnenrupturen und Muskelschwäche, Nebenwirkungen auf das zentrale und periphere Nervensystem wie Schlaflosigkeit, Seh-, Hör-, Geruchs- und Geschmacksstörungen sowie Aortenaneurysmen und -dissektionen. Daraufhin wurden in die Fachinformationen aller Arzneimittel mit den Wirkstoffen Ciproflox­acin, Levofloxacin, Moxifloxacin, Norfloxacin und Ofloxacin entsprechende Informationen sowie Anwendungsbeschränkungen aufgenommen. Bereits 2012 hatte eine epidemiologische Studie ergeben, dass während der Einnahme von Fluorchinolonen (vor allem Ciprofloxacin) fünfmal häufiger Netzhaut­ablösungen auftraten als in der Vergleichsgruppe (3,3% vs. 0,6%). Eine weitere Kohortenstudie aus 2015 hatte ebenfalls Hinweise auf ein mögliches Risiko geliefert. Die Autoren schätzen es jedoch als marginal ein, da die Chance, unter Fluorchinolonen eine Netzhautablösung zu erleiden, ähnlich hoch war wie unter Amoxicillin. Wenn Fluorchinolone kollagenhaltige Strukturen wie beispielsweise Sehnen schädigen können, liegt die Vermutung nahe, dass auch die Kollagene im Glaskörper des Auges beeinträchtigt werden, sodass er sich beispielsweise schneller verflüssigt. Für ein Abraten von einer Fluorchinolon-Behandlung wegen des Risikos einer Netzhautablösung reichen die Daten derzeit noch nicht aus.

Auf einen Blick

  • Netzhautablösungen sind augenärztliche Not­fälle, da sie unbehandelt zur Erblindung des betroffenen Auges führen können.
  • Die wichtigsten Symptome sind Gesichtsfeld­einschränkungen („schwarze Balken“) oder ungewöhnliche Wahrnehmungen wie Flimmern, Lichtblitze, „Rußregen“ oder verschleiertes Sehen.
  • Durch eine umgehende operative Behandlung kann das Sehvermögen weitgehend erhalten werden.
  • Regelmäßige Kontrolluntersuchungen, insbesondere bei Myopie und Diabetes mellitus, sind die wichtigsten Präventionsmaßnahmen.

Besondere Aufmerksamkeit bei Diabetes mellitus

Um bei Diabetikern das Risiko für Netzhautablösungen zu verringern, empfehlen die ophthalmologischen Fachverbände direkt nach der Diagnosestellung eine augenärztliche Untersuchung. Denn häufig ist nicht bekannt, wie lange die Stoffwechselerkrankung schon besteht. Liegt bereits eine diabetische Retinopathie vor, sollten die Augen in relativ kurzen Abständen untersucht werden, je nach Stadium alle drei bis sechs Monate. |

Literatur

Daneman N et al. Fluoroquinolones and collagen associated severe adverse events: a longitudinal cohort study. BMJ Open 2015;5(11):e010077

Etminan M et al. Oral fluoroquinolones and the risk of retinal detachment. JAMA 2012;307:1414-1419

Feltgen N, Walter P. Rhegmatogenous retinal detachment – an ophthalmologic emergency. Dtsch Ärztebl Int 2014;111(1–2):12-22

Li JQ et al. Incidence of rhegmatogenous retinal detachment in Europe - A systematic review and meta-Analysis. Ophthalmologica 2019;242(2):81-86

Loukovaara S et al. Statin use and vitreoretinal surgery: Findings from a Finnish population-based cohort study. Acta Ophthalmol 2018;(96):442-451

Paulsen F, Waschke J (Hrsg.) Sobotta - Kopf, Hals und Neuroanatomie. Elsevier München, 24. Auflage 2017

Rhegmatogene Netzhautablösung. Leitlinie des Berufsverbands der Augenärzte Deutschlands e.V., Nr. 22 b, Stand 17. November 2011

Systemisch und inhalativ angewendete Chinolon- und Fluorchinolon-­Antibiotika: Risiko von die Lebensqualität beeinträchtigenden, lang anhaltenden und möglicherweise irreversiblen Nebenwirkungen. Rote-Hand-Brief vom 8. April 2019, www.bfarm.de

Vorstufen einer rhegmatogenen Netzhautablösung bei Erwachsenen. ­Leitlinie des Berufsverbands der Augenärzte Deutschlands e. V., Nr. 22 a, Stand 17. November 2011

Autorin

Dr. Claudia Bruhn ist Apothekerin und arbeitet als freie Medizinjournalistin und Autorin in Berlin. Seit 2001 schreibt sie Beiträge für Zeitschriften des Deutschen Apotheker Verlags sowie für medizinische Fachverlage.

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