Pandemie Spezial

Mit H2O2 und Silber gegen Coronaviren?

Leichtes Spiel für das Inverkehrbringen fragwürdiger Desinfektionsmittel

du | Aus unserem Leserkreis erreichte uns die Nachfrage, wie das Produkt AgSept® Protect ein­zuordnen ist, das als gebrauchs­fertiges Produkt zur Haut- (einschließlich Hände-) und Ober­flächendesinfektion beworben wird. Es soll unter anderem begrenzt viruzid wirken und auch gegen Noro- und Coronaviren wirksam sein. Unsere Recherche ergab interessante Aufschlüsse zur Registrierung und Verkehrsfähigkeit solcher Produkte. Eine Einordnung von Prof. Dr. Axel Kramer, Geschäftsführender Direktor vom Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Universitätsmedizin Greifswald, lässt jedoch berechtigte Zweifel an der Wirksamkeit aufkommen.

AgSept® Protect enthält 0,1% H2O2 und 30 ppm elementares Silber. Das Haut- und Oberflächendesinfektionsmittel soll gegen Bakterien, Viren, Pilze und Schimmel wirken, u. a. auch gegen Coronaviren [8]. Laut Auskunft der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin wurde das Produkt am 16. März 2020 mithilfe eines Webformulars bei der Behörde gemeldet, die dann auf Basis der enthaltenen Wirkstoffe automatisch eine Registriernummer erteilt. Damit sei das Produkt „AgSept® Protect“ unter Übergangs­regeln der Biozid-Verordnung zulassungsfrei verkehrsfähig, so die Pressestelle der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin auf Anfrage. Eine Aussage über die Wirksamkeit könne damit nicht getroffen werden.

Foto: Kai – stock.adobe.com

Übergangsregelungen der Biozid-Verordnung erlauben das Inverkehrbringen von Desinfektionsmitteln, deren Wirksamkeit nicht zweifelsfrei erwiesen ist.

In der Verantwortung des Herstellers

Zum Hintergrund erklärte die Behörde: „Das Biozid-Verfahren ist zweistufig. Zunächst müssen Wirkstoffe auf EU-Ebene zur Verwendung in Biozid-Produkten genehmigt werden, danach muss eine Zulassung der konkreten Produkte auf nationaler oder EU-Ebene erfolgen. Für sogenannte „Altwirk­stoffe“ gelten dabei Übergangsfristen. Sie dürfen ohne eine Zulassung auf dem Markt bereitgestellt und verwendet werden, bis der oder die enthaltenen Wirkstoffe genehmigt sind und das Zulassungsverfahren durchlaufen wurde. Enthält ein Produkt mehrere Wirkstoffe, muss eine Zulassung erst dann erfolgen, wenn alle enthaltenen Wirkstoffe genehmigt worden sind. Frist für das Stellen von Zulassungsanträgen ist dann das Datum der Genehmigung des zuletzt genehmigten Wirkstoffes.

Im Fall von „AgSept® Protect“ ist der enthaltene Wirkstoff Silber als Altwirkstoff noch im Genehmigungsverfahren. Daher profitiert das Produkt noch von den genannten Übergangsregeln. In dieser Übergangsphase liegt die korrekte Auslobung des Produktes in der Verantwortung des Herstellers.“

Eine fachliche Bewertung

Wir haben vor dem Hintergrund der Leseranfrage zu AgSept® Protect Prof. Dr. Axel Kramer vom Institut für Hygiene und Umweltmedizin in Greifs­wald gebeten, das Potenzial von Wasserstoffperoxid und Silber, aber auch von immer wieder diskutiertem Natriumhypochlorit einzuordnen. Er kommt zu folgenden Ergebnissen:

Natriumhypochlorit: Es liegen Untersuchungen sowohl im quantitativen Suspensionstest als auch im Keimträgertest vor. Im Keimträgertest (geprüft auf rostfreiem Stahl) ist 0,1% NaOCl gegen Coronaviren, geprüft mit dem endemischen humanen Coronavirus Stamm 229E, innerhalb von 1 min bei Belastung mit 5% Serum wirksam [1]. Bei Gegenwart von Blut werden zur Inaktivierung von HSV (innerhalb 30 s) 5000 ppm (0,5%) anstatt 500 ppm (0,05%) benötigt [2]. Bei der zur Flächendesinfektion üblichen Einwirkungszeit von 5 min ist mit ausreichender Wirksamkeit zu rechnen, sofern keine Blutverunreinigungen vorliegen.

Wasserstoffperoxid (WPO): WPO ist ab 0,5% wirksam, allerdings nur im Suspensionstest geprüft [1]. Damit kann keine Aussage zur Wirksamkeit auf Flächen abgeleitet werden. In Gegenwart von Blut wird WPO innerhalb von Sekunden durch das Enzym Katalase zersetzt. Auch in ­Gegenwart von Schwermetallen wird Wasserstoff­peroxid inaktiviert [3]. Aufgrund der Datenlage kann keine sichere Wirksamkeit zur Flächendesinfektion ab­geleitet werden.

Silber: Für die antimikrobielle Wirksamkeit von metallischem Silber ist eine ausreichend hohe Konzentration von freien Silberionen in einem feuchten Milieu notwendig. In Gegenwart von organischem Material (Eiweiß) werden Silberionen bis zum Wirkungsverlust inaktiviert [3, 4]. Es konnten keine Daten zur Wirksamkeit in Keimträgertests recherchiert werden, so dass es nicht möglich ist, eine Empfehlung zur Flächendesin­fektion abzuleiten.

Schlussfolgerungen zur Flächendesinfektion: Natriumhypochlorit ist in einer Konzentration von 0,1% geeignet zur Flächendesinfektion, gleiches gilt für Alkohol-basierte Flächendesinfektionsmittel mit der Deklarierung „begrenzt viruzid“.

Schlussfolgerungen zur Hände­desinfektion: Zur Händedesinfektion kommen Präparate mit Gehalt an Silberionen oder Silbernanopartikeln wegen unzureichender Wirksamkeit, unrealistisch langer Einwirkungszeit [3] und aus toxikologischen Gründen nicht in Betracht. Auch für Natriumhypochlorit und WPO liegen keine Prüfergebnisse zur Händedesinfek­tion vor. Nur aufgrund der Wirksamkeit im Keimträgertest kann keine Effektivität zur Händedesinfektion abgeleitet werden. Zur Händedesinfektion sind Alkohol-basierte Händedesinfektionsmittel mit der Deklarierung begrenzt viruzid Mittel der Wahl. Geprüfte Mittel sind in der VAH-Liste zu finden [5].

Schlussfolgerungen zur Haut-, Schleimhaut- und Wundantiseptik: In allen drei Bereichen stehen PVP-Iod basierte Antiseptika mit gesicherter Wirksamkeit zur Verfügung. Sie sind hoch wirksam gegen Coronaviren [6] und übertreffen Natrium­hypochlorit und WPO deutlich an Wirksamkeit. Ihr Einsatz erscheint aussichtsreich zum Schutz der Mitarbeiter vor einer Kreuzinfektion mit Coronaviren [7]. |

 

Literatur

[1] Kampf G, Todt D, Pfaender S, et al. Persistence of coronaviruses on inanimate surfaces and its inactivation with biocidal agents. J Hosp Infect 2020; DOI: https://doi.org/10.1016/j.jhin.2020.01.022

[2] Weber DJ, Barbee SL, Sobsey MD, Rutala WA. The effect of blood on the antiviral activity of sodium hypochlorite, a phenolic, and a quaternary ammonium compound. Infect Control Hosp Epidemiol. 1999;20(12):821-827.

[3] Kramer A, Assadian O. Wallhäußers Praxis der Sterilisation, Desinfektion, Antiseptik und Konservierung. Stuttgart: Thieme, 2008.

[4] Müller G, Kramer A. Biocompatibility index of antiseptic agents by parallel assessment of antimicrobial activity and cellular cytotoxicity. J Antimicrob Chemother 2008;61(6):1281-7.

[5] VAH. Desinfektionsmaßnahmen im Zusammenhang mit dem neuartigen Coronavirus (SARS-CoV-2). https://vah-online.de/de/news-detail/desinfektionsma%C3%9Fnahmen-im-zusammenhang-mit-dem-neuartigen-coronavirus-2019-ncov

[6] Kariwa H, Fujii N, Takashima I. Inactivation of SARS coronavirus by means of povidone-iodine, physical conditions and chemical reagents. Dermatol 2006;212(Suppl):119-23.

[7] Kirk-Bayley J, Challacombe S, Sunkaraeni S, et al. The use of Povidone Iodine nasal spray and mouthwash during the current COVID-19 pandemic may protect healthcare workers and reduce cross infection. Social Science Research Network (SSRN)

[8] www.agsept.de/shop/agsept-r-protect-1-bzw-5-liter/ (Abruf der Internetseite Stand 6.4. 2020)

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