Gesundheitspolitik

Keine Arzneimittelmuster für Apotheker?

EuGH-Generalanwalt hält Rechtslage zu Arzneimittelmustern für eindeutig

ks | Verbietet die EU-Richtlinie 2001/83/EG – der Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel – die Abgabe kostenloser Arzneimittelmuster an Apotheker? Falls nein, räumt sie dann den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, diese Abgabe zu verbieten? Diese Fragen soll der Europäische Gerichtshof (EuGH) beantworten – vorgelegt hat sie ihm der Bundesgerichtshof (Rs. C‑786/18). Jetzt hat der Generalanwalt am EuGH sein Votum vorgelegt. Er hat keinen Zweifel: Muster für Apotheker sind tabu.

Am Bundesgerichtshof ist ein Rechtsstreit zwischen der Novartis Consumer Health GmbH und Ratiopharm anhängig. Es geht um Di­clofenac-haltige Schmerzgele. Im Jahr 2013 gaben Mitarbeiter von Ratiopharm 100-g‑Packungen dieses Arzneimittels, die mit der Aufschrift „zu Demonstrationszwecken“ versehen waren, kostenlos an deutsche Apotheker ab. Novartis sah darin einen Verstoß gegen § 47 Abs. 3 Arzneimittelgesetz (AMG). Danach sei die kostenlose Abgabe von Arzneimittelmustern an Apotheker nicht gestattet. Außerdem gewährte Ratiopharm den Apothekern nach Auffassung von Novartis eine nach dem Heilmittelwerbe­gesetz unzulässige Werbegabe.

Tatsächlich nennt § 47 Abs. 3 AMG („Vertriebsweg“) zunächst lediglich Ärzte, Zahnärzte oder Tierärzte als mögliche Empfänger von Arzneimittelmustern, zudem „andere Personen, die die Heilkunde oder Zahnheilkunde berufsmäßig ausüben, soweit es sich nicht um verschreibungspflichtige Arzneimittel handelt“, sowie „Ausbildungsstätten für die Heilberufe“ – von Apothekern keine Spur. Aber heißt das zwangsläufig, dass Muster an Pharmazeuten verboten sind? Und wie sieht es eigentlich im europäischen Recht aus?

Schon in den ersten beiden Instanzen hatte Novartis mit seiner Klage gegen Ratiopharm Erfolg. Und nun sieht es ganz so aus, als habe der Ulmer Generikahersteller auch in letzter Instanz das Nachsehen. Jedenfalls dann, wenn der EuGH dem Votum des Generalanwalts Giovanni Pitruzzella folgt. Dieser hat am 30. Januar seine Schluss­anträge in diesem Verfahren vorgelegt und kommt zu dem ein­deutigen Ergebnis: Kostenlose Apothekenmuster von Pharmaunternehmen sind nach dem Gemeinschaftskodex unzulässig.

Art. 96 der Richtlinie 2001/83 erlaubt unter dort näher aufgeführten Voraussetzungen die „ausnahmsweise“ Abgabe von Gratismustern „an die zur Verschreibung berechtigten Personen“. In seinem zweiten Absatz erlaubt er, dass die Mitgliedstaaten die Abgabe von Mustern bestimmter Arzneimittel weiter einschränken dürfen.

Der Generalanwalt legt diese Vorschrift klassisch aus: nach ihrem Wortlaut, ihrer Systematik und ihrem Sinn und Zweck. Und stets kommt er zu dem Schluss, dass die „außergewöhnliche Werbemaßnahme“ des Arzneimittelmusters nur an Ärzte, also an zur Verschreibung berechtigte Personen, zulässig ist. Anders als die Kommission sei er nicht der Auffassung, dass der Wortlaut von Art. 96 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 „offen“ sei und aus grammatika­lischer Sicht nichts dagegen spreche, auch Apotheker als potenzielle Empfänger kostenloser Arznei­mittelmuster zu betrachten.

Zwar räumt Pitruzzella ein, dass Ärzte und Apotheker den gleichen Informationsbedarf haben – was in der Richtlinie 2001/83 anerkannt werde. Jedoch könne ihnen die Information über verschiedene Kanäle zugehen. Der Gesetzgeber habe davon ausgehen dürfen, dass das wirtschaftliche Interesse an der Abgabe dringender sein könne als das Interesse an der Verschreibung. Es bestehe eher die Gefahr, dass Apotheker Muster an Patienten abgeben als Ärzte – schließlich wissen Verbraucher, dass Apotheken über Arzneimittel verfügen. „Die Abgabe kostenloser Arzneimittelmuster an die Öffentlichkeit zum Zwecke der Verkaufsförderung ist jedoch untersagt. Durch den Ausschluss der Apotheker von dieser Abgabe würde gleichzeitig jegliche Gefahr einer Umgehung dieses die Öffentlichkeit betreffenden Verbots beseitigt werden“, heißt es dazu in den Schlussanträgen.

Gefahr aus der Apotheke?

Nicht zuletzt geht der General­anwalt darauf ein, dass im vor­liegenden Verfahren das Apo­thekenmuster damit gerechtfertigt wurde, dass Ratiopharm die Konsistenz und den Geruch des Arzneimittels verändert habe, nachdem Apotheker hieran Kritik geübt hätten. Nun sollten es die Apotheken testen können – für Pitruzzella ein „utopischer“, wenn nicht gefährlicher Ansatz. „Wird ernsthaft davon ausgegangen, dass jeder Apotheker sämtliche von ihm ange­botenen Arzneimittel persönlich testet?“, fragt er in seinen Schlussanträgen. Vernünftiger erscheint ihm die Annahme, dass für Ärzte – die mit Arzneimitteln in der Regel nicht in Kontakt kommen – Gratismuster ein zweckmäßiges, wenngleich begrenztes Mittel darstellen, sich mit den Neuheiten auf dem Markt vertraut zu machen.

Nun muss der EuGH entscheiden. Häufig – aber nicht immer – folgt er den Schlussanträgen. Am Ende wird dann der Bundesgerichtshof sein Urteil sprechen. |

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