Gesundheitspolitik

Was darf die Telemedizin?

Chancen und rechtliche Grenzen telemedizinischer Angebote

hb | Die Pandemie gibt der Telemedizin einen Schub. Doch viele Konzepte der Fernbehandlung sind derzeit nicht eindeutig rechtskonform. Medizinische Leitlinien könnten hier für mehr Klarheit sorgen, glaubt Rechtsanwalt Christian Tillmanns aus München. Bei der Mitgliederversammlung des Vereins für lautere Heilmittelwerbung Integritas am 10. Dezember lotete er die Möglichkeiten und Grenzen der Werbung für solche Angebote aus.

Den Anstoß für die Erleichterung von Telekonsultationen gab im Mai 2018 ein Beschuss des 121. Ärztetages. Dieser lockerte das Verbot der Fernbehandlung in der Musterberufsordnung der Ärzte. Nun sollte eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien erlaubt sein, jedoch nur im Einzelfall. Außerdem sollte der Patient in solchen Fällen besonders aufgeklärt werden. Der Ärztetag habe sich mit dem Beschluss durchaus schwergetan, betonte Tillmanns, und der Goldstandard, dass Arzt und Patient sich persönlich sehen sollten, sei damit keineswegs zur Disposition gestellt worden. Eine komplette Öffnung sei weder vorgesehen gewesen, noch habe diese tatsächlich stattgefunden.

Mit dem Ende 2019 in Kraft getretenen Digitale-Versorgung-Gesetz erhielten Ärzte, die Videosprechstunden anbieten, dann die Möglichkeit, auf ihren Webseiten oder anderen Plattformen darüber zu informieren. Im einschlägigen § 9 Heilmittelwerbegesetz (HWG), der die Werbung für die Fernbehandlung ausdrücklich verbietet, wurde eine entsprechende Ausnahme eingefügt. Das Verbot gilt demnach nicht mehr für die Werbung für Fernbehandlungen, die unter Verwendung von Kommunika­tionsmedien erfolgen – aber nur dann, wenn nach allgemein an­erkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt nicht erforderlich ist. Für Tillmanns ist dies eine große Hürde für die Werbung für Fernbehandlungen.

Fokus der Anbieter liegt häufig auf Männergesundheit

Anhand von Beispielen zeigte er die rechtlichen Grenzen auf. So seien die Webseiten von Telemedizinanbietern wie „Fernarzt.de“ oder „121doc.com“ oder „ZAVA“ alle sehr ähnlich aufgebaut, der Fokus liege vielfach auf der Männergesundheit. An das Rezept kämen die Besteller über einen Online-Fragebogen. Der Verordnende sitze in der Regel im Ausland, ebenso wie die Online-Apotheke, die das Präparat dann nach Hause liefert. Schon die telemedizinische Verordnung einzig und allein über eine Fragebogen-Anamnese sieht der Rechtsanwalt kritisch. Zudem dürfe die Fernbehandlung nach dem Wortlaut des Heilmittelwerbegesetzes nur beworben werden, wenn der persönliche Kontakt nicht erforderlich sei – das heißt als Ausnahme und nicht im Regelfall. Schließlich gehe es auch darum, wie die Telekonsultation ausgelobt wird. Dabei hält Tillmanns die Information eines Arztes über das grundsätzliche Angebot von Videosprechstunden für unproblematisch. Kritisch wird es seiner Meinung nach erst dann, wenn bei dem Angebot tatsächliche Indikationen benannt werden. „Nur weil es im Moment noch keinen Standard für die Anwendung des relevanten Paragrafen im HWG gibt, heißt das noch lange nicht, dass für alles geworben werden darf“, so der Anwalt.

Tillmanns verwies in diesem Zusammenhang auf ein noch relativ neues Urteil des Oberlandesgerichts München (Az. 6 U 5180/19), das auch „telemedizinischen Primärarztmodellen“ eine Absage erteilte. Im vorliegenden Fall wurde damit geworben, dass die komplette ärztliche Versorgung, nämlich „Diagnose, Therapieempfehlung und Krankschreibung“, mittels einer App online erfolgen könne („Bleib einfach im Bett, wenn Du zum Arzt gehst“). Schließlich habe der Gesetzgeber auch nach der Lockerung des Werbeverbotes für Fernbehandlungen daran festgehalten, dass eine solche Werbung im Allgemeinen untersagt ist, befand das Gericht. Würde man die hier angegriffene Werbung unter die Ausnahmeregelung des Heilmittelwerbegesetzes subsumieren, würde das grundsätzliche Werbeverbot für Fernbehandlungen im Übrigen praktisch leerlaufen.

Im Ergebnis bleibe eine Bewerbung von Fernbehandlungen unzulässig. Es sei denn, ein fachlich anerkannter Standard ermögliche es, im Regelfall auf den persönlichen Kontakt zum Arzt zu verzichten, resümierte Tillmanns. Solche Standards gebe es jedoch bislang nicht. Sie könnten aber im Rahmen eines allgemeinen Diskurses und einer Konsensfindung erstellt werden. Diesen müssten die Gerichte dann wohl auch folgen, so seine Vermutung. Selbst gegebenen Qualitätsstandards telemedizinischer Anbieter, die dazu missbraucht werden, um den Rahmen der Fernbehandlung zu erweitern, erteilten einige Rechtsexperten bei der Veranstaltung eine klare Absage.

Eine weitere gravierende recht­liche Fußangel sieht Tillmanns darin, dass über telemedizinische Angebote Rx-Verordnungen aus­gelöst werden, die laut Herstellerangaben in der Fachinformation vor der Verordnung eine Anamnese und körperliche Untersuchung erfordern. Entsprechende Angaben fänden sich zum Beispiel in den Produktinformationen zu Viagra® oder auch von Cialis®. Tillmanns forderte die Arzneimittelhersteller dazu auf, sich rechtlich dagegen zu wehren, wenn Anbieter von Fernbehandlungen diese Vorgaben missachten. |

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